Fußspuren im Sand der Zeit - Druckversion +- Imoriath Forum (https://imoriath.com/forum) +-- Forum: RP-Bereich (https://imoriath.com/forum/forumdisplay.php?fid=90) +--- Forum: RP Sektion (https://imoriath.com/forum/forumdisplay.php?fid=102) +---- Forum: Charaktergeschichten (https://imoriath.com/forum/forumdisplay.php?fid=105) +---- Thema: Fußspuren im Sand der Zeit (/showthread.php?tid=7386) |
8 - Im Eis. / Teil 2 - Yvaine - 21.02.2012 Die Augen fielen Iaskell immer wieder zu, als Biotin ihnen schließlich den entscheidenden Hinweis gab. "Eis", "Frost", und andere artverwandte Spielereien konnte er herausrätseln, ein "Fort geht Eis", "Geht Eis fort?" und andere Satzkombinationen schrieb er nieder, bis die drei sich schließlich auf folgende Aneinanderreihung einigten: EIS GEHT FORT Mit einem glücklichen Lächeln beschenkte er Yvaine. Das Ziel des heutigen Tages sollte endlich erreicht sein. Er wollte nur noch seine Laken. Keine Kälte mehr. Kein Frost. Kein Eis. Kein Schnee. Kein Tod. Keine Pflichten. Keine Bedrohungen. Keine Kompromisse. Ein Bett. Ruhe. Entspannung. Ablenkung. Yvaine. So kehrten beide ins Gasthaus Lomerias ein. Es war ein langer, schwerer Tag gewesen. Die Körper rebellierten gegen die Anstrengungen, gegen die Fußmärsche, die Magie der Portale und letztendlich gegen die allgegenwärtige Kälte. Yvaine dachte an die Elfen, als die beiden Priester bei Tee und Suppe saßen. Würden sie ihren Teil der Aufgabe lösen können? Welchen Weg würden sie hierzu wählen? Sie dachte an den Coraxpriester, von dem die Hexe gar verlangt hatte, Einhörner zu jagen - die Sendboten seines Glaubens. Ein bosartiges Spiel trieb jene, in dem nur die gewinnen konnten, die ihre Prinzipien und Werte für einen Moment vergaßen um sich darauf zu besinnen, was gerade zähle, wichtig war. Sie hoffte, dass Amandria, Areya, Namariel und der Gardist Kyoren dies begreifen würden. Spät in der Nacht suchten Yvaine und Iaskell den Tempel Lomerias abermals auf, baten um Vergebung. Und sie schliefen, als bald ihre Köpfe die Kissen des Gästezimmers berührten, die die Kirche Lomerias gern für die beiden Reisenden bereit stellte. Ein letzter Gedanke vor dem Einschlafen der Priesterin war ein schöner, erleichterter: Die Gewissheit jenen Weg nicht allein zu gehen. Sie drückte die Hand des Anderen sanft, ehe sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel. ------------------------------------------- --- aus der Sicht Iaskells ...danke für diese kleine spontane Skype-Zusammenarbeit. :] 9 - Leise Stimmen. - Yvaine - 05.03.2012 Folgte man aber dem Drängen, es zöge einen immer weiter in die Ferne. (Leo Tolstoi) Es war schon später Morgen, als sie erwachte. Einen Moment verharrte sie, nur die Augen wanderten umher. Sie war im Tempel Dions in einem doch recht gemütlichen Bett und hatte keine Erinnerungen daran, wie sie hierher gekommen war. Yvaine schloss die Augen, versuchte sich zu erinnern. Der Kampf gegen Freya hatte getobt. Zu deutlich hörte sie noch immer das Klirren von Klingen und das fast noch lautere Klirren des Eises. Angreifer wurden auf der Stelle gefroren und zersprangen in Eiskristalle. Zu deutlich hörte die Freyas Todesschrei, der das Mark in den Knochen gefrieren ließ. Sie hatte die Hände auf die Ohren gepresst, Iaskells Arme um sich gespürt – und dann war es dunkel geworden. Dunkel und still. Jeder Geräusch war gebannt, verbannt gar, außer dem Blut in den Ohren und dem rasenden Herzschlag. Es war vorbei. Der Schlaf hatte ihr gut getan, war er doch eher Mangel in den letzten Tagen der Kälte gewesen. Iaskell schlief noch und Yvaine verbrachte einige Minuten damit, ihn zu beobachten. Doch schließlich erhob sie sich, trat ans Fenster. Ein Windhauch ließ das ärmellose Baumwollnachthemd flattern und zauberte eine leichte Gänsehaut auf ihre Unterarme. Doch im Vergleich zu den letzten Monden genoss sie das Frösteln. Die ersten Anzeichen des Frühlings zeigten sich in den Sträuchern, zauberten grüne Flecken in den letzten Schnee. Einzelne Frühlingsblumen steckten vorsichtig ihre Köpfe aus der Erde, die Vögel begrüßten den neuen Tag mit fröhlichen Liedern und die Sonne wärmte wieder. Lange stand die Priesterin am Fenster und schaute voll Faszination nach draußen. Wehmütig bemerkte sie, dass auch die Stimmen wieder da waren, die während Freyas Winter geschwiegen hatten. Die Stimmen die sie stets dazu trieben, weiter zu ziehen. Es gab so viele Städte und Dörfer, so viele Menschen, denen sie helfen konnte. Musste. War es doch ihre Bestimmung und das Versprechen, das sie gegeben hatte. Doch war es das, was sie wollte? Leise schlüpfte sie in die Priesterrobe, warf sich die Felltasche mit den nötigsten Dingen um die Schulter. Sie besaß nicht viel und so war alles schnell verstaut. Nichts desto trotz kostete es ein Ballen der Fäuste, wirklich zu gehen. Doch auch angesichts der frischen Frühlingsluft vor dem Tempel und dem Weg vor ihr, machte sich die Leichtigkeit, die Freude, die ihre Schritte sonst doch immer beflügelt hatten, eher rar. Leise seufzend wollte sie sich abwenden, als sie Schritte hinter sich vernahm. „Priesterin Yvaine?“ Sie wandte sich um, schenkte dem jungen Mann der Tempelgarde ein freundliches Lächeln. „Einhasad mit Euch. Was kann ich für Euch tun?“ Er hielt ihr ein kleines Päckchen entgegen. „Das hier wurde für Euch abgegeben.“ Yvaine nahm es entgegen. Es schien fast nichts zu wiegen. Ein dankendes Lächeln gen des Mannes. Sie würde es später öffnen und Iaskell nach seiner Meinung dazu fragen. Iaskell… Sie schluckte und schüttelte traurig den Kopf und setzte ihren Weg fort. Ohne den Schnee, das Eis und die Kälte wanderte es sich wieder leichter. Der Weg nach Gludin war leicht gemacht. Am späten Abend kehrte sie in die Taverne ein, sich eine warme Mahlzeit zu gönnen, ehe sie im Elternhaus übernachten würde. Als sie an der Theke stand und gerade etwas bestellen wollte, ließ eine Stimme hinter ihr sie überrascht herumfahren. „Immer noch auf der Reise, schöne Yvaine?“ Sie wusste, der vor ihr stand, noch bevor sie sich ganz herum gedreht hatte. „Ian!“ Lächelnd schloss er die Schwester in die Arme. Nach der ersten Wiedersehensfreude schob sie ihn etwas von sich, betrachtete ihn und musste feststellen, dass Ian sich die letzten Jahre, die sie sich nicht gesehen hatten, nicht sehr verändert hatte. Das mittellange, honigblonde Haar fiel obgleich seines Alters noch immer üppig, nur die kleinen Fältchen an den Augenwinkeln waren etwas tiefer geworden. Nur die saphirblauen Augen zeugten von der Verwandschaft der Sionn-Kinder. War sie doch dunkelhaarig, er hell, sie klein und zerbrechlich, er groß und breitschultrig gewachsen. Während ihre Haut blass war, zeigte die Seine eine eher dunkle Farbe. Ian Sionn war seinem Vater noch ähnlicher geworden, dass es ihr einen Moment den Atem stockte. Dass er nicht die gewohnte Plattenrüstung trug, sondern normale bequeme Straßenklamotten zeigte ihr, dass er vermutlich ein Zimmer in der Taverne genommen hatte. Sie plauderten eine Weile. Ian bestellte Wein. Als Yvaine ablehnte, musste er unweigerlich grinsen. „Du bist so streng zu dir, Kleines.“ „Du solltest wissen, dass Einhasad nicht schätzt, dass ihre engsten Diener sich die Sinne benebeln, Paladin Gludins.“ Er überging die Spitze mit einem Lächeln, das Yvaine so falsch vor kam, dass sie nach hakte: „Du dienst doch noch immer dem Licht, wie du es geschworen hast, als man dich zum Ritter Einhasads schlug?