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Ein reissender Strom [Tael Nemar] - Druckversion

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Ein reissender Strom [Tael Nemar] - Shaddow - 29.04.2007

Anm.: Eine weitere Geschichte eines Ultima Online Charakters. Dort war er Diener Kra'thors, was sich bei L2 etwa mit dem Nekromanten deckt. Diesen Char gibt es bisher noch nicht, aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Ein reissender Strom

Ein langer Seufzer zieht über die Anhöhe – das Mondlicht erhellt die Gräser um ihn herum nur schwach, er selbst sitzt im Schatten einer alten Eiche, nur hin und wieder blinkt ein Fleck Haut in seinem Gesicht auf, wenn es durch das im unruhigen See vor ihm reflektierte Mondlicht angestrahlt wird.
Regungslos verharrt er…
Kurze Haare, ein markantes scharf geschnittenes Gesicht, graublaue Augen, die so tief und kalt erscheinen, dass man sich in ihnen verlieren möchte; das man tief in sie blicken möchte und hofft, man würde kopfüber in sie hineinkippen und auf ewig in ihnen versinken.
Regungslos verharrt er…
Ein leises Rascheln zieht durch die vom Herbst gepeinigten Blätter, die Gräser biegen sich gehorsam im Wind, verneigen sich untertänig vor ihrem Herren.
Regungslos verharrt er…
Ein kalter Wind frischt auf, zieht eine Schneise in die sonst angenehme Nacht, versetzt den See aufs Neue in erregtes Treiben.
Und jäh erhebt er sich…
Die lange, schlichte, dunkle Robe fällt bis zum Boden, und streift dort bei den langsamen, nicht gerade erhabenen, aber äußerst präzisen, beinahe geplanten, berechnenden Schritten über das Gras. Leise, von einem beständigen Rascheln umspielt, tragen ihn seine Schritte zu einem einfachen, bäuerlichen Haus. Dort, auf dem mit Eichendielen verkleideten Boden, der hier und dort mit Teppichen drapiert ist, gerade zwischen der Treppe in die oberen Räumlichkeiten und der Tür ins Nebenzimmer, dort, mit starr aufgerissenen Augen, wild über sein Gesicht verwirbelten Haaren, seitlich obskur abgewickelten Armen, mit einer in sich verworren Robe.
Dort lag er…
Einige schnelle fast eilige Schritte tragen die hoch gewachsene Person zu der Leiche auf dem Boden. Seine fahrigen Hände umgreifen die Knöchel und er zerrt den Leichnam
aus dem Haus…
über das Gras…
hin zu der Eiche…
um den See herum…
bis zu einem reißenden Strom, dessen schwächere Nebenflüsse den See speisen.
Mit einer Spur Erschöpfung lässt er die Knöchel los und die Beine des Leichnams fallen mit einem dumpfen Aufschlag zu Boden. Der restliche Körper hat sich während des ungebührlichen Transports bis auf eine noch verwinkeltere Stellung der Arme kaum verändern.
Mit einem Abscheu erfüllten Blick umkreist er den Leichnam. Noch einmal blickte er über den Fluss zum Mond und meint in die unbestimmte Ferne: „Du hast es nicht anders gewollt“ und mit diesen Worten stößt er ihn hinein. Nur noch ein sterbendes Plätschern zeugt davon, dass der Strom so eben die Leiche verschlungen hat und sie nun unwiederbringlich flussabwärts reißen wird. Im Rauschen des Flusses hört man nur ein kaum Vernehmliches, eher in die Stille der Nacht Entwichenes: „Es soll dem Raben Nahrung sein“.


Neue Wege - alte Gedanken

Noch ein leises, nicht im Mindesten von Reue zeugendes oder wehmütiges sondern eher erschöpftes Seufzen entweicht ihm, ehe er sich abwendet und wieder seinen Weg zum Haus mit den selben berechnenden Schritten antritt. Eilig durchschreitet er die untere Etage und kramt sich einige Sachen zusammen, verstaut sie in einem ledernen Beutel und wendet sich dem Ausgang zu, bereit zu gehen. Jäh hält er inne, blickt langsam, fast erstarrt über die Schulter und fixiert die Treppenstufen, die abwärts zum Keller führten. Eine Weile, vielleicht Minuten, gar Stunden steht er dort in der Tür, ehe er sich entschlossen umwendet und die Treppe hinabstürmt. Am unteren Ende der Treppe findet sich nur eine Tür, versperrt von einem massiven Schloss. Er zieht den Schlüssel aus der Innentasche der Robe und schließt die Tür auf. Leise, beinahe lautlos, öffnet sich die Tür und gibt den Blick auf einen großen Raum frei, der weniger wie ein Keller als vielmehr wie ein dunkler Dachboden aussieht. Muffiger Geruch durchströmt den Raum. Die Luft scheint erstarrt, gestorben gar, als wäre sie seit Jahren dahinvegetiert und dann jämmerlich krepiert. Hier und da stehen sperrige Gegenstände, auf dem Boden liegen Gegenstände verstreut und alles in allem herrscht unverzeihliches Chaos. Im zentimeterdicken Staub zeugen nur die frischen Fußspuren davon, dass dieser Raum nicht schon vor Jahrzehnten der Vergessenheit anheim gefallen ist.
„Wie hatte er diesen Raum nur derart verwahrlosen lassen können…“, denkt er sich, als sein Blick über die Sterbenden Kerzenflammen schweift, sie sich mit letzter Kraft an den fast verglimmten Docht klammern. Überall liegen Utensilien herum, am anderen Ende des Raumes stand ein Regal voller vergilbter Foliante, Kristalle, Edelsteine, Totenschädeln und Atamen.
Regungslos verhaart er…
„Hätte er mir gesagt, was ich wissen wollte, dann würde er vielleicht noch leben…“, mein er grimmig, verengt dann leicht die Augen und beginnt leicht zu lachen: „vielleicht auch nicht…“. Sein Blick schweift herüber zu dem völlig aus dem Bild stechenden Tisch. Kein Staub hat sein Gefängnis um ihn herum erbaut. Nichts zeugt von dem Alter, das den Rest des Raumes zu beherrschen scheint. Auf dem Tisch steht ein schmales Fässchen Tinte, eine filigrane Feder liegt daneben und am unteren Rand des Tisches liegt ein ledernes Buch.
Neugierig wendet er seine Schritte dem Buch zu. Neugierig durchblättert er die anfangs vergilbten, unleserlichen Seiten. Kaum ein Wort war dort noch zu lesen. Weder das Datum, an dem die Einträge verfasst worden waren, noch die Texte selbst hatten sich gegen den Verfall zu Wehr setzen können. Erst zur Mitte des Buches hin wurden die Einträge deutlicher. Noch ein letzter Blick in das Buch und sein Blick wandelt sich in grimmige Genugtuung.
Ein knappes Nicken bestätigt nun sein weiteres Vorhaben, ehe er das letzte Gold, das er noch hatte finden können, einsteckt und sich mit dem Buch in der Tasche auf den Weg macht.
Der Fluss strömt noch immer neben ihm entlang. Irgendwo dort treibt nun die Leiche, die er dem Strom übergeben hatte. Schließlich biegt der Weg weg vom Fluss und führt ihn in ein Fischerdorf. Hier gibt es nichts mehr, das ihn noch hält. Und so nimmt er das nächste Schiff und macht sich auf den Weg.


