14.09.2008, 13:28
IV. -Auf der Reise
Delajla und Arlin waren bereits aufgebrochen – hatten den Wasserweg zur sprechenden Insel und von dort weiter gen Gludin genommen. Auf einer kleinen Plattform im Rücken des verlassenen Leuchtturmes schlugen sie ihr Nachtquartier auf…
Der Himmel barg viele Sterne in dieser Nacht. Dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.
Langsam stand ich auf und schälte mich aus dem wollenen Umhang, den ich über mich ausgebreitet hatte. Ich blickte zum Haus. Es schien verlassen, wie schon gestern, als ich es zusammen mit Arlin von außen erkundet hatte. Er hatte enttäuscht gewirkt, dass Ismarel, mein alter Lehrmeister, nicht mehr dort lebte.
Jedoch schien jenes alte Haus Augen und Ohren zu haben – ein Gefühl, das mir nicht behagte.
Vorsichtig warf ich einen Blick gen Arlin, der sich neben mir zusammengerollt hatte und scheinbar tief und fest schlief. Ich legte sacht eine Hand auf seine Wange, bemüht, jenes so vorsichtig zu tun, dass ich ihn ja nicht wecken würde. Seine Haut fühlte sich kalt an, wie immer – Körperwärme schien etwas zu sein, was dem Manne fremd zu sein schien - und besorgt breitete ich meinen Umhang auch noch über ihn, ehe ich eine meiner Laternen entzündete und über die Hängebrücke auf das Haus zu ging, eine kleine Wurfaxt im Gürtel. Wer oder was diesem Hause Augen und Ohren gab, würde sicherlich auch Zähne haben.
Die Tür war nicht verschlossen und knarrte leise in den Angeln. Den verlassenen Anschein, den das Haus von außen gemacht hatte wurde mir sogleich im Inneren bestätigt. Pergamente lagen überall verstreut und raschelten vom Wind, der sich durch die Ritzen der Wände geschlichen hatte. Kerzen, Kerzenhalter, eine Axt mit geborstenem Griff und ein altes Schild, gespalten durch eine lange Kerbe. Die wenigen Möbel waren alt und verkommen, und es schien mir eines Testamentaufschriebes gleich, sich auf sie zu setzen.
Leisen Schrittes stieg ich die alten Holzstufen empor ins Obergeschoss. Doch das Quietschen und Knarren der Treppe kündigte mich besser an, als jeder Wachhund. Ein rötliches Glimmen kündigte Leben an. Ich hob Laterne und Axt vor mich, doch es geschah nichts. Eine lauernde Stille lag über dem Raum und da niemand dort zu sein schien, blickte ich mich um. Was ich sah, überraschte mich zu tiefst: der verfallene und verlassene Eindruck beschränkte sich nur auf den unteren Teil des Gebäudes – einige Fakeln beläuchteten den Raum, ließen mich einen Blick auf ein reichliches Arsenal von unterschiedlichsten Waffen werfen, die an der Wand hängend und lehnend darauf zu warten schienen, begutachtet zu werden. Ich ließ die Axt sinken, und mein Blick setzte seine Wanderung fort, über Strohballen, die teils als Bett, teils als Stühle zu dienen schienen. Ein alter, aber gut gepflegter Tisch stellte den Mittelpunkt des Raumes dar. Auch hier stapelten sich Pergamente, jedoch sorgfältig geordnet. Nur die Fenster waren auch von innen so dunkel – vielleicht durch Ruß – dass das obere Stockwerk von außen uneinsichtig war.
Kein Zweifel – dieses Haus war in der Tat bewohnt. Doch seltsamerweise schienen sämtliche Sinne und Impulse in mir gelähmt zu sein. Ja, sogar jegliches Denken. Ich wollte mich gerade über die Pergamente beugen, als ich im Augenwinkel eine Bewegung am Boden vernahm, die mich letztlich aus dem Bann riss. Ich wirbelte herum, die Axt in der Hand, bereit mich zu verteidigen.