“ Ian nahm einen Schluck von seinem Wein. „Licht… ja, eine schöne Sache.“ Nachdenklich ließ er das Getränk im Glase drehen. Als er wieder zu Yvaine sah, bemerkte er, dass sie den Blick nicht von ihm genommen hatte. „Ohne Licht wüssten wir nicht, das Dunkel zu definieren. Und ohne Licht gäbe er keine Schatten. Doch ohne das Dunkel wäre das Licht nur halb so hell, denkst du nicht?“ Sie nickte langsam, obgleich es kein Nicken der Zustimmung war. Das, was sie in seinen Augen sah, machte ihr Angst. Wenngleich es ihr unmöglich war, diese Angst in Worte zu fassen. Belanglose Themen brachen schließlich die unangenehme Stille. Es wurde spät und Zeit, sich zu verabschieden. Ian würde nicht mit ins Elternhaus kommen. Nach ihrem Tod hatte er es stets gemieden. Yvaine widerstrebte es, allein zu sein. Noch etwas, das ihr Angst machte. Sie war es doch gewohnt, ihre Reisen allein zu tätigen, mit nichts als den flüsternden Stimmen des Fernwehs im Kopf, Mut im Herzen und die Hand der Göttin über ihrem Haupt. Wer seine Göttin über sich weiß kann noch so allein sein - er ist nie einsam. Ob der milden Temperaturen brauchte der große Ofen nicht lang, um das Wohnhaus, das an dem alten Leuchtturm angeschlossen war, in wohlige Wärme zu hüllen. Yvaine räumte gerade die Teetassen fort, die von ihrer letzten Heimkehr zusammen mit Iaskell stehen geblieben waren, als ihr das rätselhafte Päckchen wieder in den Sinn kam. Sie nahm es aus der Manteltasche heraus und betrachtete es gedankenverloren. Vielleicht war es nichts weiter, als eine gutgemeinte Gabe an den Tempel. Doch warum hatte man es ihr gegeben und nicht Iaskell? Yvaine nahm Mantel und Päckchen und trat in den Flur hinaus. Die Tür zum Leuchtturm ließ sich schwer öffnen. Lange schien kein Schlüssel mehr im Schloss gewesen. Der kleinere Leuchtturm auf der anderen Landzunge war in dem schrecklichen Winter leichter zu erreichen gewesen. In der klaren Luft wanderte sein Signal weiter übers Meer hinaus, als das des alten Leuchtturms. Doch schließlich gelang es Yvaine, die schwere Tür zu öffnen. Die Schritte hallten in dem verlassenen Gebäude. Sie entzündete die Fackeln, die hier uns da an den Wänden für Licht sorgten. Dann pustete sie den Staub von eine der breiten steinernen Fensterbänke und schwang sich auf diese. Lange blickte sie den fernen Lichtern der Schiffe nach, ehe sie das Päckchen öffnete. Es enthielt einen kleinen, gläsernen Flakon, dessen Krorken mit einem filigranen Kruzifix geschmückt war. Yvaine hielt ihn am Hals und besah sich seinen Inhalt: eine blaue, leuchtende Substanz. Vorsichtig umfasste sie den Bauch des Flakons und hätte ihn beinahe fallen gelassen. Er war… kalt. Aber es war nicht die Kühle, die Glas normalerweise ausstrahlte. Yvaine schloss die Hand um das Gefäß. Wie kleine Nadeln stach die Kälte in ihre Haut und sie musste sich beherrschen, die Hand nicht zu öffnen. Doch ihre Körperwärme vermochte nicht, das Glas zu erwärmen. Schließlich öffnete sie die Hand. Kleine rote Flecke blieben in der Handinnenfläche zurück und verschwanden erst nach ein paar Minuten wieder ganz. Der Morgen brach über das Land und die ersten Sonnenstrahlen ließen die feine Linie des Horizontes leuchten. Yvaine betrachtete das Glasgefäß noch immer, drehte es unschlüssig in der Hand. Mehr als nur einmal war sie versucht gewesen, den Korken aus der Öffnung zu ziehen. Doch der Inhalt wirkte so flüchtig, so lebendig, dass sie sich nicht getraut hatte. Was auch immer es war – es durfte auf keinen Fall verloren gehen. Doch was immer es war, es hatte die flüsternden Stimmen vorerst zum Schweigen gebracht. Während sich das blaue Leuchten und Flackern in den Augen der Priesterin spiegelte, überlegte sie, wie sie dieses Rätsel lösen würde. Etwas derartiges war ihr noch nicht zu Gesicht gekommen. Ein Alchemist könnte vielleicht helfen. Oder ein Exekutor. Sie seufzte leise als ihr bewusst wurde, wie erleichternd sie diesen Gedanken fast fand. Dann horchte sie in sich hinein. Die Stimmen schwiegen. Behutsam legte Yvaine den Flakon zurück in das Päckchen. Sie schlang den Mantel um sich und fand schließlich in der späten Morgendämmerung Schlaf, die Schläfe an den Fensterrahmen gebettet, während vereinzelnde Schiffe am Horizont vorbei zogen. 10 - Hilfeschreie. - Yvaine - 08.03.2012 Eine schöne Menschenseele finden ist Gewinn. Ein schönerer Gewinn ist sie erhalten und der schönst' und schwerste, sie, die schon verloren war, zu retten. (Johann Gottfried von Herder) Reflektion Sie waren zu keinem eindeutigen Schluss gekommen. Yvaine war froh gewesen, dass Iaskell ihr nachgereist war und sie sich zusammen über den seltsamen Flakon beraten konnten. Dass die seltsame Substanz etwas mit Freya zutun hatte, stand außer Frage. Doch.. was? Sie waren sich nicht schlüssig. Iaskell hatte den Inhalt des Flakons mit einem Bannzauber belegt, so dass sie den Korken entfernen konnte. Die Substanz war sogleich aufgestiegen und Yvaine hatte den Korken hastig zurück gesteckt, bevor sie entweichen konnte. Dieses... Ding hatte sogar... reagiert, als Iaskell es angesprochen hatte, glimmte auf, flackerte. Yvaine war sich sicher, dass es sich um etwas abgrundtief böses handelte. Die Kälte, die es verströmte, war unheimlich. Und nun, wo der ewige Winter Freyas vorüber war, wirkte es doch deutlicher fehl. Sie kamen nicht weiter. Doch egal wie man es wendete - das Ziel der Reise würde Dion sein. Dort lagerten alle Utensilien, die Iaskell für eine Untersuchung brauchen würde. --- Sie war überrascht, ihn in Dion zu treffen. Wenn auch sie nicht wusste, ob es eine positive oder negative Überraschung war. Familienmitglieder zu treffen, sollte doch immer etwas Gutes sein. Yvaine war gerade auf dem Weg zum Kräuterladen gewesen, etwas Teekraut zu kaufen, dass ihnen ermöglichen würde, lange wach zu bleiben und über dem Rätsel zu brüten, das ihnen der seltsame Flakon auf gab. Ian und Yvaine verfielen in flüchtiges Plaudern, während sie das Dorf durchquerten. Wie so oft führte der Weg der Priesterin vorbei an eine der eisernen Skulpturen, die noch immer Zeuge des magischen Winters waren. Man hatte sich an sie gewöhnt. Grotesk der Gedanke, dass diese Skulpturen einst Menschen waren. Der Morgen war kühl dafür, dass Frühling wurde und die Luft sehr klar. Geräusche wurden weit getragen und so kam es, dass Yvaine die geflüsterte Botschaft verstand.„Hilfe…“ Sie erstarrte. „Hast du das auch gehört?“ Ian zuckte mit den Schultern. „Was gehört?“ Sie brachte den Bruder mit einer knappen Geste zum Schweigen, lauschte. Nichts. Stirnrunzelnd ging Yvaine ein paar Schritte rückwärts. „Hilfe…“ Ihr Blick folgte dem Flüstern und ihr wurde kalt ums Herz, als sie erkannte, von wo es kam. „Es ist die Statue!“ Hastig trat sie an diese heran, hielt das Ohr ans erstarrte Gesicht. "Ian! Sie lebt! Die Skulptur… das.. was sie einmal war… LEBT noch!“ keuchte sie ungläubig. Der Ritter schüttelte den Kopf. „Mach dich nicht lächerlich, Kleines.“ Er hatte tatsächlich nichts gehört und so hielt auch er das Ohr ans Eis. Stille. Doch die Priesterin war nicht zu bremsen. „Wir müssen sie da raus holen! Wir müssen sie retten!“ Aufgescheucht umkreiste sie die Skulptur, versuchte das Eis mit den eigenen Händen gar zu schmelzen. „Yvaine. Nun beruhige dich!“ Kopfschüttelt musste er mit ansehen, wie seine Schwester gar den Wintermantel auszog, ihn der Eisskulptur umlegte, die gefrorenen Arme rubbelte. „Sie ruft um Hilfe! Wir müssen ihr doch helfen! Sie lebt noch!