Eine Stätte der Ruhe

„Gerimor also...“, dachte er, als er das Schiff eilig verließ. Nicht lange, und er hatte Bajard, ein kaum interessantes Dörfchen, in dem sich alle Arten Gestalten herumzutreiben schienen, verlassen und sein Weg trägt ihn nun direkt durch den Wald Richtung Varuna. Zielstrebig, ganz so als wüsste er bereits, oder als erahne er zumindest, dass ihn dort etwas erwarte, führen ihn seine Schritte vor die Stadtmauer. Hoch erhoben thront vor ihm die riesige Stadt mit ihrem mächtigen Stadttor von einem halben Duzend Wachen flankiert. Als sein Blick langsam weiter an der Mauer entlang streift, fällt ihm der Friedhof in den Blick. Kurz senkt er den Blick zu seiner Tasche herab, die am Gürtel befestigt ist und in der er das Büchlein seines Mentors wohl verwahrt weiß. Sinnend hebt er den Blick dann wieder und lenkt die Schritte am Tor vorbei auf den Friedhof zu.
Die Wachen öffnen ihm die Tor und nicken, doch er bemerkt sie kaum. Seine Füße tragen ihn langsam über den Platz, der von einer andächtigen Stille erfüllt ist. Jäh hält er inne und verharrt vor einem Grab. Einige Zeit betrachtet er den Grabstein, dessen Inschrift bereits vollends verwittert ist. Von altem Moos überzogen, beinahe etwas schief aus der Erde ragend, steht der Grabstein vor ihm und wacht über die aufgeschüttete Erde, die die Ruhestätte des unbekannten Toten erahnen lässt.
„Ihr seid ein Angehöriger?“, ertönt neben ihm plötzlich eine Stimme und er fährt herum. Vor ihm steht alter Greis, gestützt auf einen knöchernen Stab. Langsam schüttelt er den Kopf und mustert ihn eingehend. Die folgende Frage, warum er denn sonst hier so andächtig stünde, war zu erwarten gewesen, und er wusste nicht, ob er ihr ausweichen, oder sie wahrheitsgemäß beantworten sollte. Zumindest wäre dieser Greis dann der erste, der die Wahrheit aus seinem Munde erfahren würde.
Eine ruhige, beinahe flüsternde Unterhaltung folgte, in der er mehr über sich preisgab, als er es Jahre zuvor nicht mehr getan hatte – warum, das wusste er selbst nicht. Und schließlich sprach der Mann: „Wenn ihr die Lehren des Einen erlernen wollt, dann sucht das Haus nahe Rahal auf, in dem Thrillom Samuas wohnt. Scharfsinnig erwiderte er sofort: „Und dieser Thrillom Samuas seid ihr?“ und mit einem fahlen Schmunzeln wendet er sich um und meint zum Abschied: „Findet es heraus“ und schon verschlang ihn die Dunkelheit.
Noch einige Zeit sieht er ihm hinterher durch das geöffnete Tor und den Wegdahinter, der sich in der Dunkelheit verliert. Noch einmal wandert sein Blick über den Grabstein, über den nun, da de Dunkelheit hereingebrochen war – er hatte es während ihres Gespräches überhaupt nicht wahrgenommen – lebendige und doch leblose Schatten zuckten. Die kleine Kerze, die unermüdlich auf dem Grabstein ihr spärliches Licht in das Dunkel der Nacht entsendet, taucht die Umgebung in ein schummriges Licht.
Langsam, beinahe lautlos und doch bedächtig, als wolle er die Ruhe der Toten nicht stören, wo er doch in Wirklichkeit nur darauf bedacht war, so wenig als irgend möglich Aufsehen zu erregen, den Wachen nur ein Quäntchen Erinnerungen zu überlassen, das sie ohnehin bald vergessen haben würden, verlässt er nun den Friedhof. Lange wandert er ziellos durch die Dunkelheit, nur hin und wieder sucht sein Blick prüfend nach dem Weg, der sich inzwischen kaum noch von der Dunkelheit um ihn herum abhebt, eher wie ein ruhiger schwarzer Schleier unter ihm ihm sein ständiger Gefährte durch die kalte Nacht ist. Schließlich trifft er wieder in Bajard ein.
Obwohl oder gerade weil Varuna einen derart militärisch-sicheren Eindruck in ihm hinterlassen hatte, ein halbes Dutzend Gardisten an jedem Stadteingang, eine Stadtmauer gute 20 Fuß hoch – vielleicht höher -, und alles in allem eine Stadt so voller Leben, dass es ihn beinahe würgen lässt. Da ist ihm Bajard mit seinen vielen zwielichtigen Gestalten, die nur tuschelnd und murmelnd durch die Gassen ziehen und von denen man besser gar nicht weiß, über was sie sprechen, doch um einiges lieber. Kurzerhand hat er sich von einigen wenigen Goldmünzen, die er mitgenommen hatte, getrennt und damit seine Unterkunft für eine Nacht im Gasthaus in Bajard bezahlt.
Seufzend lässt er sich in voller Kleidung auf das Bett fallen und ist nach kurzer Zeit eingeschlafen…


