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Gladhol elen - lachender Stern
#1
Aden, allein im Scriptorium des Coraxtempels, an einem warmen Sommermorgen.

Schon als kleines Kind wollte ich sie immer mit meinen kleinen Händen, auf Zehenspitzen taumelnd, zu ergattern suchen. Dort, hoch oben auf dem Gesims im großen Saal meines Elternhauses stand sie, die grüne, alte Flasche mit dem geheimnisvollen Pergament, eine Flaschenpost, umgeben vom Reiz des Verbotenen.
Sie war wohl schon einige hundert Jahre alt und es sollte mir wie Äonen vorkommen, bis ich sie im frühen Alter einer werdenden Frau in der Hand halten konnte.

Endlich, an einem kühlen Winterabend, an dem ich alleine in dem großen Haus zurückblieb, löste ich mit klopfendem Herzen den Korken und fischte das alte Pergament heraus.

Sie gehörte einst einer aus unserer Familie, Samiris mit Namen, die ihr Leben als Priesterin dem Corax verschrieben hatte. Nur wenig war über ihr Leben bekannt, keine herausragende Stellung kam ihr in unserer so reichen Familiengeschichte zu.
Und doch übte diese Flasche, der letzte von ihr überlieferte Gegenstand, so dachte man damals, auf mich die größte Faszination aus. Mehr als all die Rapiere, Bögen und Zauberstäbe hoch verdienter Ahnen. Barg doch dieser unscheinbare Gegenstand das Tor zu einem Geheimnis, das, ohne es genau zu kennen, mich schon fest in seinen Bann gezogen hatte.

Die letzen Zeilen der Botschaft, die anderen waren aufgrund des Alters weitgehend unlesbar geworden, höre ich mich heute noch immer und immer wieder aufsagen, den Zauber ihres Klanges, den sie damals auf mich gelegt haben, haben sie bis heute nicht verloren.
Hätte damals jemand den Saal betreten, auf der Stelle hätte ich mich in ihn verliebt, selbst in einen Ork oder gar krummbeinigen Rundling, so sehr hatte mich der in kleinen Lettern verfaßte Teil der Nachricht in mein Herz getroffen.

Wer war die Absenderin? Und wer war die Empfängerin der Botschaft wirklich? Blieb nichts weiter übrig als diese Flaschenpost, der Rest einer Botschaft?
Das Pergament in der Flasche, den Reim in meinem Herzen verschließend, beschloss ich, mich auf die Suche nach ihrer Geschichte zu machen, von ihrem Leben wollte ich erfahren.

Noch Jahre sollten vergehen, in denen kaum mehr in Erfahrung zu bringen war. Ihr Wirken blieb wohl ohne historische Bedeutung, auf die unsere Familie soviel Wert legte; einzig im Privaten, fast im Verborgenen schien sie gewirkt zu haben. Nur ihren Vornamen tragend, den Namen ihres hohen Hauses nie erwähnend, hatte sie offenbar keine Spuren hinterlassen.
Doch eines Tages, just an dem neuer Wind mein Leben weiter tragen sollte, nahm ich doch noch ihre Spur auf. Und ja, ich muss dabei immer wieder schmunzeln, es war tatsächlich die berühmte Kiste auf dem Dachboden. Wie in so vielen Geschichten, Märchen und Sagen, die mir meine Amme an langen Winterabenden erzählte und in denen sie sich dieses Klischees immer wieder bediente, stand die kleine Kiste unter einem Stapel alten Plunders.
Selbst nach einer Truhe für meinen bestehenden Auszug aus dem elterlichen Hause suchend - ich hatte mich entschlossen, der Priesterschaft im Tempel des Corax zu Aden beizutreten - fand ich sie und öffnete sie nichts ahnend.