“ Ian betrachtete noch eine Weile, wie Yvaine mit zunehmender Verzweiflung versuchte, die Skulptur auf zu tauen. Natürlich mit keinerlei Erfolgen. Schließlich schob er sie mit sanfter Gewalt beiseite, nahm den Mantel von der Statue und schüttelte ihn aus. „Das hat doch keinen Sinn, Yvaine. Mach dich nicht verrückt.“Doch genauso gut hätte er mit der Eisskulptur selbst reden können – die Priesterin hörte ihm nicht einmal zu. Sie wich seinen Armen aus und trat wieder an die Skulptur. Mit warmen Worten des Gebets, einem Segen der Göttin versuchte sie, Wärme ins Eis zu bringen. Warmes Licht hüllte die Konturen der ehemaligen Bewohnerin Dions ein, heller, fast blendend. Yvaine nutzte ihre ganze Kraft in diesen Zauber, bis sie schließlich in die letzten Spuren des Schnees sank, erfolglos und körperlich schwer erschöpft. „Hilfe…“Immer wieder, in ihrem Kopf klang es beinahe wie Schreie. Seufzend trat Ian hinter sie, beförderte sie mit einem gekonnten Griff unter die Arme wieder auf die zitternden Beine. „Yvaine… du kannst sie nicht retten.“ Das hübsche Gesicht der Priesterin spiegelte blanke Verzweiflung wieder. „Ich muss... sie retten, Ian. Ich muss!“ Als er spürte, dass sie sich wieder losreißen wollte, umfassten die starken Arme sie fest. Einen Moment der schwachen Gegenwehr verstrich, ehe sie auf gab. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Ich weiß, Liebes. Doch du kannst ihnen nicht helfen. Niemand kann das. Vermutlich werden sie noch immer so da stehen, wenn bereits die heiße Augustsonne über Dion brennt. Es ist kein gewöhnliches Eis, das weißt du. Du hast sie gesehen. Du warst in ihrem Schloss. Freya ist tot, doch ihre Eismagie ist stark genug, dass sie ihre Opfer noch immer gefangen hält. Du kannst sie nicht einfach frei schmelzen.“ Schwer atmend ließ Yvaine den Hinterkopf gegen die Brust des Bruders sinken. „Hilfe…“ Es hörte nicht auf. Sie musste handeln! Auch wenn sie nicht wusste wie. Als Ian den Griff um sie wieder lockerte, mobilisierte sie ihre letzten Kräfte, riss sich los und rannte auf den Tempel zu. Dass er ihren Namen rief, hörte sie kaum. „Hilfe…“ einige Male stolperte sie, ein Mal fiel sie auf die Knie, ehe sie die Kirche erreichte und vollkommen unpriesterlich durch das Hauptschiff. Ihre Schritte hallten laut in der leeren Kirche, ehe sie die Treppe in die Wohnräume erreichte, sie mehr hoch fiel, als dass sie rannte. Ian stand noch immer kopfschüttelnd an der Eisskulptur, den Wintermantel Yvaines in der Hand. „Du kannst nicht alles auf der Welt verbessern, Yva…“ murmelte er abwesend. „Nicht jeder kann oder will gerettet werden.“ Leise seufzend wandte er sich ab. 11 - Glaubenskrise. - Yvaine - 13.03.2012 Die Grenzen der Seele wirst du nicht finden, So tiefen Grund hat sie. (Heraklit) Es war eine unruhige Nacht gewesen und so erwachte sie vor den ersten Sonnenstrahlen. Lange lag sie da, sah zur Decke und dachte über die Vorkommnisse des letzten Tages nach. Nachdem Yvaine die Stimmen aus den Eisskulpturen vernommen hatte, war sie sofort in den Tempel gestürzt und hatte Iaskell zu der Skulptur geführt, bei der sie die Stimmen das erste Mal vernommen hatte. Der Priester war überraschend reserviert und abweisend gewesen. Als sie ihn darum gebeten hatte, selbst des Ohr zum Mund der Eingefrorenen zu führen und den Hilferuf zu hören, war er gar zurück getreten und es war deutliche Angst in seinen Augen zu lesen. "Wir haben sie umgebracht!" Yvaine hatte die Worte nicht sofort verstanden. Und als sie letztendlich begriff, blieb ihr keine Zeit, darüber nach zu denken. Eine verzweifelt aussehende Elfe mit auffälligem Brustverband war zu ihnen getreten und verlangte sie zu sprechen. Schweren Herzens löste sie sich von den hastigen Untersuchungen an der Statue und hörte auf das Priesterherz in sich, dass die Bedürftige vor sich sah. Die Elfe stellte sich als Varnar vor. Nur Valnar, keinen Nachnamen, keinen Rang, keinen Titel oder Zugehörigkeit. Sie fragte gar nach Yvaines Bruder, Ian, und erzählte, dass jener in einen Konflikt über ein Kopfgeld beteiligt gewesen sei. Eigentlich ging es ihr um ihren Geliebten, Batash, um den sie sich sorgte. Der Gesuchte war wohl sein Freund und nun war er ausgezogen, um den Verfasser des Steckbriefs zu finden. Doch es fiel ihr schwer, der Elfe zu zu hören, nachdem sie die Neuigkeiten um ihren Bruder wusste: Dieser hatte scheinbar den Gesuchten nieder geschlagen und war dann mitsamt diesem im Kerker gelandet, wenn auch nur für eine Nacht. Yvaine war sich sicher, dass kein Unrecht in seinen Gedanken vorherrschte. Ian hatte dem Gesetz helfen wollen, einen Gesuchten zu fassen. Ob dieser Dunkelelf unschuldig war oder nicht - das tat nicht zur Sache für den Moment. Was Yvaine jedoch zu denken gab war, dass ihr Bruder bei ihrer Begegnung am letzten Tag mit keinem Wort erwähnt hatte, dass er im Kerker war. Ebenso wenig hatte er von dem Konflikt mit dem Dunklen erzählt. Yvaine verabschiedete die Elfe, als sie sich vergewissert hatte, dass sie wohlauf war. Sie würde sich nach Batash umhören - immerhin schien dieser sie ja sogar zu suchen. Als sie sich wieder Iaskell und der Skulptur zu wand, sah sie, dass jener im Gespräch mit einem Dunklen war. Er sah nicht aus, wie die Dunklen, die Yvaine kannte. Grotesk und fehl am Platz wirke die klinisch weiße Kleidung und die Brille mit den dicken Gläsern. Ebenso ungewöhnlich war, dass er die Handelssprache eher gebrochen sprach. Der Dunkle, der sich als Rhylorasz vorstellte, schien eine Art... Forscher zu sein. Auch er war auf die Skulpturen aufmerksam geworden und untersuchte jene. Merkwürdiges Werkzeug führte er mit sich und als er gar ein Skalpel zur Hand nahm und eine gefrorene Locke der Skulptur abtrennte und in einer Phiole verschwinden ließ, um jene zu untersuchen, schöpfte Yvaine Hoffnung. Ein irrer Gedanke machte sich in ihrem Kopf breit. Sie fasste sich ein Herz, bat den Dunklen, dass er sich sofort im Tempel melden würde, so er etwas über das magische Eis herausfinden konnte. Rhylorasz wirkte zwar skeptisch, sagte jedoch zu, unter der Bedingung, dass die Priester ihm die Handelssprache besser lehren würden. Er lehnte ein Quartier im Tempel oder im Fasan ab und verabschiedete sich. Yvaine war erleichtert, als sie endlich wieder allein waren und sich den Studien an der Statue zu wenden konnten. Doch Iaskell hatte es auf einmal sehr eilig, zurück in den Tempel zu kommen. Die Statue schien ihm egal. Schweren Herzens folgte sie ihm, dachte immerfort über seine Worte nach. "Wir haben sie umgebracht..." Sie verstand, was er mit diesen Worten meinte. Und diese Wahrheit war brutal. Sie verschloss dem Exekutor die Augen vor seinen Pflichten und Aufgaben. Sie riss den Blick von der Decke los, als die ersten Sonnenstrahlen über die Marschen brachen und seufzte leise, in Erinnerung an den Streit, der nach ihrer Rückkehr in den Tempel folgte. ((Stimme aus dem Off: Ich poste hier einen Screen, da ich mich nicht in der Lage sehe, ein so intensives RP in zusammenfassende Worte abzubügeln. Neugierige bitte hier weiter lesen .)) Nachdenklich betrachtete sie den Schlafenden neben sich. Yvaine war erleichtert, dass dem Streit schließlich eine Aussprache gefolgt war und Iaskell ihr endlich zugehört hatte. Wenn ihre Theorie wahr war, gab es nicht nur für die erfrorenen Bürger Dions Hoffnung. Leise stand sie auf und schlüpfte in die wollene Reisekleidung. Sie würde der Idee weiter nach gehen, ehe sie sich gestattete, sie auch nur in Gedanken aus zu sprechen. Hoffnung konnte Mut machen, doch sie konnte auch verzweifeln, so sie unerfüllt blieb. 