Die Diener des Raben

Und so tragen ihn seine Schritte schon am nächsten Morgen – ganz ohne Frühstück verlässt er das Gasthaus – aus Bajard. Schon kurz hinter der Palisade ruft er dem Kutscher, der gerade aus Richtung Varuna ihm entgegen kommt, er wolle nach Rahal. Einen kurzen skeptischen Blick lässt er über sich ergehen, ehe der Kutscher ihn mit einem stummen Kopfnicken heranwinkt und ihm bedeutet, einzusteigen.
Vor Rahal angekommen, suchte er am Ufer des Flusses, das ihm beschriebene Haus.
Und schließlich fand er ein verwahrlostes Stück Land; davor ein morsches Gemäuer, Moos bewachsen die Wände, klaffende Löcher zieren die Außenwände. Das gesamte Grundstück ist von Unkraut und Gestrüpp überwuchert. Schließlich versucht er einen Blick ins Innere des Gebäudes durch eines dieser großen Löcher zu erhaschen – und tatsächlich, im Inneren brennt Licht. Also ruft er kurzerhand hinein und wenig später hört er, wie sich etwas im Inneren regt und eine schwere Tür geöffnet wird. Er sieht wieder herüber zum Eingang des Gemäuers, wo eben eine Tür geöffnet worden war und eben jener Thrillom Samuas herausgeschritten kommt. Er mustert ihn kurz, als habe er vergessen, wer er sei und nickt dann jedoch kaum merklich. Er öffnet das Tor und lässt ihn ein. „Ihr habt also hergefunden Tael“
Jäh sah er auf und musterte ihn skeptisch. Er wusste seinen Namen? Hatte er ihm seinen Namen verraten? Hatte er sich ihm bereits so weit offenbart? War er in dem Redefluss, im Wissensdrang, der ihn auf dem Friedhof überkommen hatte, so tief in sich selbst eingetaucht?
Er schüttelt sich verwirrt, ehe der Alte ihn ansah und schmunzelt.

Einige Zeit verbrachte er damit, ihn tiefer in die Geheimnisse um den Richter einzuweihen, und ihm letztenendes Zuzusichern, ihn zu unterrichten, ehe er beinahe in Aufbruchsstimmung meinte:„Kommt mit mir, es gilt heute Nacht Großes zu vollbringen“, und er winkt ihn mit sich.
Nach kurzer Zeit hatten sie den Friedhof erreicht, wo Thrillom ihn in die verworrenen Geheimnisse der Knochendeutung, von der er selbst wie es auch Tael erging nicht viel hielt, deren Durchführung er aber dennoch als wichtig erachtete, einführt, sodass er Tael die Knöchleich werfen lässt. Wie die gefallenen Knochen zu deuten waren, erklärt er Tael an seinem eigenen Wurf. Tael ist von seinem Resultat nicht sonderlich überrascht, und dennoch ist er immernoch nicht von der Verlässlichkeit dieser Art der Weissagung oder generell einer Art überhaupt der Weissagung überzeugt. Nachdem Tael seinen eigenen Versuch vollends ausgewertet hat, gehen sie gemeinsam Richtung Osten, und nachdem Varuna wieder durchquert ist, und sind kurz vor dem Eingang zum Hügelgrab. In den Tiefen des Grabes, durch die Thrillom ihn führt, erreichen sie schließlich eine Kammer mit einer Art dunklen Schrein, einem Opferaltar.
Doch in diesem Raum sind sie nicht allein. Zwei ebenfalls berobte Gestalten, ebenfalls das Gesicht verdeckt, hatten sich bereits in dem Raum eingefunden. Nachdem die Gestalten kurz ein paar Wort gewechselt hatten, steht nun ihr weiteres Bestreben fest. Der Richter hat ihnen eine Aufgabe übertragen. Gabriel soll wiedererweckt werden, er soll wieder die Streitmächte Alathars anführen und den Krieg gegen die Lichtkriecher wenden. Nun jedoch gilt es zuerst einen Wirt für seine Seele zu finden, also verlassen die vier Gestalten wieder den Raum und kehren zur Oberfläche zurück. Wie es der Zufall will, ist scheints gerade ein junger, unerfahrener Krieger auf dem Weg in die Unterirdischen Gewölbe, den man schnell mit einem effizienten Zauber bewegungsunfähig macht. Nun ist es an Tael, ihn hinunter in die Kammer zu schleifen und sofort übernimmt er die ihm übertragene Aufgabe. Die gesamte Kammer ist in schummriges Licht getaucht. Erst jetzt erkennt er die eigentümlichen Verzierungen auf den Wänden, die mit Blut veredelt sind. Auf dem Altar liegen verschiedene Utensilien, Atamen, Schädel.
Er lässt den reglosen aber dennoch lebendigen Körper in der Mitte im Pentagramm nieder. Eine der Frauen geht herum und ein jeder im Raum hält ihr seinen nackten Unterarm entgegen, wo sie einen filigranen Schnitt mit einem Dolch hinterlässt, aus dem nun bestätig Blut auf je eine Ecke des Pentagramms tropft.