Ein Stapel Pergamente, vergilbt und lose durcheinander, füllte die kleine Kiste bis zum Rand. Ein buntes Sammelsurium an Tagebuchnotizen, Gedichtsammlungen, Briefen, Zeichnungen, Reiseberichten, allesamt aus dem Nachlaß der Priesterin. Bis heute ist es mir nicht gelungen, sie alle in eine schlüssige chronologische Reihe zu fügen. Sei es, daß sich mir der Sinn der Erinnerungen der Priesterin nicht immer erschlossen haben, sei es, daß diese selbst oft sprunghaft ihr Erlebtes (oder Erdachtes, Erträumtes?) verfasste.


Der Leser mag mir daher verzeihen, wenn sich das Leben der Priesterin so ungeordnet darbietet, doch schien auch ihr Leben selbst immer wieder in Sprüngen verlaufen zu sein.
Auch macht mir der Erhaltungszustand vieler Blätter noch Sorgen und wo das Überlieferte allzu fragmentarisch, unverständlich scheint, habe ich mir erlaubt, die Ereignisse so zu rekonstruieren und aus meiner Sicht zu erzählen, wie sie wohl am wahrscheinlichsten stattgefunden haben. Eine kleine Anmerkung für den Leser schicke ich meist voraus.

Ich beginne daher irgendwo und hoffe, daß es mir und dem Leser gelingt, die Geschehnisse, die solange zurück liegen, nach und nach vom Nebel der Vergangenheit zu befreien.


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Pagina prima
Tagebuchaufzeichnung ohne Datum, Ort des Geschehens: Gludin, ein unbekanntes Antiquariat wohl minderer Reputation, im Hafenviertel gelegen.


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Ich streifte mir die für diesen Anlass eigens angefertigten Handschuhe aus dem feinen, weißen Stoff der Tuchmacher Gludios über. Nicht meine gewöhnlichen Handschuhe, die nur die Handflächen bedeckten, sondern nun solche, die das kostbare Gut auch vor meinen Fingerkuppen schützen würden.

Da lag es also vor mir, das lange und unermüdlich gesuchte, nun von dem jungen Ladengehilfen so ausdruckslos wie ahnungslos an mich ausgehändigte Werk. Sein Zustand war erschreckend, der einst prachtvolle Foliant hatte durch Wasser schweren Schaden genommen, sein einst prächtiger Einband war zu einer runzligen, braunen Hülle verkommen. Kein Titel zierte ihn mehr, kein Urheber, wohl ein weiterer Grund für sein lange unbemerktes Dasein.
Es knisterte, als ich den lange verklebten Einband mit etwas Nachdruck öffnete. Es knisterte nach Jahrhunderten der Vergessenheit. Was ich dann sah, ließ mir augenblicklich die Sinne schwinden, schon die erste Seite, ohne jeden Makel erhalten, strömte ihren Zauber überbordender Schönheit über mich. Ein Meisterwerk elbischer Buchmalerei, in dem florale Verzierungen Text und Beiwerk kunstvoll vereinten, zogen mich hinein in ein wogendes Meer alten Wissens.

Der letzte erhaltene Band der vollständigen, über Jahrhunderte von den Wächterinnen im Garten der Eva akribisch betriebenen Beschreibung der Pflanzenwelt Adens eröffnete sich vor mir.

Die blütenschwere mallos aus dem Süden stand hier Seite an Seite friedlich mit der alfirin aus dem hohen Norden. Blatt um Blatt wandelte ich auf den seltensten Blumenwiesen, durch Wälder längst vergessener Bäume, über Ebenen karger, aber umso schöner Blütengewächse.
Und auch sie war da, die, die noch immer wie Unkraut überall wucherte, das Elfenland in blauen Schleier legend. Die oft übersehene, zu gering geschätzte, weil gerade sie allerorten zu sehen. Die Blume, die mir am teuersten, von den Rundohren so lieb Vergissmeinnicht genannt, uns als elloth Corax als „Blume des Corax“ bekannt.

