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Anamnesis - Eine Reise
#11
Wenn die Nacht dem unsäglichen Abyss glich, so war der Tag das leuchtende Ahnenreich. Zumindest war es die allererste Assoziation die ich hatte, als ich nach viel zu kurzem Schlaf meine Augen geöffnet hatte. Das Dorf, dass ich vorgefunden hatte, als ich ankam, glich einem Fort. Doch tatsächlich gab es hinter diesen Wallanlagen auf der Ostseite auch noch einen ungeschützten Bereich mit Häusern, Feldern, Gehwegen und allem was ein funktionstüchtiges Dorf aus machte. Die Ungeheuer der Nacht hatten kein Interesse an den leer stehenden Bauten gezeigt und so blieben diese bis auf wenige oberflächliche Mängel unbeschädigt. Ein Umstand, der mir zu denken gab... zumindest im ersten Augenblick. Doch jetzt, wo das Sonnenlicht sich durch das belaubte Blätterdach der Bäume bricht und die Menschen ihre äußeren Hütten wieder beleben, wirkt jedes Bedenken wie weggewischt. Um ehrlich zu sein beschleicht mich sogar ein Gefühl der Harmonie mit meiner Umgebung... ein innerer Friede.

Mein Begleiter hat sich den Männer angeschlossen, um die Gräben, von den gefallenen Biestern zu befreien und sie weiter aus zu heben. Er wirkt auf einmal nicht mehr so verloren, sondern voller Elan und Freundlichkeit. Würde ich nicht die Umstände kennen, so würde ich sagen er sehe zufrieden aus. Ich will dem nicht im Weg stehen, doch bin ich auch nicht hier her gekommen, um diesen Menschen bei ihrem Überlebenskampf bei zu stehen. Ich suche nach Informationen, die meine These stützen konnten. Jener These, die mich hier her zog und die meine Schritte in diesem Augenblick durch dieses Dorf lenkt.

Ich sehe Kinder, die ihren Müttern bei der Arbeit helfen. Milch wird zu Käse weiter verarbeitet, aufgerissene Kleider wieder zusammengeflickt, Werkzeug geschmiedet. Ein geschäftiges Treiben. Auf meine Frage hin, wo der Friedhof sei, schickt man mich weiter in den Süd-Osten. Ich ernte irritierte Blicke, doch halte ich es nicht für notwendig mich zu rechtfertigen, ausgerechnet den Friedhof besuchen zu wollen. Einen Menschenfriedhof. Zu meiner Zufriedenheit werden auch keine Fragen gestellt.

Der Friedhof dieser Menschen ist einfach gehalten. Er zeugt von einer Ehrlichkeit, die man von den protzigen Prunkwerken, Mausoleen, Grabfiguren und Krypten in Aden nicht kannte. Ich frage mich, ob diese Menschen hier auch derartigen Prunk anstreben würden, wenn sie nicht Tag und Nacht mit dem Überleben zu kämpfen hätten... möglicherweise tat ihnen der Krieg doch gut. Er hinderte sie am Überfluss und besann sie auf das Zweckmäßige.

Grabstein um Grabstein. In Reih und Glied standen sie da. Doch der Stein, den ich suche, steht abseits. Der Grabstein des Oroka, der in dem Tagebuch des Reisenden Erwähnung fand steht unter einer Linde. Der einzigen Linde in der Umgebung des Dorfes. Die Menschen setzten ihn gezielt weiter abseits unter einen besonderen Baum, so steht es in dem Tagebuch geschrieben. Es war verwunderlich, dass sie einem fremden Oroka überhaupt so viel Respekt entgegen brachten, um ihn zu bestatten.

An der Linde angekommen betrachte ich den Grabstein. Die fast ätherisch wirkenden Schatten, der im Wind raschelnden Blätter, schlagen ihre Wellen auf der kalten Oberfläche des Steines. Ich trete näher, durch das lose Laub, das sich am Fuße des Steines gesammelt hatte. Knisternd werden die erstorbenen Blätter von meinen Schritten zur Seite gedrängt, ehe ich mich hinknie und die eingravierten Zeilen des Grabsteines lese:

"In Dir, Sonne, liegt die Wahrheit.
Du bist mein Führer.
Dein Schein inspiriert mich.

Meine Augen sind stets offen,
Um Dein Licht zu spiegeln
Und meinen Kindern den Weg zu weisen.

Möge die Nacht auch Gefahren bergen,
Du erhebst Dich am Morgen über alle Berge
Und erhellst selbst die engste Gebirgsschlucht,
Um die verborgenste Wahrheit frei zu geben."


Eine Abwandlung eines orkischen Gebetes in orkischen Zeichen und Schrift. Die letzten vier Zeilen wurden geändert. Vermutlich, um die Lage in diesem Tal zu umschreiben. Das Symbol, das ich in dem Tagebuch fand ist auch in den Stein eingraviert. Das Monsterauge, mit dem Dreiecksmuster in der Pupille. Es ruht wachsam über den Zeilen und scheint zu leuchten, wie die Sonne. Ein Verfasser ist nicht angegeben. Kein Name ist auf dem Stein eingraviert und auch kein Todestag.

[Bild: tombstone.jpg]

Ich erhebe mich, als hinter mir eine Stimme erklingt, die ich bisher kaum zu hören bekommen hatte.

"Es ist kein wirklicher Grabstein," es ist die Stimme der jungen Maid oder besser gesagt der Tochter des Anführers dieses Dorfes. Ich blicke sie nur fragend an. War sie mir gefolgt?