Als dieses dunkle Prozedere vollführt worden ist, beginnen sie mit der Herbeirufung Gabriels und die Frau durchbohrt den Körper auf dem Boden, bis der Dolch den Blutstein erreicht. Langsam beginnt sich das entwichene Blut zu regen und eine stille Dunkelheit erfüllt den Raum. Schließlich schlägt der Körper auf dem Boden die Augen und sieht sich ruhig um. Er erhebt sich ruhig und zieht den Dolch aus seinem Körper, wo die Wunde sofort verheilt. Nachdem die vermummten Gestalten Gabriel über die Geschehen seit seinem Tod aufgeklärt hatten, verlangt er nach Rahal gebracht zu werden, und so geleiten die Gestalten ihn nach Rahal, wo die Wachen ihnen den Weg freigeben.
Vor dem Tempel lässt er sie zurück und verschwindet in seinem Inneren…
Und die Gestalten, die ihn auf Befehl ihres Herren angerufen hatten, verlieren sich wieder vor Rahal gerade so, als hätte es sie nie gegeben…


Erst Denken, dann handeln - der Pakt

Eine kalte Briese zog über die Anhöhe, als Tael sich umsah. Jeden Abend war er nun hier herauf gekommen, nahe an die Stadt Rahal heran und hatte gehofft, seinen Meister Thrillom hier anzutreffen, doch so war es nicht. Gerade so, als habe er ihn verstoßen, stand er jedes Mal vor dem geborstenen Tor, das das verwahrloste Grundstück einrahmte, und dachte darüber nach, wie es weitergehen sollte.

Vielleicht sollte er seinen Plan einfach angehen. Nicht so plump und ungestühm, wie es die anderen taten. Aporus.. und die Pestbringerin. Wie konnte man nur so unvorsichtig sein, jeden Erstbesten anzusprechen und ihn gerade heraus zu fragen, ob er nicht Kra'thor seine Seele geben wollte. Nein so würde Tael es nicht anstellen. Sein Plan forderte Raffinesse, Fingerspitzengefühl.

Und so wanderte er eines Abends durch Bajard und starrte eine Weile gedankenversunken auf den Friedhof. Ob dieser wohl von Temora geweiht war? Ob hier die Körper ihren Weg zur Erlösung fanden, oder ob sie, an die irdischen Gefilde gebunden, nie den Weg zum Raben fanden?
Eigentlich hatte sich sein Blick schon laengst auf Berchgard gerichtet, doch warum sollte er nicht hier beginnen.
Hier war es doch noch viel einfacher.
Hier würde er beginnen.
Und wenn sein Vorhaben gelänge, dann ... DANN würde er sich wieder Berchgard zuwenden.

Just in diesem Moment wurde er beinahe unangemessen von einem jungen Ding aus seinen Gedanken gerissen. Er sah sie an, sie sah nicht älter als 17 Jahre aus. Sie fragte ihn, ob er ihr Lektionen im Schwertkampf beibringen könne, und ehe er unüberlegt ablehnte, meinte er nur, er könne ihr zumindest dabei helfen. So also begann er, ohne dessen Namen zu nennen, dem Mädchen zuvor etwas über den Raben zu erzählen. Für gewöhnlich tat er solche beinahe unbesonnenen Sachen nicht einfach so, doch dieses Mädchen schien ihm so naiv und unberührt, dass es gerade zu kinderleicht sein würde, sie auf den Rechten Weg zu bringen. Von seinen Erklärungen war sie völlig begeistert, sie konnte es kaum erwarten, dem Kreis der Diener des Raben beizutreten und so machten sie sich nach Varuna auf zum Friedhof.
Der Plan war gut durchdacht und als sie dort ankamen, erklärte er ihr, warum das gemeine Volk Angst vor Friedhof und Tod hatte, warum es das Unbekannte ist, wovor die Menschen Angst haben, und warum die Kirche dies alles schürt. Danach gingen sie in die Kapelle und vollzogen das schaurige Ritual. Immer wieder redete er ihr gut zu. Sie schien zwar immernoch versessen und doch wollte er nicht das Risiko eingehen, dass sie sich schließlich doch Angsterfüllt umwandte, und davonstürmte.
Zwei kurze Schnitte, die Arme aneinander gepresst und schon begann sich das Blut zu vermischen, in fahrigen Bahnen verschlingen sich die Ströme, filligran und ungebrochen, bis sie sich schließlich in ein festes Band verworren hatten. Diese Blutrituale faszinierten ihn seit je her. Schliesslich legte er dem Mädchen einen Finger auf die Winde, zog einmal darüber und sie schloss sich augenblicklich.
So war es also beschlossen, der Pakt war besiegelt und Kra'thor war eine willige Seele übereignet worden, an der er sich nun schon zu ihren Lebzeiten laben konnte. Das war sicher weit effektiver gewesen und mit ihrem Tode würde er sie ohnehin bekommen.

Vielleicht sollte er versuchen, mehr naive Seelen für sich finden und ihnen einen solchen Pakt anbieten.