Das Drachenbaby schaute mich aus wissenden, beinahe spöttischen Augen an. Ich ließ die Axt abermals sinken und schon trottete es auf mich zu, fast wie ein Hund – es war auch keinen Deut größer als ein solcher es gewesen wäre – und rieb die beschuppten Flanken an meinen Beinen.
„Nun, hast du meinen stillen Ruf erhört, Delajla? Bist meiner unausgesprochene Bitte ereilt?“
Einen Augenblick überkam mich der fast lächerliche Gedanke, der Drache hätte gesprochen. Dann hob ich den Blick und erkannte im Schatten der Fakeln eine Gestalt, auf einem der Strohballen sitzend, den Blick aus dem Fenster gerichtet und mir so den Rücken zu wendent. Ich kam noch nicht einmal auf die Idee, die Axt abermals zu erheben. Dann erhob der Schatten sich und wandte sich langsam, fast schwerfällig, zu mir herum. Ich erkannte ihn sofort, obgleich er sich verändert hatte. Das Haar war weiß, glatt und sehr lang geworden und das weise Gesicht durchzogen sehr viele neue Furchen, Falten und Narben. Das linke Auge war schwarz und blind wie eh und je, doch das Rechte blitzte mich in einem hellen Blau an, zweifelslos hocherfreut – auch wenn dieses Lächeln nicht bis zu den blassen Lippen reichte. Obgleich seines Alters – er mochte nun wohl schon um die 80 Sommer auf dem Buckel haben – hielt er sich aufrecht und das Haupt stolz erhoben, die Muskeln unter der faltigen Haut schienen erschlafft, doch noch immer trug er diesen Hauch von Krieg, Kampf und Ruhm. Ismarel musterte mich fast wie ein von ihm geschaffenes Kunstwerk. “Du bist eine Frau geworden, seit ich dich in jenem Sommer fort schickte, Delajla. Eine wahrhaftig prächtige Frau…“
Jene Worte brachen den Bann und ich schluckte schwer. Die Ehrfurcht vor ihm war zu gross, als dass ich ihn einfach umarmt hätte – obgleich er nicht mehr mein Lehrmeister war. “Ich dachte du wärst…“ begann ich hilflos. “Tot?“ ergänzte er trocken, begann dann, als er meinen Gesichtsausdruck sah, haltlos zu kiechern, ein Geräusch, das bei alten Männern oft an ein ganz leises, aber intensives Husten erinnert – rauh, kehlig. “Wenn ich dich eins gelehrt habe, dann das, dass Unkraut nicht vergeht, oder?“ Ich lächelte müde, zu mehr war ich schier zu verwirrt. “Dennoch verbieten meine mürben Knochen es mir, stundenlang herum zu stehen.“ sprach er, drehte sich um und setzte sich wieder auf den Strohballen. So, mit dem Rücken zu mir, wies er mit einer Geste neben sich. Ich trat heran und setzte mich zu ihm, blickte hinaus und sah das letzte leichte Glimmen unseres Lagerfeuers, Arlins schlafende Gestalt, und die Lichter eines Schiffes, das gerade den Hafen verließ – unten, weit unter uns.
“Mir scheint du hast den Verlust von Berold nun endlich verkraftet?“ Ismarel deutete mit ernster Mine auf Arlin. Der Alte schien zu wissen, was ihn erwartete, denn er war nicht überrascht, als ich auffuhr: “Ich werde jenes niemals verkraften und das weißt du! Ich bin Schuld an seinem Tode!“ Ismarel lächelte nur müd’. “Meinst du nicht, dass dir, solltest du wirklich Schuld gewesen sein, der Vater des Jungen längst den Kopf von den Schultern geschlagen hätte?“ Doch ich hörte gar nicht mehr zu.
Ich sah das Szenario so deutlich vor mir… die Schuppen des Drachen hatten in allen erdenklichen Blautönen geschimmert, das Auge geleuchtet wie die Flammen, die er uns entgegenlodern ließ. Die Echse war groß, jedoch nicht riesig. Das Duzend Männer das ich unter meinem Befehl wusste, würde langen.