Ich muss so voll Freude gewesen sein, daß meine Hände nicht mal mehr vor Aufregung zitterten, ruhig, denn nun fast am Ziel meiner Suche, glitt mein Zeigfinger von den Initialen dem Pfad der wie Ranken laufenden Beschreibung entlang. Bis zu dem letzten Teil der Beschreibung, den entscheidenden Teil, der mich noch weiter führen sollte in Ereignisse, von dem sich meine Seele, mein Körper noch jetzt erholen müssen.

Es war also kein Gerücht, das Wissen nicht ein Ammenmärchen, ja sogar die letzte Trägerin des Wissens noch nicht verloren, mir sogar gut bekannt. Ich schloss Buch und Augen, die Last der langen Suche fiel wie ein leichtes Tuch von mir ab. Nun galt es die Erkenntnisse in Taten umzusetzen. Die Hüterin des alten Wissens, die Wächterin des Gartens der Eva zu finden würde noch den leichtesten Teil des Folgenden bedeuten.

Ich zahlte einen lächerlichen Preis für dieses unersetzliche Werk, Corax möge mir dies nachsehen, und nahm noch den nächsten Segler gen Heine.


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Pagina secunda
Folgender, wohl in den Tagen danach geführter Dialog lies sich aus den fragmentarischen Aufzeichnungen leidlich rekonstruieren, er fand vermutlich im Garten der Eva (in ihrem Allerheiligsten?) statt:


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"Tritt näher, Samiris, Iell Corax!" eine ebenso alte wie jugendliche Stimme ließ die Priesterin in Ehrfurcht der Aufforderung nachkommen.

"Du hast es also gefunden. Du hast das alte Wissen, das nicht verlorene, nicht vergessene, doch unbeachtet schlafende, geweckt. Nun, Du weißt, was es bedeutet, sich dem hingeben zu wollen?"

Das Haupt noch gesenkt, nickte die Priesterin knapp.

"Dann komm, sei Gast und Schülerin in IHREM Garten, doch klage nicht, wenn du in Verzweiflung und Schmerz die Grenzen von Seele und Körper überschreiten wirst, bis Du – glücklich - erlangt hast, was du wirklich suchtest."


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Hier bricht die Erzählung abrupt ab, doch hege ich Hoffnung, daß sich ihr Fortgang noch in einem der verklebten Blätter findet, aus denen ich die nächsten Blätter schon gewinnen konnte:

Codex diverser loser Blätter
Rekonstruktion einiger Kindheits(Jugend?-)erinnerungen, von mir z.T. ergänzt. Ohne Datum, im elterlichen Anwesen.

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In tausend Splitter berstend, den hohen Saal mit schrillem Knall erschütternd, kracht die Kristallkugel, ein mächtiges Relikt aus altem Familienbesitz, zu ihren Füßen auf den Boden.

Unbeweglich, lauschend, nur zwei Zähne drücken sich in die eingezogene Unterlippe, zwei Augäpfel wandern nach links und rechts, steht die kleine blonde Salzsäule im weiten Raum.
Ein kleiner Fuß schiebt galant die groben Reste des Ungeschicks unter eine gepolsterte Liege.

Gerade regt die Erleichterung des Nichtentdecktseins die schmächtige Gestalt, als eine gellender Schrei das Haus durchfährt:

"SAAAMIRIS!!!!"

Die so Gerufene augenblicklich zusammenzuckt, und sich plötzlich, beim Ruf der Mutter, an fast vergessene Pflichten erinnert.

"Sollte ich nicht eigentlich eine neue Lieferung Kräuter in der Stadt abholen?" Von so plötzlichem Pflichtbewußtsein erfüllt, huscht sie die Tür hinaus, hinter der das Wüten kein Ende zu finden scheint.

Doch da weht der jungen Elfe schon der Frühlingswind entgegen, der sie Richtung Elfenstadt leicht dahintreibt.
Gerade erklimmt sie den Scheitelpunkt eines alten Hohlweges, genießt den kühlen Sand des hinab laufenden Weges zwischen ihren Zehen, als ein Ruck, ein Schlag ihr Gesicht in den weichen Boden drücken.