Von Knochen- und Blutmagie - Arkanes Wissen auf Abwegen

Wie gleich wertvoll die Seele war, die er Kra’thor mit seinen Blutriten übereignet hatte, so war es dennoch schon einige Zeit her gewesen, dass er sich Kra’thor überhaupt als dienstlich erwiesen hatte.
Und dennoch war es ihm lieber, im Hintergrund zu stehen und zu wirken – beinahe unsichtbar -, anstatt sich auf offener Straße unvorsichtig zu seinem Glauben zu bekennen. Nein etwas derart irrationales tat er nicht, jeder Schritt wollte gut überlegt sein, keine Handlung sollte unbekannte Folgen nach sich ziehen.
Unruhig wanderte er durch Berchgard. Hier wollte er nun endlich zuschlagen, doch allein war es zu gefährlich gewesen. Im Schatten der Häuser, die nur spärlich von Licht erhellt wurden, wartete er ungeduldig.
Schließlich trafen die anderen ein. Aporus in Begleitung eines dritten, der sich vorerst als Antonio vorstellte. Gemeinsam traten sie ihren Weg zum Friedhof in Berchgard an, doch ihr Vorhaben sollte jäh enden, denn die Wachen, die den Eingang des Berchgarder Friedhofes flankierten warfen den vermummten Gestalten nur misstrauische Blicke zu. Hierfür waren sie noch nicht bereit, also entschied man sich einstimmig dafür, der Gruft unter dem Varunaer Friedhof einen Besuch abzustatten.
Dort angekommen suchten sie die alte von Untoten beherrschte Kapelle auf, in der Tael den inzwischen um die Pestbringerin verstärkten Reihen einiges über die Möglichkeiten der Seelenopferung für ihren Herren erzählte. Alles in allem war es ein sehr interessantes Gespräch gewesen – jeder der vier Diener des Raben schien seinem eigenen Weg zu folgen und eigene Art zu haben, wie sie ihrem Herren dienten. Und doch fühlte sich Tael als der rational denkende noch immer als einziger. Religiös, fanatisch oder von vampirischen Zügen durchhaucht, das war en die Züge der anderen.
Schließlich beschloss Tael, während das spärliche Licht im Raum noch einmal kurz aufflammte, den dreien etwas über Knochen- und Blutmagie zu erzählen, ihnen die grundlegenden Werkzeuge für ihr Handwerk zu geben. Er erzählte über die umstrittene Kunst des Knochenlesens, zeigte ihnen die Sammlung menschlicher Knochen, die er von Thrillom bekommen hatte, verwies beiläufig auf einige Fluchrituale, die mit den Knochen Verstorbener gewirkt werden konnten, ehe er sich dann der im Grunde viel interessanteren Blutmagie zuwandte.
Die Blutmagie als mächtigstes Werkzeug der anatomisch-magischen Künste, weit grenzenloser und moralbefreiter als er es während seines Studiums der arkanen Künste je hatte erfahren dürfen. Er erzählte von Pakten, ähnlich dem Seelenpakt, den er vor kurzem abgeschlossen hatte, er sprach von verlorenen Ritualen, die von Blut gespeist wurden und wie Blut das unzerbrechliche Siegel war, das – einmal gesetzt – nie wieder entfernt werden konnte. Jedes Bündnis und jeder Pakt, der mit Blut besiegelt worden war, war von nun an unendlich.
Er zeichnete den dreien ein Siegel auf den staubigen Boden, bestehend aus drei konzentrischen Kreisen, die von ineinander verschlungen Dreiecken durchzogen waren und obskure Symbole in sich trugen. „Das böse Auge“ zischte er in beinahe flüstergleichem Ton abfällig den Namen. Die Menschen fürchten, was sie nicht verstehen, sie fürchten den Tot, sie fürchten Kra’thor, im Grunde sollten sie sich vor sich selbst fürchten, denn sich selbst verstehen sie am wenigsten. Und dieses Siegel war eines der Dinge, die sich dem Verstand der Verblendeten nicht erschlossen. Ein uraltes Siegel der Schmerzen, die längst vergessene Glyphe des Leides, die all jene, die es berührten unsägliche Qualen durchleiden ließen. Für heute hatte er sie tief genug in die Abgründe der verbotenen Ritualmagie eingeführt, doch sicher würden sie sich bald einmal wieder treffen und vielleicht würde dann auch einer der anderen aus dem reichhaltigen Fundus seiner Erfahrungen berichten.
Die letzte Abschiedsfloskel war gesprochen und er wandte sich eilig um und verließ die Kapelle.
Sehr viel versprechend erschien ihm dies alles zu sein, das wusste er jetzt schon…


Ein großes Blutsaufen

Und es war etwas im Gange, das spürte er, als am Morgen die Knochen anders fielen, als sie es sonst zu tun pflegten oder als es in irgendeiner Weise zu erwarten gewesen war. Die Raben auf dem verlassenen Waldfriedhof, jenem wo nur unbekannte Körper begraben waren, deren Seelen begierig vom Richter aufgesogen wurde, krächzten unheilvoll ganz so als stünde ein neues Blutsaufen an, als wollten sie sich bereit machen, sich erneut an Leibern zu laben.
Eilig überquerte Tael den Friedhof und kniete sich auf ein feuchtes Stück Lichtung, wo er die Knochen noch einmal war – und wieder fand er dasselbe Ergebnis vor.
Ein schwaches, monotones Seufzen entfuhr ihm und dennoch entflammte sofort der Gedanke an das, was ihn erwarten würde. Er musste eilends alles vorbereiten, Blut, Knochen, einige Kerzen, Sand, Salpeter und eine Atame. Er war für seine Rituale bestens gerüstet…
Eilig hatte er die Glyphe gezeichnet. Einen lebenden konnte er nicht seiner Seele berauben, ohne dessen willentliches Einverständnis. Ein Pakt, wie er ihn vor kurzem mit diesem naiven Weib abgeschlossen hatte, doch bei Toten war es etwas anderes.
Sie musste er nur noch so präparieren, sodass kein geweihter Boden Alathairs ihnen noch den Seelenfrieden verwehren konnte.
Und so begann er, um die wenigen verbliebenen Leiber, die noch nicht verschleppt worden waren, jeweils ein inneres Auge zu zeichnen und bestreute sie mit Salpeter und Sand. Unschlüssig betrachtete er die tiefblauen Kerzen kurz, doch dann packte er sie zur Seite. Verraten würden sie ihn nur und essenziell notwendig waren sie ohnehin nicht. Schließlich packte er die Atame und fuhr sich damit über den Arm. Mit dem dünnen, dunklen Blutrinnsal beträufelte er das Zentrum der Glyphe. Als das Blut auf sie herabfiel, loderte es kurz in farblosen, kaum sichtbaren Flammen auf und verschwand rückstandslos.
Mit einem zufriedenen Nicken bedenkt er den Leichnam vor sich, ehe er den Blick abwendet und sich der nächsten zuwendet. Nachdem er alle übrigen Leichen präpariert hatte, besah er sie noch einmal, wohl darauf bedacht, keine Spuren zu hinterlassen, selbst die Glyphen hatte er behutsam verwischt. Die Seele würde nun nichts an der Errettung durch den Richter hindern...

