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Anamnesis - Eine Reise
#3
Vertraue. Ein steter Widerhall. Und ich falle durch Wolken aus Feuer.

Vertraue. Ich höre die Stimme nach wie vor durch mein Bewusstsein ziehen, obwohl die Quelle nun Meilen entfernt sein muss. Doch sie wird leiser.

...traue. Sie wird bruchstückhafter. Ein Fragment. Tausend Fragmente. Sie kreisen in meinem Bewusstsein und setzen sich neu zusammen.

...Trauer. Bin ich tot?!

Die Wolken aus Feuer lösen sich auf und wandeln sich in Rauch. Ich falle durch einen dichten Regen aus Asche. Die Schleier lichten sich. Ich stehe vor einem kleinen Tümpel, der den Schein des Vollmondes reflektiert.

Ich höre mich rufen.
"Was soll das alles? Was wollt Ihr mir sagen?"

Ich lausche. Keine Antwort. Nur das stete Tropfen, von einem nassen Felsen, welches sanfte Wellen in den Tümpel schlägt.

Ich gehe auf die nahezu spiegelglatte Oberfläche zu. Ich zögere. Ich war schon immer neugierig, doch was ich in diesem Augenblick empfinde ist stärker. Es zieht mich an. Ich empfinde keine Furcht. Großen Respekt, aber keine Furcht. Ich beuge mich über das Wasser, um auf den Grund zu schauen, doch sehe ich nur mein Spiegelbild. Gebannt schaut mich mein Spiegelbild an.

Ich zucke unwillkürlich zusammen, als Luftblasen aufsteigen. Das Wasser brodelt und eine mit Fangzähnen besetzte Fratze streckt sich mir entgegen.
Ich versuche ihr zu entfliehen, doch zu spät. Sie packt mich.


Ich wache auf. Hunderte Eindrücke meiner Umgebung drohen mich zu erschlagen und lösen eine penetrante Migräne aus. Mit dem nächsten Augenzwinkern realisiere ich den prasselnden Regen und einen unangenehmen muffigen Geruch. Ich werde getragen. Ein breitschultriger Oroka trägt mich auf seinem Rücken und er riecht nach Alkohol.

Es vergeht eine gedehnte Sekunde ehe ich wirklich realisiere. Wohin trägt er mich? Was erwartet er von mir? Bin ich ihm etwas schuldig? Panik überkommt mich und ich stemme mich gegen ihn, um mich abzustossen. Natürlich gelingt es.

"Au!"

Ich presse die Zähne aufeinander. Die Landung war unangenehm. Spitze, fingerknöchelgroße Steine drücken sich in meinen Hintern. Der hintere Teil meiner Robe saugt sich mit eiskaltem Wasser voll und der vordere Teil klebt durch getrocknetes Blut an meinem Körper. Ich keuche und der hünenhafte Verlorene dreht sich humpelnd zu mir um.

"Endlich wach?"

Sein rechtes Bein ist bandagiert. Ich gluckse amüsiert, als ich feststelle, dass es die Arbeit eines Laien war. Eine Schamanin hätte es richtig gemacht. Übelkeit steigt in mir auf. Ich habe das Gefühl ich müsste erbrechen. Mir wird schwindelig. Dann wird wieder alles schwarz.

- - - - -

Als ich wieder erwache regnet es nicht mehr und ich befinde mich wieder auf dem Rücken des Verlorenen. Sein Geruch ist nicht mehr so schlimm. Möglicherweise gewöhne ich mich daran. Ich blicke hoch und erkenne klaren Himmel. Von meiner Migräne keine Spur mehr. Dafür beglücken mich gehörige Rückenschmerzen.

Ich klopfe dem Hünen signalisierend auf die Schulter. Er versteht und setzt mich ab, ehe er sich zu mir umdreht. Ein spitzbübisches Schmunzeln liegt in seinem Bartstoppeln besetztem Gesicht.

"Heute mal auf die sanfte Weise absteigen, hmm?"

Sehr lustig. Doch es wäre nicht gerecht gewesen ihm mit vorwurfsvollem Ton zu entgegnen.

"Wie lang habe ich geschlafen?"

"Es war Abend, als Du das Bewusstsein verloren hast.", er deutet in den Himmel. Mittagsstunde. Ich fühle mich tatsächlich so, als hätte ich einen ganzen Tag nichts gegessen. Meine Hand gleitet über meinen Magen und ich schaue an mir herab.

"Ich jage uns etwas zu essen", meint er und wendet sich direkt ab.

Wieso ist er so zuvorkommend? Wieso nimmt er das alles auf sich?