"Ninniel!" stöhnt die Unterlegene, lachend sitzt die Freundin auf der Elfe, den Triumph des Überfalls genießend. "Aua, außerdem mache ich mich schmutzig!"

"Ha, als ob dir das je was ausmachen würde!"

"Aber das ist doch schon das Kleid für heute Abend!"

"Oh, du hast ja recht."
und reicht der Freundin die Hand und klopft mit ihr Sand und Blätter vom Kleid.

"Wir müssen uns beeilen, die anderen warten schon!"

"Aber ich muss noch etwas besorgen in der Stadt, es herrscht eh schon dicke Luft zuhause." drängt sich ihr (zu selten schlechtes) Gewissen auf.

"Ach, das machen wir gleich morgen früh zusammen nach dem Maskenball, jetzt lass uns erstmal zu den anderen."

Vergnügt rennen beide um die Wette, dem Frühlingsfest entgegen. "Hast du eigentlich um Erlaubnis gefragt, Sami?" "Klar! Bestimmt so wie du!" Schelmisch grinsen sich die beiden an.

...

Schweigen, eisiges Schweigen hängt über den gut zwei Dutzend Familienmitgliedern, im Halbkreis stehend, auf ein zusammengesunkenes Häufchen Elend in ihrer Mitte streng herabblickend.
Endlich ergreift die Großtante das Wort, den schweren Stab auf eine Bodenplatten stoßend:

"Nun ist endgültig Schluss! Wir zählen hier jetzt gar nicht mehr all die ruhmreichen Taten der leibhaftig vor uns stehenden Ungezogenheit auf, auch die gestrigen Großtaten tun nun nichts mehr zur Sache! Samiris?!"

Ängstlich aber vergebens versucht die Angesprochene den Blick zu heben.

"Noch heute Abend wird dich eine Priesterin des Corax zur Giraner Novizenschule geleiten. Dort hast du in den kommenden Jahren Zeit und Gelegenheit, dich endlich in Demut und Ernsthaftigkeit zu üben. Gehe nun und bereite dich für die Reise vor!"

Auch zum Abschied finden sich alle ein, nicht weniger schweigend. Der Triumph der ungeliebten Schwestern, der ach so strebsamen, schmerzt sie nicht, der gleichgültige Blick der Brüder nicht, nur die traurigen Augen der kleinen Finura, die sie ungläubig anstarren, den Weggang der großen Schwester noch nicht ganz begreifend.
Die Tränen auch vor der Mutter verbergend, empfängt sie deren letzte Geschenke, die mütterliche Robe sowie zauberkräftiges Garn und Nadel.
Die Tochter noch ein wenig vor die Türe begleitend, nimmt sie die schmächtige Gestalt noch einmal in die Arme, gegen die Tränen ankämpfend.

"Namarie, meine Kleine! Bereite Deiner Familie keinen Kummer, hörst Du?!"

"Niemals mehr, Mutter, niemals mehr!" stockt diese hervor und dreht sich, Schritt und Blick vom elterlichen Hause abwendend.

"Samiris!"
klingt es nach ein Paar Schritten. Freundlich lächelnd gibt ihr die Mutter den letzen Rat mit auf den Weg: "Und sag nicht so oft niemals, ja?"
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Gladhol elen - lachender Stern - von Samiris - 04.04.2007, 13:52
[Kein Betreff] - von Amandria - 09.05.2007, 15:40
[Kein Betreff] - von Samiris - 11.05.2007, 14:45
[Kein Betreff] - von Nebelkatze - 11.05.2007, 15:31
[Kein Betreff] - von Samiris - 28.08.2007, 10:33
[Kein Betreff] - von Amandria - 18.03.2008, 13:23
Eine neue Zeit - von Samiris - 21.08.2008, 16:36

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