[Bild: 6.jpg]


Gradwendung

Der Krieg war vorüber und die Priester in ihrer selbstverherrlichenden Eitelkeit hatten nichts gemerkt von der Schändung, die ihre Verstorbenen erfahren hatten. Tael war, gelinde gesagt, zufrieden mit dem Ergebnis der Schlacht, es hatte viele Opfer gegeben auf beiden Seiten und der Richter hatte ein Blutsaufen erlebt wie schon lange nicht mehr. Und doch… es war an der Zeit, sich vor ihm als dienlich zu erweisen. Tael wollte den Seelenstrom, den er dem Richter übereignete auf keinen Fall abreißen lassen, denn noch immer schien der Rabe nicht überzeugt von seiner Dienlichkeit.
Das immanente Problem jedoch war, dass die Bürger allerorts vorsichtiger geworden zu sein schienen; ob er je wieder ein so junges, naives Blut finden würde, das sich so bereitwillig in die Fänge des Raben ergeben würde, um ihn schon zu Lebzeiten zu ermöglichen, sich an ihrer jungen, durch Glauben noch unbetasteten Seele zu laben. Nein, wo man hinsah, Misstrauen und Zwietracht. Der Weg des Vertrauens war inzwischen der falsche. Es brachte nichts mehr, an der Menschen Gier nach Omnipotenz zu appellieren, sie schienen für derartige Versuche nicht mehr empfänglich. Stattdessen schien der richtige Weg ein sehr viel direkterer, umstandsloserer zu sein.
Im Grunde hatte er Aporus, den Albino mit vampirischen Zügen, und die fanatische Pestbringerin immer mit angemessener Skepsis betrachtet. Viel zu offenkundig ließen sie verlauten, wessen Herren Kind sie waren. Sie gingen mit beinahe überschwänglicher Leichtfertigkeit vor, ohne sich wirklich ihrer Handlungen bewusst zu werden – ein Standpunkt, den Tael, der Zeit seiner Ausbildung zu rationaler Beobachtung und genauster Analyse angehalten wurde, weder verstehen noch teilen konnte. Dieser Weg konnte auch keines Falls der richtige sein. Vielleicht war ein Zwischenweg zwischen der übereilten, unvorsichtigen Art der beiden und dem zurückhaltend, berechnenden Weg, den Tael bisher eingeschlagen hatte, genau der richtige – ein sehr viel subtilerer Weg, der doch immer auf das Ziel hin ausgerichtet sein würde.


Die Gemeinschaft

Nachdem sie wieder einige Tage später zusammen gefunden hatten, Tael, Marn, Chalsy, Gregor und Niamh, waren die Aufgaben genaustens verteilt worden. Sie hatten ein sich ein weiteres Mal in dem schummrigen Ritualraum zusammengefunden, dessen Zentrum noch immer von eine merkwürdig pulsierenden Blutlache getränkt war, die von dem Opfer zeugte, das Gabriels Seele dort aufgenommen hatte; In diesem Raum beschlossen sie ihr weiteres Vorgehen. Eine Gemeinschaft, deren Mitglieder langsam im Verborgenen die Gemeinschaften und Verbindungen auf allen Inseln infiltrieren, um so größtmögliche Mengen an Informationen zusammenzutragen und die einzelnen Parteien gegeneinander auszuspielen. Ein Plan, der auf lange Sicht gesehen, eine horrende Menge Seelen fordern würde; ein Plan der zwischen diesen fünf Dienern des Raben nun anlaufen sollte.


Wenngleich er eigentlich vor hatte, einen anderen Weg einzuschlagen, sich nicht mehr auf die dumme Gier der Menschen zu verlassen, sie sich seiner Meinung nach nicht mehr als rentabel erweisen wollte, so belehrte ihn die letzte Nacht doch eines besseren. Noch immer gab es von Gier und Machtsucht Getriebene, ohne Angst und Zweifel vor einem für ihn selbst suspekten Pakt mit einem Fremden. Tael sollte es nicht stören – seinen Weg wollte er dennoch auf gewichtigere Ziele hinauslenken, so wie er das Blutsaufen nach dem Krieg in die Wege geleitet hatte, doch warum nicht am Wegesrand einmal innehalten und eine weitere Seele einsammeln? Schaden konnte es nicht.
Diesmal war es ein junger Bursche, der sich bereitwillig in die Fänge des Raben begeben wollte; es war ein Jüngling, der aufgrund persönlicher Streitigkeiten der Gier nach Macht verfallen war, um irgendwann irgendwem zu beweisen, dass er nicht ganz so ärmlich war, wie man offenbar von ihm annahm… Wie auch immer, es hatte kaum Überzeugungskraft gekostet und Tael fühlte sich beinahe etwas unterfordert, als er das bereitwillige Zucken in den Fingern des Burschen sah, der kaum erwarten konnte, in okkulte Rituale eingebunden zu werden. Trotz allem bot Bajard kaum den Schutz, den man benötigt hätte. Der Friedhof westlich von Varuna hingegen war für die Besiegelung des angestrebten Paktes geradezu prädestiniert und genau dort war es, wo er den Jungen hinführte, wo er mit ihm zwischen dem zittrigen Licht der nie erlischen wollenden Kerzen auf dem nebelfeuchten Boden Platz nahm und unverwandt die Atame zückte. Jetzt bemerkte er einen Hauch von Zweifel, doch wieder nahm ihm der Bengel die Arbeit der Überzeugung ab – er schien sich selbst von der Richtigkeit oder zumindest Notwendigkeit seines Handelns zu überzeugen. Der Blick hatte sich in Sekundenschnelle gefasst und er streckte mit übereiligem Bereitwillen seinen rechten Unterarm vor und zog den Robenärmel zurück. Wortlos machte sich Tael an sein Werk: Neu war es ihm nun nicht mehr, wie er die Klinge anzusetzen hatte, wie er den Schnitt führen musste; die Klinge glitt über die helle Haut des Burschen und hinterließ einen feinen Schnitt, aus dem tiefrotes Blut drang. Schließlich befreite er auch seinen eigenen Arm aus der Umklammerung seiner dunklen Robe und setzte den Schnitt an.