Mein Magen knurrt.

"Ich bereite das Feuer vor..."

- - - - -

Es war nicht einfach brauchbares Feuerholz zu finden, doch nach etwa einer Stunde brannte das Feuer und das Wild schmorte bereits ordentlich. Der Verlorene und ich sprachen in der Zeit nicht miteinander. Jeder trug seinen Teil bei. Fast so als hätten wir das schon öfter gemeinsam gemacht. Endlich kehrt ein wenig Ruhe ein.

"Du hast mich die ganze Zeit getragen?"

Er schüttelt den Kopf. "Thok, ich habe zwei Mal mit Dir gerastet." Er deutet auf sein Rechtes Bein. "Es wird schneller müde."

"Nord-Osten... Woher wusstest Du, dass ich in die Richtung wollte? Was ist mit dem Werwolf? Wieso hast Du mich so lange verfolgt? Und wieso tust Du das alles für mich?"

Es sprudelt nur so aus mir heraus. All die Fragen, in der Hoffnung alles ergebe Sinn, wenn die Antworten kämen. Erwartungsvoll schaue ich zu ihm und seine blauen Augen fixieren mich nachdenklich.

"Du bist die ganze Zeit den kürzesten Weg nach Nord-Osten. Es war eine logische Schlussfolgerung, dass Du weiter dorthin wolltest, wenngleich mir der Grund noch verschlossen bleibt." Er seufzt. "Der Werwolf ist fort."

Dann zuckt er mit den Schultern. Es ist offenkundig, dass er auf die restlichen Fragen entweder selber keine Antwort weiss oder nicht darüber sprechen will. Ich bin nicht in der Position eine Antwort zu erzwingen. Ich verdanke ihm einfach zu viel. Mein Leben. Den zeitigen Fortlauf meiner Reise... Und was kann ich ihm dafür bieten?

Mein Blick fällt auf die Bandagierung an seinem rechten Oberschenkel. Ohne Worte stehe ich auf und setze mich neben ihn, seinen verdutzten Gesichtsausdruck ignorierend.

"Was soll das werden?!"

"Halt still, ich werde Dich verbinden, wie es sich gehört!"

"D-das war richtig verbunden!", rechtfertigt er sich. "Es ist nur durch die lange Wanderung... äh... aufgelockert!"

"Richtig verbunden wäre es nicht aufgelockert!", gebe ich in tadelndem Tonfall zurück, während ich die blutgetränkten Bandagen entferne und eine tiefe Stichwunde freilege.

Ich schlucke und mein Atem stockt. Hatte er nicht gegen einen Werwolf gekämpft, um mir das Leben zu retten?! Wieso hatte ihn also die klinge eines Dolches verletzt?

Er scheint mein Zögern zu bemerken. "So schlimm sieht es nun auch wieder nicht aus...", murrt er.

Ich schüttel hastig meinen Kopf und die sich überschlagenden Gedanken aus meinem Sinn. Er hat mich gerettet. Es stand mir nicht zu das in Frage zu stellen. Oder konnte es wirklich sein, dass er...?

"Thok, es wird ein leichtes sein, das zu behandeln. Du wirst heute noch unbeschwert gehen können."

Er lächelt zufrieden. "Ich wusste, dass Du das sagst!"

Ich schaue ihn fragend an.

"Na!", brummt er in seinem tiefen Bariton. "Denkst Du ich hätte Dich so weit geschleppt, wenn ich nicht wüsste, dass Du die Verletzung heilen könntest?!"

Ich senke meinen Blick, um mein Schmunzeln zu verbergen. Er brummt noch einmal zufrieden. Den Rest des Tages verbringe ich mit der Versorgung seiner Wunde. Das und noch viel mehr bin ich ihm schuldig. Gesprochen wird nicht. Tagelang nicht.

Der Verlorene begleitet mich auf meiner Reise. Ich habe unlängst aufgehört es in Frage zu stellen. Die eigenartigen Träume, die ich hatte haben sich nicht wiederholt. Ich frage mich wieso. Ich habe versucht sie durch Meditationen zu erzwingen, doch ohne Erfolg. Wir sind schon weit gekommen, doch das Ziel meiner Reise ist noch weit entfernt.

To be continued

OOT: Danke, Shealien =)
[Bild: siggi3.jpg]
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Anamnesis - Eine Reise - von Lia - 27.07.2007, 15:28
[Kein Betreff] - von Shealien - 27.07.2007, 20:06
[Kein Betreff] - von Lia - 28.07.2007, 13:51
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