12 - Zwischenspiel. - Yvaine - 13.03.2012 Lass die Hoffnung siegen über die Angst. Lass das Vertrauen siegen über die Ungewissheit. Und deine Liebe wird siegen über die Zweifel. (unbekannt) So verließ sie also den Tempel und ging ins Dorf hinunter. Der Zustand der Skulpturen war unverändert. Als Yvaine sich zu eine der Statuen beugte, hörte sie abermals die leise, um Hilfe flehende Stimme. Es war also keine Einbildung gewesen. Sie betrat den Magieladen. Yvaine hatte gehofft, Gaoth hier zu finden, doch leider wurde sie enttäuscht. Sie hätte gern ihre Meinung zu der Magie Freyas und des Eises erfahren. Marie half, die nötigen Dinge zusammen zu bekommen, wenn die Ladengehilfe doch deutlich skeptisch auf die Utensilien schaute, die sich dort zusammen gesammelt hatten. Verkorkte, leere Phiolen, ein Skalpel und andere merkwürdig aussehende Gerätschaften, zu denen Yvaine nicht einmal den Namen kannte. Ungewöhnlich für eine Priesterin. Doch ungewöhnliche Zeiten forderten ungewöhnliche Maßnahmen. Yvaine bezahlte die Utensilien und ließ sie in den Manteltaschen verschwinden. Maria fragte nicht, wofür sie Dererlei benötigte und dafür war die Priesterin dankbar. Es waren noch nicht viele Bürger auf den Straßen. Noch immer waren die Temperaturen alles andere als mild, wenn auch nun die natürliche Jahreszeit dafür verantwortlich waren. So konnte Yvaine fast ungesehen von neugierigen Blicken an jede Skulptur heran treten und mit dem Skalpel eine Haarlocke entfernen. Wie Rhylorasz am Vortag ließ sie die gefrorenen Locken in die Phiolen ein, verkorkte sie sicher und strich sie wieder ein. Langsamen Schrittes kehrte sie zum Tempel zurück. Die Hand in der Manteltasche schloss sich um den kruzifix-verkorkten Flakon. Yvaine blieb auf dem Weg stehen, zog ihn heraus und betrachtete ihn nachdenklich. Das Glas war noch immer unnatürlich kalt. Sie schüttelte den Kopf. "Was bist du nur..." "Eine Seele? Was sonst." Sie zuckte zusammen, da sie keine Antwort auf die Frage erwartet hatte. Einige Schritte neben ihr stand ein Kamael. Es war nicht der, den sie auf der Verhandlung in Heine und beim Angriff auf Freya gesehen hatte und als Oberkerdhras Mirath in ihrer Erinnerung geblieben war. Der Mann trug eine einfache, schmucklose Rüstung und schien keinen besonders hohen Rang zu haben. Als sie verharrte, trat er näher, ein neugieriges Blitzen in den lilanen Augen. "Seid Ihr sicher?" Er schmunzelte kalt. "Ich bitte Euch, Weibsstück. Natürlich bin ich sicher." Er streckte die behandschuhte Hand nach dem Flakon aus. Yvaine hielt das Gladbehältnis fest, während er es untersuchte. Sie traute den Gefiederten nicht besonders und dieser Gegenstand hatte einen zu großen Wert, versprach zu große Hoffnung, als dass sie es auch nur wagte das Risiko einzugehen, ihn zu verlieren. Sie betete insgeheim, dass die dicken Lederhandschuhe des Kamael die Kälte abhalten würden, so dass das wahre Geheimnis des Flakons gewahrt blieb. Sie schien Glück zu haben - zumindest ließ der Mann sich nichts anmerken. Konzentriert musterte er das Glimmen und Glühen hinter dem Glas. "Sie ist nicht... komplett." murmelte er, ließ dann die Hand wieder sinken. Hastig ließ Yvaine den Flakon wieder verschwinden. "Woher habt Ihr das?" Sie schüttelte abwesend den Kopf. "Nicht wichtig." Sie verabschiedete sich eilig und verschwand im Tempel. Die Gewissheit WAS genau sich in diesem Flakon befand, ließ ihr eiskalte Gänsehaut über den Rücken kriechen. Sie waren der Lösung so nahe. So greifbar nahe. Der Soldat der Kamael blieb zurück, blickte der Priesterin nachdenklich nach. Dass die Menschen des Dioner Tempels eine Seele in ihrem Besitz hatten, was ungewöhnlich. Vielleicht würde er Oberkerdhras Mirath davon berichten. Einen Grund zur Beunruhigung sah er jedoch nicht. Er hatte die Kälte nicht gespürt, die der Flakon aussandte. Es war eine gewöhnliche Seele für ihn. So beließ er es dabei und ging seiner Wege. 13 - Gebrochener Schwur. - Yvaine - 19.03.2012 Vertrauen ist das Gefühl, einem Menschen sogar dann glauben zu können, wenn man weiß, dass man an seiner Stelle lügen würde. (Henry Louis Mencken) Ganz und gar unpriesterlich knüllte sie das begonnene Pergament zusammen und schleuderte es gegen die Wand, nur um es im nächsten Moment wieder aufzuheben und zu entfalten. Nicht zum ersten Mal, was man der verschmierten Tinte ansah. Abermals las sie den Abschnitt im alten Wälzer, der ihr schon mehr als nur eine Frage beantwortet hatte. "Dunkle Magie und Seelenbindungen" - allein der Titel schien sie und ihren Glauben zu verhöhnen. Yvaine gab ein leises Seufzen von sich und rieb sich die Stirn. Es war kaum Mittag und trotzdem fühlte sie sich schier ausgelaugt. Das Gespräch mit Ian hatte ihr nicht nur gut getan, es hatte ihr nur zu deutlich gezeigt, welche Grenzen ihr Glaube ihr in dieser Aufgabe in den Weg stellte. Noch einmal fuhr die Gänsefeder die einzelnen aufgeführten Punkte nach. Wenn sie dem Buch Glaube schenken konnte, so würde es eine Möglichkeit geben, auch mit dem Bruchteil an Seele Freyas, das sie besaßen, die eingefrorenen Menschen zu erlösen. Doch kaum einer der aufgeführten Punkte verstieß nicht in irgendeiner Art gegen die Tugenden, Werte, Ideale... die der Glaube Einhasads beinhaltete. Schlimmer noch: Gerade der Schwur, den sie als Priesterin Einhasads geschworen hatte, warf Schwierigkeiten auf, die sich wie Felsbrocken vor die Erlösung der Gefangenen legten. Sie würden die Seele Freyas bannen müssen, um sie zu benutzen. Und sie würden gegen Gesetze verstoßen müssen. Eine Seele bannen... allein der Gedanke machte ihr Angst. Seelen sollten Ruhe finden. Sie dann auch noch gegen ihren Willen zu benutzen... Undenkbar. Was jedoch weitaus undenkbarer war, war es, gegen eine Einwilligung der jeweiligen Stadtoberhaupte die bestatteten Leichen der Kälteopfer zu exhumieren. Doch eine Erlaubnis würde niemand erteilen - nicht zu einem Plan, der genauso gefährlich wie absurd klang. Yvaines Gedanken wurden durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Hastig ließ sie das Pergament verschwinden und trat an die Tür. Es war der Bote, den sie früh morgens entsandt hatte. Mit leisen Worten des Danks nahm sie die Pergamentrolle entgegen, die er ihr reichte und überflog sie, als der Mann wieder gegangen war. Eine Liste aller, die durch Freyas Magie zu Eis erstarrt und bereits beerdigt waren. Mit Erleichterung sah Yvaine nun schwarz auf weiß, dass fast alle tatsächlich beigesetzten in Schuttgart zu finden waren. Im Herz der Kälte... der Gedanke ließ sie kurz erschaudern, ehe sie auch dieses Pergament zusammenrollte und ans Fenster trat. Sie war nicht überrascht, Iaskell zu sehen, der dort unten am steinernen Geländer stand, den Blick über die Wiesen zum Wald schweifen ließ, offensichtlich in Gedanken. Ohne es zu wissen, machte er Yvaine ihren Entschluss ungleich schwerer. Er würde ihr helfen, ihr beistehen - auch wenn ihr Weg nicht der war, der den Werten der Göttin entsprach. Sie seufzte leise auf. Würde sie diesen Weg gehen und damit in den Ungunst Einhasads fallen, war das, was sie ihr Leben lang erstrebt, sich erarbeitet hatte, verwirkt. Doch es würde das Leben von