Als sie die Arme aufeinanderpressen, die Wunden ineinandergreifen, beginnt selbiges fahriges Blutspiel, wie es schon beim ersten Mal gesehen hatte. Die Präsenz des Richters geht in den Körper des Jungen über, um sich dort zeitlebens an seiner Seele zu laben. Schließlich bilden die beiden Blutfäden einen festen verwobenen Strang, der – gerade in seiner Festigkeit erstrahlend – splittergleich zerbricht. Ein kurzes Nicken entfährt Tael, ein teilnahmsloses Schmunzeln huscht über seine Züge, während er die Atame an seiner Robe säubert. „Der Segen des Richters ist nun dein“, sprach er ihm wohlwollend zu. Der Junge nickte und erhob sich. Es war beinahe bedauernswert, wie leicht alles diesmal gegangen war. Als der Junge den Friedhof verließ, pfiff ein leiser, rastloser Wind über die Lichtung und ließ die Flammen der Kerzen bedrohlich zittern – doch sie hielten Stand.
Er sah dem Jungen noch nach, während er zwischen den Bäumen verschwand, ehe er den Blick flüchtig über den Friedhof wandte und dann seinerseits wieder in Richtung Bajard verschwand.


In den folgenden Tagen wandt sich sein Augenmerk auf die Stadt Berchgard. Im Schatten Varunas vegetierte sie in ihren Steinernen Fassaden, die beinahe erdrückend von den Seiten auf die Straße hineindrückten, vor sich hin. Eher einem kleinen, unscheinbaren Außenposten, einer Minenkolonie gleich, lag dieses Dorf außerhalb der Prunkvollen Stadt Varuna mit ihren glanzvollen Festen und Tänzen, mit ihrer schwerst bewaffneten Garde, den Hohen Stadtmauern, den 4 monumentalen Stadttoren, die man stets gut bewacht weiß, und in der Mitte der hohe Truchsess Adrian von Hohenfels.
Berchgard hingegen war ein beschauliches Dörfchen, in dem es trotz allem immer sehr viel ruhiger zuging, als in Bajard, denn Berchgard stand trotz seiner Abgelegenheit unter dem Schutz des Grafenreiches. Bis auf die Mine, einen Friedhof und einige Handelshäuser hatte diese Kolonie kaum viel zu bieten, doch den immanenten Grund, sich dieses Dorfes anzunehmen, bot der Friedhof schließlich. Schon einmal hatte er in Gesellschaft einiger Gleichgesinnter seinen Weg nach Berchgard eingeschlagen, nur um dort ans zwielichtige Gestalten von den Blicken misstrauischer Gardisten traktiert zu werden. Damals war es ein herber Fehlschlag gewesen, damals waren sie daraufhin gezwungen gewesen, in der Gruft Varunas zu verschwinden und dort einige Rituale durchzuführen.
Diesmal jedoch wollte er besser vorbereitet sein, ...


Die Stimme des Einen

Für einen Außenstehenden mochte es befremdlich gewirkt haben, wie dieser braunberobte Mann den Pfad nach Bajard entlangeilte, schlagartig stehen blick, den Blick hinter sich riss, dort misstrauisch die Wege mit seinen Augen durchforstete, ehe er den Kopf langsam ueber die Schulter nach vorn wandte und dort Minutenlang regungslos verharrte, ehe er die obskure Szenerie mit einem stummen Nicken quittierte und in die entgegengesetzte Richtung davoneilte.

Beinahe alle Vorbereitungen waren getroffen. Dieser Tage wollte er wieder einmal die Pestbringerin aufsuchen und mit ihr endlich das geplante Ziel in Angriff nehmen, doch ein unerwartetes Ereignis riss Tael aus seinen Gedanken.
Er war nicht weit außerhalb Bajards, als ein diffuser Schatten sein Blickfeld durchzog und als er sich umwandte, um den Urgrund des Schattens ausfindig zu machen, fand er... nichts.

Skeptisch ließ er den Blick kurz die Straße hinauf- und wieder hinabwandern, noch immer umwob ihn ein Gefühl der vertrauten Kälte, der in sich melodischen Dissonanz. Als er den Blick zurückwandte, sah er die rabenartige Gestalt von einem seltsamen nebulösen Lichtspiel umgeben. Die Präsenz des Richters ging von ihm aus und so war es nicht nötig, auch nur ein einziges Wort zu sprechen.
Die Gedanken und Bilder überfluteten Taels Bewusstsein, brachen wie hereinbrechende Ströme über ihm zusammen und entlehrten all ihre schaurige Präsenz auf dem unscheinbaren Mann. Sein skeptischer, von Sekunde zu Sekunde zielloserer Blick war gedankenverloren auf eine Furche im Boden des Pfades gerichtet, während die Präsenz des Richters in Form des von der Priesterin gesandten Raben ihm Einblick in den Auftrag gab.