Der Kampf war lang und schwer. Immerwieder ließen Feuerszungen die Luft um uns siedentheiß brennen. Ich war 16, Berold, der Mann den ich liebte gerade 18 – und etwas langsamer und unbehänder als sonst durch den kaum verheilten Bruch in seinem Bein.
Es war mein erster Drache. Dass es der Einzige bleiben würde, wusste ich nicht. Zu blind war ich in dem Gedanken meine Eltern zu rächen. Zu blind im Kampfe. Dass Berold getroffen wurde, sah ich zu spät. Ich wollte zu ihm, doch ich konnte nicht. Die Männer hatten sich in Sicherheit gebracht und so gab es nur noch mich und den Drachen, der mir den Weg zu Berold versperrte. Die Bestie war bereits schwer verwundet und daher umso wütender, verzweifelter. Aus dem Schnitt an meinem Hals rann Blut in Ströhmen. Viel Blut, zu viel, das mir fast das Bewusstsein raubte. Doch auch ich war verzweifelt, wütend. Und jenes Gefühl gab mir die Kraft erst in dem Moment zusammen zubrechen, in dem mein Schwert bis zum Heft in der Brust des Drachens steckte. Meine Gedanken waren längst nicht mehr auf dem Schlachtfeld um die blaue Echse. Sie waren bei ihm, bei Berold, den ich liebte. Und den ich trotz seines verletzten Beines nicht davon abgehalten hatte, mit in meine Schlacht zu folgen.
Ismarel berührte mich an der Schulter und riss mich so in die Gegenwart zurück. Ich spürte, dass meine Wangen feucht waren und wandt fast automatisch den Kopf ab, die Zähne tief in die Unterlippe schlagend, um mich zu sammeln. Ismarel gab mir diese kurze, kostbare Zeit, ehe er mich ansprach: “Er hätte es nicht ausgehalten, dich nicht zu begleiten, dass weißt du. Es war sein Wille, sein Risiko. Du konntest nicht über ihn entscheiden. Sogar ICH konnte es nicht.“ kurz atmete er schwer durch, ehe er weitersprach: “Es ist nie deine Schuld gewesen, Delajla. Es gibt Dinge, die in einer gewissen Art und Weise vorbestimmt sind… Die man nicht ändern kann, selbst wenn man es will. Selbst wenn man sein Leben geben würde…“
Ich nickte leicht, jedoch nicht, weil ich ihm zustimmte. “Ich hätte ihm helfen können, ihn verteidigen…“ Ismarel schüttelte das weisse Haupt, auch er schien jetzt aufgebracht. “Wie denn? Du warst schwer verletzt, bist uns beinahe verblutet! Es ist ein Wunder dass du den Drachen noch töten konntest, bevor er DICH töten konnte!“ Und dann wurde seine Stimme leise, gefährlich leise: “Wäre es deine Schuld gewesen so hätte ich dich dem Henker vorgeführt, als Schuldige am Tod meines Sohnes. Zweifle nie wieder meine Fähigkeit an, über Menschen zu richten, Delaila.“ Er verstummte, schwer atmend, und ich gab auf, senkte den Blick und nickte nur. Vielleicht hat er Recht. Ein jeder bestimmt sein Schicksal selbst, doch letztendlich gibt es Wege, die vorherbestimmt sind. Die man nicht beeinflussen kann.