Menschen retten können, die in der komaähnlichen Stille des Eises gefangen waren. Unschuldige Seelen. Im Tausch gegen den eigenen Glauben, gegen das eigene Seelenheil. "Ist etwas wirklich böse, wenn es Gutes erbringt?" Sie dachte über Ians Worte nach. Das, was sie tun müsste, würde bedeuten, dass ihr Weg in die Schatten führen würde - um zurück zum Licht zu gelangen. Vielleicht würde Einhasad ihr vergeben, so sie sehen würde, dass ihr Tun Gutes bezweckte. Wenn nicht... Yvaine schluckte trocken, verbannte die Zweifel. Doch wenn sie Iaskell mit in diese Schatten nehme... wer würde da sein und sie zurück ins Licht führen, wenn nicht er? Wie könnte sie ihm erklären, was sie tun müsste? Wie könnte er sie verstehen? Sie wusste ob seiner Zweifel, seit er erfahren hatte, dass die eigene Schwester lebendig begraben wurde. Sie kannte seine Ängste. Und genau darum wusste sie, dass sie ihn loslassen musste - nur einen Deut, um ihn nicht auch noch zu zerbrechen. Schließlich gab sie sich einen Ruck, trat vom Fenster zurück. Mit zitternden Fingern zog Yvaine die weißsilberne Priesterkutte aus, die so lange ein Teil ihrer selbst gewesen war und schlüpfte in die gewöhnliche schwarzgrüne Reiserobe. Deutlich schwerer fiel das Abstreifen des Krufizixes. Robe und Kette legte sie sorgsam aufs Bett und wandte sich dem Arbeitsplatz Iaskells zu, den sie für ihre Arbeiten genutzt hatte. Knappe Worte fanden ihren Platz auf jungfräulichem Pergament, welches seinerseits einen Platz auf der Priesterrobe auf dem Bett fand. Ist etwas wirklich böse, wenn es Gutes erbringt? Zweifle niemals. Gebe nie auf. Vertraue. Yva. Als sie das Zimmer verließ, deutete nichts daraufhin, dass sie wirklich gegangen war. Nichts außer dem Flakon mit Freyas Seele und einer einzelnen Phiole mit einer gefrorenen Locke darin begleitete ihren Weg. Das Zimmer sah aus, als würde sie jeden Augenblick zurück kommen. Yvaine zog die Kaputze des dunklen Mantels tief ins Gesicht und trat in die Kirche herunter. Es war niemand hier, wie sie erleichtert feststellte. Vor dem Altar und der steinernen Statue Einhasads brach sie in die Knie, mehr unfreiwillig, als die Beine das Gewicht nicht mehr trugen, dass ihre Schultern gen Boden drückte. "Einhasad, meine Göttin, du Hellerleuchtete. Heute knie ich vor die als dein Kind, eines der Kleinsten gar - nicht als die Priesterin, als die ich dir zu dienen schwor. Bitte nimm diese Bürde von mir! Sieh, diese unschuldigen Wesen dort draußen, gefangen im magischen Gefängnis der Eisgöttin. Sie finden nicht den Weg zu dir, in deine erleuchteten Hallen - und doch nicht den Weg zurück zu uns. Die Mittel, die ich nutzen werde, um sie zu befreien, sind nicht die, die du für gut erheißen würdest. Doch sind es die einzigen, die uns bleiben, um sie aus diesem Stillstand zu erlösen. Ich breche meinen Schwur, wissend. Um ihnen zu helfen. Bitten will ich um deine Vergebung der armen Seele Freyas, die nicht wusste was sie tat. Niemand ist von sich aus böse. Verwirrte Gedanken verleiten dazu, unverzeihliches zu tun. Vergebe ihr." Eine Träne fiel, als die Stimme der Priesterin in leises Zittern brach. "Und so es deine ewige Güte erlaubt, vergebe auch mir. Und gebe deinem treuen Diener Iaskell Kraft, mich zurück ins Licht zu führen, auf deinen Weg, so meine Aufgabe beendet ist." Yvaine verließ die Kirche, ohne zu bemerken, dass an der Hintertür jemand stand, ihre Worte wohl gehört hatte, unfähig, sich ob ihnen bemerkbar zu machen oder nur zu rühren. Trotz der warmen Strahlen der Nachmittagssonne schlang sie die Arme fest um den Körper, zitternd und frierend, während ihre Schritte sie zum Schloss führten. Wehmütig der Blick zurück über das Dorf und die Kirche, die wie eine Wächterin auf der natürlichen Erhebung des Hügels thronte. Sie würde zurück kehren. Noch heute. Doch nicht als Priesterin. 14 - Eine Seele für Kain. - Yvaine - 20.03.2012 Unternimm nie etwas, wozu du nicht das Herz hast, dir den Segen des Himmels zu erbitten. (Georg Christoph Lichtenberg) Interessiert, wenn auch sichtlich angespannt blickte sich Yvaine in dem Raum um, in den die Fürstin sie geleitet hatte, ehe sie sich auf dem gewiesenen Sessel bequem machte. Ein Diener brachte einen Krug Wein und einen Krug Wasser und verschwand wieder. Yvaines Blick blieb an dem Wasserkrug hängen. Sie hatte schon beinahe die Hand danach ausgestreckt, ehe sie es sich anders überlegte und es Gaoth gleich tat, den Weinkrug wählte. Sie hatte seid ihrem Entschluss, Priesterin zu werden, keinen Alkohol mehr angerührt. Warum sie es nun tat... ungewiss. Vielleicht, um sich selbst daran zu erinnern, warum sie hier war. Welchen Weg sie gewählt hatte. "Nun, was kann ich für Euch tun?" Die Stimme der Fürstin riss Yvaine aus ihren Gedanken. "Nun, es fällt mir schwer, es in Worte zu fassen," begann sie, während sie den Wein ins Glas goss, "Ich habe eine recht... dreiste Bitte an Euch." Die Gegenüber schaute sie ruhig an, wertfrei. "Nun, ob sie dreist ist, kann ich erst beurteilen, wenn Ihr sie mir mitgeteilt habt."Yvaine nickt sacht, beschloss, ihr alles zu erzählen, was sie wusste. Einer Kains-Priesterin zu vertrauen, wenn es um Leben und Tod geht... war alles andere als einfach. Doch war es ihre einzige Hoffnung. Mit ruhiger, gefasster Stimme fasste Yvaine zusammen, was sie über die Eisskulpturen herausgefunden hatten. Tatsächlich schien Gaoth keine Sekunde daran zu zweifeln, dass die Menschen, die dort in magisches Eis gefasst waren, noch am Leben waren. Schließlich reichte sie ihr den Flakon mit dem Seelenfragment Freyas und erklärte, wie sie vor hatte, vorzugehen. Zuerst schien die Gegenüber skeptisch. "Was macht Euch glauben, dass dieses Fragment oder ich etwas mit den Statuen machen können? Wenn es in meiner Macht läge, hätte ich die Ärmsten schon aus ihrem Eispanzer befreit." "Dies hier." Yvaine tastete nach der Phiole in der Manteltasche und reichte sie ihr. Die gefrorene Locke war darin und man sah deutlich die angetaute Stelle, das Eis, das verformt war - nur wenige Millimeter ohne den Inhalt wirklich preisgeben zu können."Ich habe die Strähne mit dem Flakon in Berührung gebracht. Ich bin mir sicher, wenn das Glas nicht wäre, wäre es gelungen, das Eis zu tauen. Ich hatte Angst, die Seele aus dem Flakon zu lassen. Wenn das, was ich gelesen habe wahr ist, würde sie verschwinden und gar ihre fehlenden Fragmente suchen." Gaoth bestätigte die Vorahnung Yvaines: "Nun, das ist gewiss. Eine freigelassene Seele wird entweder einen neuen Körper suchen, meist den Körper desjenigen, der ihr am Nächsten steht. Oder sie wird als Irrlicht die Welt durchstreifen. Nur wenigen gelingt der Übergang in Kains Reich. Da es sich um ein Fragment handelt, besteht Anlass zur Vermutung, dass dieses Fragment erst die anderen Fragmente suchen wird. Was wäre, wenn die vereinte Seele einen neuen Körper übernimmt?" Yvaine konnte nicht verhindern, dass es ihr eiskalt den Rücken herunter lief. Sie sah in ihrem geistigen Auge noch immer Iaskell vor sich, entschlossen, den Flakon auf dem Boden zu zertrümmern und die Seele so zu befreien. Was wäre geschehen, wenn sich das Fragment des Priesters Körpers bemächtigt hätte? Was auch immer es war, dass sie bewegt hatte, Iaskell an seinem Tun zu hindern... für den Moment war Yvaine unendlich dankbar für diese Intuition, Eingebung... oder was auch immer es gewesen war. Sie räusperte sich leise, um ihre Worte wieder zu finden