Mit einem Schlag verebbte die Gewalt der Bilder, die sich in seinem Kopf zu einem klaren Faden aufreihten und Sinn ergaben, wo nie ein Mensch, der nicht des Herren Diener war, Sinn hätte erdenken können.
Und so entfuhr ihm dem Raben entgegen ein bestimmtes Nicken, der sich sogleich in das diffuse Lichtspiel um ihn erging und in die Geisterwelt verschwand.

Visionen – der Schlag des Drachen

Schnellen Schrittes wanderte Tael durch die dunklen Gänge des Hügelgrabes. Nicht selten hatte er diese Hallen bereits betreten. Das letzte Erlebnis rief er sich immer wieder ins Gedächtnis: wie sie sich dunkel berobt in dem verborgenen Raum zusammengefunden hatte, wie vier Diener des Raben ein Ritual durchgeführt hatten auf den Befehl des Einen hin, wie sie, die Diener des Seelenherren, Rahals Herrscher wiedererweckt hatten, ihm eine neue Hülle gegeben hatten… und wie sie schließlich wieder alle ihres Weges gegangen waren.

Und nun war er wieder auf dem Weg in dieses unterirdische Gewölbe, das so von kalter Präsenz erfüllt war, dass es einem beinahe die Luft zum Atmen nahm, das das Auge aus dünnen flirrenden Nebeln Spukgestalten von widerlichsten Ausmaßen formte und das das beständige Flackern der Kerzen den Raum in das verdammnisvolle Licht der Geißel allen Lebens selbst verwandelte.
Als er den Raum betreten hatte, wartete dort bereits die Pestbringerin und begrüßte ihn gebührlich. Kurz tauschten sie sich über das Voranschreiten ihrer eigenen Pläne aus – die Pestbringerin, mit ihrer Bibliothek als Dreh- und Angelpunkt eines Spionagerings direkt im Herzen Varunas und Tael, der den Anschlag auf den Berchgarder Friedhof nun bis ins Detail geplant hatte und nur noch auf den geeigneten Moment wartete. Kurz darauf traten weitere Diener und Dienerinnen des Raben ein: Niamh, Chalys, Gregor und eine ihm unbekannte Frau. Eben jene stellte sich als die Urheberin des unerwartet aufgetauchten Raben heraus und nun erzählte sie ihrer „Gemeinschaft“, die eher wie ein loser Ring aus vielen Einzelteilen ein und dasselben Ziel auf die verschiedensten Wege verfolgte, von der Vision, die Kra’thor sie hatte erfahren lassen.
Von Elfen und Zwergen…
Von einem Schwert…
_Dem_ Schwert
Von einem Drachen…
Einem toten Drachen
Von Schuppen, Zähnen, einem Herz…

Nachdem sie ihre Vision auf derart eindrucksvolle Weise wiedergegeben hatte, als hätte sie sie gerade in diesem Moment noch einmal durchlebt, hing Tael noch eine Weile seinen eigenen Gedanken nach. Immer detailreicher wurde die Szenerie, die sich vor ihm darstellte gerade so, als könne sein Hirn erst nach und nach alle Einzelheiten erfassen und ihm begreiflich machen… oder als würden sie sich ihm erst jetzt für ihn enthüllen, obgleich die Priesterin schon nicht mehr sprach.

Brennende Augen…
Alatar, der Allhasser.
Temora, die Seherin.
Ein endloser Krieg um Schwert und Drachen…

Schließlich ergriff die Pestbringerin das Wort und erzählte davon, dass sie bereits von einer ähnlichen Vision aus den Reihen der Arkorither gehört habe. Offenbar wusste die Priesterin nichts davon, dass eine derartige Vision auch den Orden der Arkorither ereilt hatte – ein Grund mehr, den Kontakt zu ihnen zu suchen. Die Arkorither… Tael hatte nur wenig von ihnen gehört, das meiste stammte noch aus seiner Zeit, in der er sich in der Obhut von Thrillom befand, doch seinen alten Meister, dem er damals vor dem Raben die Treue geschworen hatte, hatte er schon allzu lange nicht mehr gesehen. Wer hatte wem die Treue gebrochen? Tael hatte nichts des Erlernten vergessen, regelmäßig warf er die Knochen, in der Hoffnung einen Hinweis auf den Verbleib seines alten Meisters zu erhaschen, doch die Resultate des Knochenwurfes bezogen sich offenkundig immer nur auf allzu irdisch beinahe banal anmutende Geschehnisse.

Als die Gemeinschaft auseinanderstob hatte Tael sich bereit erklärt, sich dem Reiche Menek’Ur zuzuwenden, um dort nach Informationen über den Drachen aus der Vision zu suchen. Doch zuvorderst wollte er eine andere Quelle um Rat fragen. Und zum ersten Mal, seitdem er Dantalien verlassen hatte, zum ersten Mal seitdem er die Leiche dem Fluss übereignet hatte, zog er den vergilbten Folianten erneut zurate.
Der größte Teil des Buches war dem Verfall anheim gefallen, hatte sich nicht der Zeit zur Wehr setzen können, doch hin und wieder waren einige Texte, zwischen langen in die Unkenntlichkeit getriebenen Schriftstücken, mit äußerster Mühe zu entziffern.

Langsam klappte er den Umschlag auf und betrachtete die im Einband stehenden Worte:

Wissen – verschlossen, in Hallen gesperrt,
einstig geschaffen, doch nie mehr gehört,
verharrt dort im Dunkeln – verharrt.

Und geraten die Hallen in Vergessenheit,
werden die Lebenden taub,
verharren sie dort in der Dunkelheit,
verharren in den Hallen aus Staub.

Und die Lebenden leben,
und die Halle steht,
und die Tage wandeln die Welt,
doch tief in den Hallen harren die Gedanken,
denn die Halle – die Halle hällt!