Wir schwiegen einige lange Minuten, ehe Ismarel – nun wieder sichtlich entspannt – auf meinen Reisegefährten deutete, der sich just in diesem Augenblick im Schlaf auf die andere Seite drehte. “Du bist also bereit, die Schatten der Vergangenheit zu besiegen?“ Ich nickte leicht, “Ja, ich bin bereit an den Ort meiner Kindheit zurück zukehren.“ Er schüttelte den Kopf. “Das war es nicht, was ich meinte, denn sonst wärst du nicht hier. Nein, ich meine…“ – er deutete abermals auf Arlin – “Der Bursche. Du scheinst Gefallen an ihm gefunden zu haben… was ich beobachten konnte, scheint auch er einen deutlichen interessierten Eindruck...“ Ich unterbrach ihn: “Wie kommst du denn auf diesen törichten Einfall? Er begleitet mich doch nur!“ Ismarel begann abermals zu kiechern. “Und nur ein kurzer Blick in deine Augen strafen jene Worte Lügen. Du bist noch immer eine sehr schlechte Schauspielerin, Delajla!“ Ich seufzte. Er kannte mich zu gut, als dass ich es weiter hätte abstreiten können. Auch wenn ich noch immer nicht wusste, was genau ich über Arlin denken sollte – das Gefühl, dass er weit mehr war, als er zugab, wurde ich ohnehin nicht los – ich war mir schmerzlich dessen bewusst, dass er mehr füt mich war, als eine Reisebegleitung. In wie fern – ich konnte es nicht sagen.
“Er ist nicht Berold…“ begann ich, doch Ismarel war schneller: “Na zum Glück! Wer kennt besser die Schwächen eines Mannes als sein eigener Vater?“ Er lächelte das traurige Lächeln eines Mannes, der seinen Sohn verloren, aber nie vergessen hatte. Dann legte er mir eine Hand auf die Schulter. “Tu das, was ich als Vater nicht tun kann… Öffne dein Herz und geb ihm die Möglichkeit, es zu erwärmen. Du musst ja nichts erzwingen oder ereilen… Wer weiss, vielleicht wird auch er noch lange brauchen. Vielleicht genauso lange wie du…“
Ich blickte Ismarel überrascht an. “Aber du kennst ihn doch gar nicht…“ Er lachte leise. “Natürlich kenne ich ihn nicht. Nun schau dir das Kerlchen doch mal genau an, Kleines… Du wirst doch nicht den Frevel begehen zu glauben, dass er das ist, das er zu sein scheint, oder?“
Delajla und Arlin waren bereits aufgebrochen – hatten den Wasserweg zur sprechenden Insel und von dort weiter gen Gludin genommen. Auf einer kleinen Plattform im Rücken des verlassenen Leuchtturmes schlugen sie ihr Nachtquartier auf…
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Der Himmel barg viele Sterne in dieser Nacht. Dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.
Langsam stand ich auf und schälte mich aus dem wollenen Umhang, den ich über mich ausgebreitet hatte. Ich blickte zum Haus. Es schien verlassen, wie schon gestern, als ich es zusammen mit Arlin von außen erkundet hatte. Er hatte enttäuscht gewirkt, dass Ismarel, mein alter Lehrmeister, nicht mehr dort lebte.
Jedoch schien jenes alte Haus Augen und Ohren zu haben – ein Gefühl, das mir nicht behagte.
Vorsichtig warf ich einen Blick gen Arlin, der sich neben mir zusammengerollt hatte und scheinbar tief und fest schlief. Ich legte sacht eine Hand auf seine Wange, bemüht, jenes so vorsichtig zu tun, dass ich ihn ja nicht wecken würde. Seine Haut fühlte sich kalt an, wie immer – Körperwärme schien etwas zu sein, was dem Manne fremd zu sein schien - und besorgt breitete ich meinen Umhang auch noch über ihn, ehe ich eine meiner Laternen entzündete und über die Hängebrücke auf das Haus zu ging, eine kleine Wurfaxt im Gürtel. Wer oder was diesem Hause Augen und Ohren gab, würde sicherlich auch Zähne haben.
Die Tür war nicht verschlossen und knarrte leise in den Angeln. Den verlassenen Anschein, den das Haus von außen gemacht hatte wurde mir sogleich im Inneren bestätigt. Pergamente lagen überall verstreut und raschelten vom Wind, der sich durch die Ritzen der Wände geschlichen hatte. Kerzen, Kerzenhalter, eine Axt mit geborstenem Griff und ein altes Schild, gespalten durch eine lange Kerbe. Die wenigen Möbel waren alt und verkommen, und es schien mir eines Testamentaufschriebes gleich, sich auf sie zu setzen.