und das Bild aus ihrem Kopf zu verbannen. "Der Umgang mit Seelen... verzeiht... liegt Euch gewiss näher als mir. Darum ersuche ich Euch. Wenn es möglich wäre, das Seelenfragment durch einen Zauber zu bannen und es so zu benutzen... könnte es Hoffnung geben." Die Fürstin dachte einen Moment über die Worte der vermeintlichen Priesterin nach, nahm einen Schluck Wein. "Ihr, eine Priesterin Einhasads bittet eine Priesterin Kains eine Seele zu bannen? Fürchtet Ihr nicht um Eure eigene Seele? Würde Eure Göttin dies billigen?" Yvaine hatte diese Frage erwartet, so war die Antwort wohl überlegt und kam aus dem Herzen, obgleich sie alles andere als leicht war: "Nein. Ich, eine gewöhnliche Frau, deren Herzenswunsch es ist, die im Eis Gebannten zu erlösen, bitte um die Hilfe einer Priesterin Kains, die solcher dunklen Werke bewanderter ist, als ich selbst es je sein könnte. Unser Ziel in diesem Kampfe ist das Selbe." Die behandschuhte Hand der Fürstin striff den Hut herunter, der ihr Gesicht seitdem Yvaine sie kannte stets in Schatten gehüllt hatte. Violette Augen mustern Yvaine kurz, ehe es rötlich in ihnen aufglimmt. "Ihr wisst, dass ich dafür, dass ich Kain diese Seele vorenthalte um Eure bitten könnte. Ich könnte Euch auch Eure Seele im Tausch nehmen, ohne darum zu bitten. Oder gar die Eures Bruders. Wärt Ihr wirklich bereit einen so hohen Preis zu zahlen?" Die Stimme der Anderen hatte einen dunklen, verlockend samtenen Klang angenommen. Ein Klang, der ein schwaches Herz verleiten würde, alles aufzugeben. Es kostete sie alle Konzentration auf das Ziel, um nicht zu verfallen, den Blick Gaoths ohne Furcht zu erwiedern. "Ich hatte vor Euch das Seelenfragment Freyas nach Vollendung seiner Aufgabe zu überlassen. So Euer Wunsch nach einer Weiteren sucht... so nehmt die Meine. Nicht die eines Unschuldigen." Das Glas in der schmalen Hand zitterte leicht. Doch sie widerstand. Der Moment verstrich. Gaoth lehnte sich wieder zurück. "Nein, weder noch. Es war ein Test, Yvaine." Ihre Stimme klang wieder normal und ein Teil Yvaines entspannte sich zumindest einen Deut wieder. Sie blinzelte verwundert, als das Nachhallen der Stimme in ihrem Kopf verklungen war. "Was wolltet Ihr bezwecken?" "Ich wollte wissen, wie sehr Ihr das Leben Anderer über Eures stellt. Eine starke Seele, welche recht wohlgesonnen im Reiche Kains aufgenommen würde." Das raubkatzenartige Lächeln der Fürstin ließ Yvaines Hand abermals zittern bei diesen Worten. Hastig senkte sie den Blick. "Dann werdet Ihr mir helfen, diese Menschen zu befreien?" "Ja, das werde ich. In der heutigen Nacht ist Neumond. Ich werde die Seele in einen Seelenkristall Kains transferieren. Mit diesem könnt Ihr das Fragment nutzen." Erleichtert nippte Yvaine an ihrem Wein. --- Als sie das Schloss verließ, fühlte sie sich leicht schwummrig. Obgleich sie nur zwei Gläser getrunken hatte, war der schmale Körper Alkohol doch nicht gewohnt. Das Gespräch hatte ihr Hoffnung gegeben. Xarona, die Kantoristin der freien Händler Dions, hatte ihr zugesagt, einige Wachen und Söldner zur Verfügung zu stellen, die mit ihr nach Schuttgart reisen und die vereist Beerdigten zu exhumieren, ohne dass die Eminezen Wind davon bekommen würden, bevor die Totgeglaubten wieder lebendig waren. Sie würde nichts weiter tun müssen, als auf Nachricht vom Schloss zu warten. Der Weg zurück zum Tempel fiel ihr jedoch trotz aller Erleichterung schwer. Sie hatte Angst vor weiteren Streits mit Iaskell, hatte Angst wie er auf ihre Botschaft reagieren würde. Angst... zu verlieren. 15 - Risse im Eis. - Yvaine - 23.03.2012 Der Mensch muss lernen, den Lichtstrahl aufzufangen und zu verfolgen, der in seinem Inneren aufblitzt. (Ralph Waldo Emerson) Spät in der Nacht traf die kleine Gruppe bei der ersten Eisskulptur ein. Die Nacht war wolkig und entsprechend düster, wie es Nächte kurz nach Neumond an sich hatten. Die Straßen waren leer und still, dennoch trat eine der beiden Wachen zurück, achtete auf jede potentiellen neugierigen Augen, die der Prozedur beiwohnen konnten. Yvaine führte den Stab mit sich, den Gaoth für sie anfertigen ließ, dessen kristallene Spitze die Seele Freyas in einem Kainskristall band. Die Laterne der zweiten Tempelwache beleuchtete den Platz um die Skulptur herum. Der Mann stellte sich zusammen mit Iaskell hinter die gefrorene Frau, Blicke wurden getauscht, ein Nicken. Die Priesterin, die ein Außenstehender kaum als eine solche erkennen würde, zog die schwarze Kaputze tiefer ins Gesicht, bevor sie leise ausatmete und den samtenen Beutel von der Spitze des zweieinhalbfuß langen Ebenholzstabs zog und die kristallene rotglühende Spitze enthüllte. In der fast kompletten Dunkelheit war das Leuchten alles andere, als unauffällig. Doch es musste gehen. Niemand hatte ihr gesagt, wie sie vorgehen müsste, so verließ sie sich ganz auf ihr Gefühl, führte den Kristall ans kalte Eis, das die junge Frau vor sich gefangen hielt. Der Kristall malte die Umrisse des Körpers nach, umfuhr ihn, ohne dass etwas passierte. Der Tempeldiener schenkte dem Priester neben sich einen beinahe mitleidigen Blick, der keiner anderen als der Priesterin galt. Jene wollte gerade enttäuscht den Stab senken, als ein leises Knacken die Stille brach - so leise, dass man es sich auch eingebildet haben konnte. Dann folgte ein zweites Knacken, deutlich lauter. Risse bildeten sich im Eis. War es im Moment die Faszination, die Yvaine davon abhielt, den Stab vom Eis zu lösen, so hätte sie es im nächsten Moment auch nicht mehr gekonnt, denn es war, als würde eine frostige Hand den Kristall an seiner Spitze packen und halten. Dann verfärbten sich die Risse in ein tiefes Rot - fast als würde Blut aus ihnen treten. Zutiefst erschrocken klammerte sich Yvaine ans kühle Ebenholz des Stabs. Ihre Gedanken rasten. Hatte sie die Frau im Eis verletzt? So viel Blut, es schnürte ihr die Kehle zu. Neben ihr zog Iaskell erschrocken Luft ein. "Hat... das so zu sein? Bist du sicher? Es war doch bei der Locke... nicht... auch so?" fasste er ihre Gedanken in Worte. Doch ein weitaus Schlimmerer beschlich Yvaine - dass dieses Mädchen unter dem Kainskristall starb. Doch es war noch nicht vorbei. Das Rot... veränderte sich. Schien es eben noch flüssig, so verlor es jeden Aggregatzustand, schien nunmehr zu glimmen, wie ein erloschenes Feuer, in dessen noch heiße Asche ein Lufthauch fuhr. Obgleich sie nur dastand und den Kristallstab hielt, schwand wie durch magische Hand ein Teil der Kraft, die der Priesterin innewohnte. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, unfähig sich zu rühren oder zu sprechen. Dann brach der Bann. Das Glimmen der Sprünge, die sich durch das Eis zogen verschwand abrupt. Ebenso die Hand, die den Stab festzuhalten schien. Yvaine prallte zurück, schlug auf den Boden auf, als der Widerstand verschwand, die Hand los ließ. Zeitgleich brach ein lautes, finales Knacken die Stille und das Eis zersprang. Der Panzer löste sich vom darunterliegenden Körper und fiel zu Boden, ohne dass die Splitter auf dem harten Stein zerbrachen. Die Tempelwache packte hastig zu, um die befreite Frau zu fangen, ehe jene zu Boden stürzte. Yvaine hatte die Augen kurz geschlossen, um die Bewusstlosigkeit zu vertreiben, die der Schlag auf den Hinterkopf beim Sturze eingebracht hatte. Schwärze umhüllte sie, glitzernde silberne Punkte. Doch der Moment verging. Benommen blinzelte sie in Iaskells Augen, der neben ihr kniete. Sie hatte seine Stimme zwar gehört, doch nicht was er sagte. "Ist es... gelungen?" Zittrig ließ sie sich auf die Beine helfen und trat zur Tempelwache, die die junge Frau in den Armen hielt. Sehr blass war sie, die Lippen zitterten in bläulicher Färbung, unterkühlt und schwach. Dankbar blickte Yvaine zu, wie Iaskell die Erlöste mit der Wärme Einhasads bedachte, ein kleiner Notfallzauber, der das Leben zurück in die Venen des Mädchens brachte. Die Tempelwache brachte die Frau in die Kirche, wo bereits notdürftige Krankenlager bereit standen, Decken und Tee zur Verfügung und zwei Tempeldienerinnen, die sich sogleich der Gebrachten annahmen. Leisen Schrittes durchquerten die Anderen in der Zeit das Dorf, um zur nächsten Skulptur zu gelangen. Noch zwei lagen vor ihnen... --- Der Morgen dämmerte, als die letzte Erlöste in den Tempel gebracht wurde. Yvaine konnte sich kaum auf den Beinen halten. Sie würde sich stärkende Tränke von Maria brauen lassen müssen, wenn sie in Schuttgart nicht einfach zusammenbrechen wollte. Es war nie einfach, sich mit fremden Göttern einzulassen. 16 - Reisetagebuch. - Yvaine - 26.03.2012 Wir reisen nicht nur an einen anderen Ort, sondern vor allem reisen wir in andere Verfassungen der eigenen Seele. (Werner Bergengruen) Erster Tag der Woche - Vorbereitungen In Dion ist es ruhig geworden. Die erste Aufregung darüber, dass längst tot Geglaubte wiederkehrten hatte sich gelegt, obwohl keiner wusste, wie dieses Wunder vollbracht wurde. Wie zu erwarten war, waren die Menschen vorerst misstrauisch, dachten an Besessenheiten und Untote. Doch als sie erkannten, dass ihre Lieben noch die waren, die sie durch Freyas kalte Hand verlassen hatten, war die Freude stets groß. Trotz dessen werden wir weiterhin nachts arbeiten. Ein Priester Einhasads zusammen mit einer Vermummten, die einen Kainskritall führt - es gab Vertrauenserweckenderes. Zumal die Kirche Dions einen Ruf zu verlieren hatte - so auch Iaskell. Ich bin nach wie vor dankbar, dass er mich begleitet. Maria hatte dafür gesorgt, dass wir eine ganze Reiseapotheke an Tränken und Kräutern im Gepäck hatte. Um Proviant war weitestgehend gesorgt, wir waren bereit, aufzubrechen. Zweiter Tag der Woche - Schuttgart Wie gut es tat zu reisen, nachdem das Eis Freyas verschwunden war! Um die Reste würden wir uns kümmern. In Schuttgart zu beginnen war nicht leicht. Zwar versuchten wir abermals, mit den Instanzen zu sprechen, doch einer Exhumierung des gefroren begrabenen Mädchens Jakeline Liarven wurde nicht zugestimmt. Wir besuchten das Grab in den späten Abendstunden und ich versprach, zurückzukehren. Ob sie es hörte und verstand - ungewiss. Spät in der Nacht passten wir den Wachwechsel ab und befreiten die Erfrorenen, um in den frühen Morgenstunden nach Goddard zu reisen. Dritter Tag der Woche - Goddard Nachdem wir uns um den Stand der Skulpturen in der uns nicht gut bekannten Stadt vergewissert hatten, kehrten wir in ein Gasthaus ein, stärkten uns und schliefen, bis die Nacht hinein brach. Das Erlösen der Skulpturen gelang ohne Komplikationen. Mittlerweile hatten wir uns gut eingespielt, nachdem ich die Menschen befreit hatte, kümmerte sich Iaskell mit der Heilung Einhasads darum, sie zu stabilisieren. Wir brachten sie zum Krankenlager. Zwar wunderte man sich, dass mitten in der Nacht bei eher milden Temperaturen schwer unterkühlte Menschen eingeliefert wurden, doch keiner stellte unangenehme Fragen. Vierter Tag der Woche - Aden Die Königsstadt empfing und bei strahlendem Sonnenschein. So ließen wir uns einen kleinen Spaziergang zum See nicht entgehen, wo wir bei frühlingshaft warmem Wetter den fehlenden Schlaf nachholten und im frühen Abend vom Proviant aßen. Ich sorgte mich um Iaskell. Die Anwendung der heiligen Magie hatte ihn zusehend geschwächt und auch ich war weit von einer guten Beschaffenheit entfernt. Marias stärkende Tränke halfen jedoch recht schnell, so dass wir zur Nacht wieder hergestellt waren. Die Wachen in Aden verdienten ihren guten Ruf. Es war nicht einfach, an ihnen vorbei zu kommen. Als wir bei der zweiten Skulptur angelangt waren, wurden wir erwischt. Doch angesichts des erlösten Menschen schlug der Wachmann nicht Alarm und half sogar, den Unterkühlten ins Krankenlager zu bringen. Dank ihm war die Erlösung der noch Fehlenden problemlos. Fünfter Tag der Woche - Oren Das Wetter hatte umgeschlagen. Tiefer Nebel hing sogar in der Stadt und es regnete. Wir suchten Zuflucht in einer Taverne, doch auch nach Einbruch der Nacht klärte es sich nicht auf. Doch genau betrachtet war das Wetter ein Segen. Regen und Nebel verschluckte die Geräusche, verhüllte unser Tun und versteckte sogar fast ganz das Leuchten des Kainskristalls. Bei zweien der geschwächten Menschen gab es Komplikationen. Es zog sich sehr und erst in den frühen Morgenstunden waren alle befreit. Wir schliefen in Oren. Sechster Tag der Woche - Tal der Jäger Zu Fuß reisten wir ins Tal der Jäger. Das Wetter hatte sich zumindest etwas beruhigt, so dass wir zwar unter dichten Wolken wanderten, die frische Luft uns jedoch gut tat. Dies waren die Vorzüge des Reisens! Ich genoss es sehr und war fast etwas betrübt, als wir im Dorf ankamen. Meine Sorge, dass die Wachen hier deutlich wachsamer waren, als in anderen Städten, bestätigte sich nicht. Sie waren die Geräusche der Nacht gewohnt, immer wieder verirrten sich Tiere ans Dorf. Das Befreien ging einfach von statten, so dass wir mit Anbruch des neuen Morgens durch das magische Portal weiter reisen konnten. Siebter Tag der Woche - Giran Die Vorzüge der Handelsstadt verschliefen wir. Die Reise zehrte doch stärker an uns, als wir dachten. Der Kainskristall wurde schon schwächer, das sah man deutlich. Ich war zum ersten Mal fast froh über den Zweiten, der in dem Holzkästchen in meiner Manteltasche ruhte. Doch mit etwas Glück würde der Stab noch halten, weiteren Erfrorenen zurück ins Leben helfen. Die vielen Winkel und Gassen der Stadt halfen uns, unauffällig zu agieren. Schwieriger wurde es auf dem Marktplatz, wo die zwei Nachtwachen direkt bei eine der Skulpturen standen. Ich entschied, offen mit ihnen zu reden. Und tatsächlich war uns das Glück hold: Es waren eben jene Beiden, die ich während des Winters mit Tee versorgt hatte. Sie erkannten mich wieder und stellten keine Fragen, so dass wir auch die letzte Giraner Bürgerin aus dem Eis holen könnten. Erster Tag der zweiten Woche - Gludio Die Teleportationsmagie schwächte uns. Sie jeden Tag nutzen zu müssen, ging in die Knochen und in den Magen. Als ich aus dem Portal trat, brauchte ich dieses Mal lange, um gegen die Übelkeit und die Kreislaufprobleme anzukämpfen. Obgleich Iaskell sich bemühte, sich vor mir nichts anmerken zu lassen, taumelte auch er sichtlich. Marias Tränke leisteten uns gute Dienste und nachdem ich in der Taverne einen Tee aus einigen der Kräuter brühen konnte, fühlten wir uns wieder etwas gestärkt. Alles ging reibungslos. Zweiter Tag der zweiten Woche - Gludin Die Heimatstadt. Zu gern wäre ich länger geblieben und hätte das Haus der Eltern an der Küste besucht. Doch die Zeit drängte. Mir war etwas wehmütig und umso deutlicher wurde der Entschluss, hierher zurück zu kehren, so alle Skulpturen erlöst waren. Gludin war die letzte Stadt auf unserer Liste und da sie so verwinkelt war, ich jede Ecke genaustens kannte, waren wir schnell fertig. In der selben Nacht reisten wir nach Dion zurück. 