"Der Ork, der hier begraben liegen soll, schlug den Stein selbst und brachte ihn hier her. Er setzte ihn unter die Linde und ging davon." Sie deutet Richtung Osten. "Ich hörte meinen Vater einige Male davon sprechen. Damals passierte selten etwas Bemerkenswertes."

"Seid Ihr mir deshalb gefolgt? Weil endlich mal wieder ein bemerkenswerter Grünling da ist?" Ich blicke sie bei den Worten eindringlich an.

Obwohl meine Stimme gelassen bleibt, erschreckt das Mädchen wegen der forschen Formulierung. "Nein! Verzeiht! Ich wollte mich nicht aufdrängen, aber..." Sie zögert. "Ihr habt Recht. Der Alltag hier... ist einseitig. Ich war froh neue Gesichter zu sehen... ich folgte Euch in meiner Neugier. Bitte seid mir nicht böse."

Ich kann mein Amüsement nicht verbergen. Ein sachtes Schmunzeln stiehlt sich auf meine Lippen. "Was wisst Ihr über diesen Oroka?"

Sie scheint sich zu beruhigen und schüttelt nach einem Moment den Kopf. "Nichts, was mein Vater nicht auch erzählen könnte. Er war wohl ein geduldeter Gast hier. Freundlich soll er auch gewesen sein, aber über sich hat er nicht viel erzählt. Er hielt sich hier mehrere Monate auf war aber stets unterwegs."

"In den Bergen?"

Sie scheint zu erwägen. "Möglicherweise. Das war noch vor der Zeit der Ungeheuer. Ich war zu der Zeit noch nicht geboren."

Ich nicke dankend. "Kehrt zu Eurer Arbeit zurück, Kind. Die Anderen brauchen Euch."

Diese Worte und der tadelnde Ton in meiner Stimme genügen aus. Ich kann förmlich sehen, wie das schlechte Gewissen des Mädchens in ihrem Geiste einschlägt. Ein Ruck geht durch ihren Körper, ehe sie sich rasch verbeugt und abwendet. Unsicher blickt sie ein letztes Mal zu mir zurück.
Es würde das letzte Mal sein, dass ich sie sah... Zumindest lebendig.

- - - - -

Die Arbeiten an den Gräben gehen dank der Hilfe des Verlorenen zügig voran. Die Menschen scheinen begeistert von seiner Kraft und dem Ideenreichtum des Oroka, was Ausbesserungen der Wallanlagen betraf. Immerzu wird sein Name gerufen, sobald Fragen aufkommen oder seine Kraft von Nöten ist... und das ist auch die erste Stelle, an der ich seinen Namen erfahre: Afi
Ironischer Weise ist es ein verbreiteter Gandi-Name. Doch ich meide es besser ihn darauf aufmerksam zu machen. Wer weiss wie er darauf reagiert.

"Afi!"

Er blickt überrascht auf, als er mich seinen Namen rufen hört. Ja, er wirkt fast schon schockiert. Ein unbezahlbarer Gesichtsausdruck bietet sich mir und ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen: "Du solltest Dir eine Ruhe gönnen."

Er winkt ab. "Ich lege mich vor Nachteinbruch hin, wenn noch Zeit bleibt."

Ich nicke und wende mich meinem erneuten Weg nach Osten zu, doch bewegt mich seine Stimme wieder zum Umwenden: "Lia!"

"Kha?"

Er grinst frech, "Ich habe gehört Du hast gekämpft wie eine Khavatari!"

Ich erschrecke und weiss nicht einmal wieso. Mir wird wieder bewusst was in der Nacht geschehen ist und wie viele Fragen es in mir wach rief. Afi schien meine Reaktion bemerkt zu haben und blickt mich nun besorgt an. Zeit für mich mein bestes Lächeln aufzulegen: "Thok, nicht wie eine Khavatari, sondern wie eine wütende Schamanin!", entgegne ich wieder souveräner als zuvor.

Ich wende mich mit dem falschen Lächeln ab und setze meinen Weg fort, ohne darauf zu achten, ob ich Afi mit meiner gespielten Unbesorgtheit verblenden konnte oder nicht. Ich mache mir nicht einmal Gedanken darüber, denn ich habe einen neuen Entschluss getroffen, der meine ganze Aufmerksamkeit für sich vereinnahmt.

Ich gehe weiter! Weiter nach Osten zum Fuße der Berge. Hastig tragen mich meine Schritte von den anderen Weg. Hastig, denn ich muss noch vor Nachteinbruch an meinem Zielort ankommen. Alleine.

to be continued...

OOT: Danke für das Lob Uriel und Maya =)

Hab nun länger nichts mehr gepostet, was natürlich nicht heisst, dass die Geschichte nicht weiter geht. Sie existiert ja bereits hier *sich an die Schläfe tippt* Ich muss nur die Zeit (und Lust, herrje, ja ich bin faul! ^^) finden sie nieder zu schreiben. Bereits jetzt fällt mir auf, dass es mehr Teile werden, als ich ursprünglich geplant hatte. Eine Große Frage die ich mir noch stelle ist: Soll ich den Tempus ändern, sobald "Die Reise" zu Ende ist?

Ich bin mir unschlüssig, aber meine Intuition sagt mir, dass ich am Ball bleiben muss.
[Bild: siggi3.jpg]
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Anamnesis - Eine Reise - von Lia - 27.07.2007, 15:28
[Kein Betreff] - von Shealien - 27.07.2007, 20:06
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