17 - Am Ende des Weges. - Yvaine - 02.04.2012 Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme. (Friedrich von Schiller) Der neue Morgen schob sich ins Land und ließ den Regen vom Vortag in Vergessenheit geraten. Yvaine brach früh zum Hafen auf, den Stab mit dem Kainskristall im Gepäck. Die Temperaturen ließen es zu, dass sie den dicken Mantel im Haus ließ, ungewiss, dass sie dies noch bereuen würde. Am Hafen Gludins lieh sie sich ein kleines Ruderboot und ruderte aufs offene Meer. Die See war mild und die Strömung mache es ihr leicht. Der Leuchtturm am Ufer wurde kleiner und eine lange Weile paddelte Yvaine vor sich hin, bis sie bemerkte, dass die Strömung sie südwestlich gezogen hatte. Bald war nur noch der kleine Leuchtturm zu sehen. Dann ließ der Sog nach und das kleine Boot ließ sich weiter nach Westen lenken, aufs offene Meer. Yvaine legte die Ruder ins Boot, nahm den Stab zur Hand. Nachdenklich betrachtete sie ihn, fühlte das verlockende Kribbeln der Fingerkuppen auf dem kühlen Ebenholz. Schließlich nahm sie den Stein, etwas über kopfgroß, und band ihn an den Stab. Schwer lag dieser nun auf ihrem Schoss, das Gewicht drückte sich unsanft in die Oberschenkel. Sie schloss die Augen, obgleich sie Angst vor dem Ergebnis hatte. Doch nur das leise Rauschen entfernter Wellen war zu hören, ab und an das Kreischen einer Möwe. Die Stimmen schwiegen. Erleichtert atmete sie aus, öffnete die Augen wieder. Die Mittagssonne strahlte und die Wasseroberfläche reflektierte ihr Licht, wandelte es in Wärme. Ließ sie fast vergessen, warum sie hier war. Vorsichtig löste Yvaine das Band, das den Samtbeutel über dem Kainskristall hielt, die Spitze des Stabs verhüllte. Wie satt das Rot im Licht der Sonne leuchtete, strahlte! Der Kristall war schwach geworden, nachdem alle Skulpturen erlöst waren, doch das Leuchten war nie ganz erstorben. Nun schien es fast noch heller als an dem Tage, als sie den Stab bekommen hatte. Etwas derartig schönes zerstören? Das kann man nicht. Das darf man nicht. Sie nahm kaum wahr, dass das Rauschen des Meeres zum Flüstern ward. Schließe die Augen und wärme dich. Langsam fielen die Lider, um mit einem erschrockenen Ruck wieder aufgerissen zu werden. Die Hand, die unbewusst über den Kristall streichelte, schoss fast panisch an die Brust, um das Kruzifix zu umfassen. Es war nicht da. "Behalte es bitte bei dir. Wenn nicht um den Hals, so wenigstens in der Tasche deines Mantels." Sie hatte Iaskells Stimme noch genau im Ohr. Der Mantel... der noch immer über dem Stuhl im Haus hing. Panisch hob sie den Blick, tastete mit den Augen den Küstenstreifen ab, der erschreckend weit fort lag. Sie konnte den Leuchtturm nicht mehr sehen. Weder den kleinen, noch den Großen in dem das Leuchtfeuer brannte, das sie heim führen sollte. Irgendwo in der Ferne ließ sich eine Windmühle erahnen. Sie war viel zu weit gen Süden getrieben. Und viel zu weit aufs Meer. Sie musste diesen Stab loswerden! Entschlossen umfassten die Hände den Stab, kämpften gegen den inneren Drang, es nicht zutun. Die Sonne brannte nun fast auf der Haut, verführerisch kühl der rote Stein des Stabs, das Ebenholz. Schließe die Augen, entspanne. Eine starke Seele... Auch sie hat ihren Ursprung in mir. Wende dich zu mir... Diene mir... Das Gewicht des Steines schien zu dem einer Feder werden. Minuten verstrichen. Stunden. Die Sonne wanderte weiter. Ebenso das kleine Ruderboot. Dem Horizont entgegen. Es war alles so fern - die Göttin, der Mann, den sie liebte. Die Pläne, die noch am Vorabend zur Sprache kamen. Und auch die Aufgabe, der sie sich gestellt hatte. Deren Scheitern so nah war. Es dämmerte. Ein frischer Wind kam auf, drückte das Boot nach Norden. Yvaine erwachte aus ihrer Trance, als das kleine Boot zu schaukeln begann. Was tat sie nur? Was geschah mit ihr? Es war ein Fehler, allein raus zu segeln. Hastig nahm die die Ruder zur Hand, tauchte sie ins Wasser. Viele kraftvolle Züge später begriff sie, dass sie sich kaum von der Stelle rührte. Aus den kraftvollen Zügen wurde panisches Paddeln. Ein Ruder entglitt den Fingern, dann das Zweite. Verschlungen von der gierigen See. Sie zwang sich zu Ruhe, atmete mehrere Male langsam ein und aus, um nicht in Panik auszubrechen. Unschuldig leuchteten die letzten Sonnenstrahlen am Horizont, tauchten die Linie in ein tiefes, leuchtendes Rot. Yvaine blickte zum Ufer und erschrak. Kaum mehr als eine flache ferne Linie über pechschwarzer See, schwindend lichtem Himmel. Jetzt erst begriff sie, wie weit draußen sie wirklich war. Wie konnte sie nur so starrsinnig sein! Allein rausrudern, obgleich sie weder Strömung noch Wind kannte. Sie war Priesterin, keine Abenteurerin! Sie war keine Heldin! Zitternd schloss sie die Augen. Nein. Keine Priesterin mehr. Aussichtslos. Abermals zwang sie sich zur Ruhe. Wenigstens eines würde sie zu Ende bringen. Entschlossen packte sie den Stein mit beiden Händen, vergewisserte sich, dass der Knoten halten würde. Mit einem leisen Schrei wuchtete sie Stab und Stein über den Bootsrand, so dass der Ruck sie beinahe über Bord gerissen hätte. Der Stein entglitt den Händen, welche sich im selben Moment instinktiv an den Rand des Bootes aufstützten. Sie umklammerte den Rand schwer atmend, der Blick folgte dem Leuchten, dass in der stockdusteren Nacht des Meeres verschwand. Das einzige Leuchten. Und je weiter es sich entfernte, desto größer wurde der Wunsch, hinterher zu springen, das einzige Licht zu fassen, das blieb. Bis es erlosch und der Moment verstrich. Das Seelenfragment Freyas war fort. Niemand würde es finden, sich seiner bemächtigen können. Yvaines Stirn sank auf den Rand des Bootes. Sie lauschte in sich hinein. Die Stimmen waren fort. Und sie würden fort bleiben. Auch die Möwen waren verstummt, so weit draußen. Nur der Wind heulte. Immer lauter. Gischt schlug ihr ins Gesicht und das Salz des Meeres wusch das Salz der stillen Tränen fort. Yvaine kauerte sich auf dem Boden des Bootes zusammen, schlag die Arme um den Körper. Die Dunkelheit und die plötzliche Einsamkeit schlugen über ihr zusammen. Das Herz krampfte sich ihr zusammen als sie begriff, dass das Flackern des Leuchtfeuers im Turm unerhört bleiben würde. Iaskell würde vergebens warten. "Verzeih mir..." flüsterte sie in den Wind, "Bitte verzeih mir..." Das kleine Boot bebte und ächzte unter den Kräften der Wellen. Sie wollte es nicht mehr hören, weder die Geräusche des Holzes, noch das sonst so geliebte Meeresrauschen, noch die raue Stimme des Windes. Sie wollte schreien, all diese Geräusche überdecken. Ein leises Schluchzen entrann der Kehle, als das Boot kurz in der Luft schwebte, von Welle zu Wellte geschubst und ins Tal hinunterfiel, unsanft auf dem Wasser auf kam. Yvaine sah kalte Schwärze der See auf der einen Bootsseite, wenige Sterne zwischen den dichten Wolken auf der anderen, als die Nusschale mit einer neuen Welle empor gehoben wurde. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Kain seine Seele bekam. "Dass all deine Wünsche in Erfüllung gehen werden..." "Vergebung... meine Göttin... Vergebung... Liebster." Yvaine schloss die Augen und betete. Sandte Gebete der Vergebung zu Einhasad. Es war nicht die Angst zu Sterben, die sie trieb. Es war die Furcht davor, dass ihre Seele ins Reich Kain eingehen und nicht ins Himmelsreich Einhasads einkehren würde. Bis die Erschöpfung sie übermannte, das Bewusstsein schwand. |