Leisen Schrittes stieg ich die alten Holzstufen empor ins Obergeschoss. Doch das Quietschen und Knarren der Treppe kündigte mich besser an, als jeder Wachhund. Ein rötliches Glimmen kündigte Leben an. Ich hob Laterne und Axt vor mich, doch es geschah nichts. Eine lauernde Stille lag über dem Raum und da niemand dort zu sein schien, blickte ich mich um. Was ich sah, überraschte mich zu tiefst: der verfallene und verlassene Eindruck beschränkte sich nur auf den unteren Teil des Gebäudes – einige Fakeln beläuchteten den Raum, ließen mich einen Blick auf ein reichliches Arsenal von unterschiedlichsten Waffen werfen, die an der Wand hängend und lehnend darauf zu warten schienen, begutachtet zu werden. Ich ließ die Axt sinken, und mein Blick setzte seine Wanderung fort, über Strohballen, die teils als Bett, teils als Stühle zu dienen schienen. Ein alter, aber gut gepflegter Tisch stellte den Mittelpunkt des Raumes dar. Auch hier stapelten sich Pergamente, jedoch sorgfältig geordnet. Nur die Fenster waren auch von innen so dunkel – vielleicht durch Ruß – dass das obere Stockwerk von außen uneinsichtig war.
Kein Zweifel – dieses Haus war in der Tat bewohnt. Doch seltsamerweise schienen sämtliche Sinne und Impulse in mir gelähmt zu sein. Ja, sogar jegliches Denken. Ich wollte mich gerade über die Pergamente beugen, als ich im Augenwinkel eine Bewegung am Boden vernahm, die mich letztlich aus dem Bann riss. Ich wirbelte herum, die Axt in der Hand, bereit mich zu verteidigen.
Das Drachenbaby schaute mich aus wissenden, beinahe spöttischen Augen an. Ich ließ die Axt abermals sinken und schon trottete es auf mich zu, fast wie ein Hund – es war auch keinen Deut größer als ein solcher es gewesen wäre – und rieb die beschuppten Flanken an meinen Beinen.
„Nun, hast du meinen stillen Ruf erhört, Delajla? Bist meiner unausgesprochene Bitte ereilt?“
Einen Augenblick überkam mich der fast lächerliche Gedanke, der Drache hätte gesprochen. Dann hob ich den Blick und erkannte im Schatten der Fakeln eine Gestalt, auf einem der Strohballen sitzend, den Blick aus dem Fenster gerichtet und mir so den Rücken zu wendent. Ich kam noch nicht einmal auf die Idee, die Axt abermals zu erheben. Dann erhob der Schatten sich und wandte sich langsam, fast schwerfällig, zu mir herum. Ich erkannte ihn sofort, obgleich er sich verändert hatte. Das Haar war weiß, glatt und sehr lang geworden und das weise Gesicht durchzogen sehr viele neue Furchen, Falten und Narben. Das linke Auge war schwarz und blind wie eh und je, doch das Rechte blitzte mich in einem hellen Blau an, zweifelslos hocherfreut – auch wenn dieses Lächeln nicht bis zu den blassen Lippen reichte. Obgleich seines Alters – er mochte nun wohl schon um die 80 Sommer auf dem Buckel haben – hielt er sich aufrecht und das Haupt stolz erhoben, die Muskeln unter der faltigen Haut schienen erschlafft, doch noch immer trug er diesen Hauch von Krieg, Kampf und Ruhm. Ismarel musterte mich fast wie ein von ihm geschaffenes Kunstwerk. “Du bist eine Frau geworden, seit ich dich in jenem Sommer fort schickte, Delajla. Eine wahrhaftig prächtige Frau…“
Jene Worte brachen den Bann und ich schluckte schwer. Die Ehrfurcht vor ihm war zu gross, als dass ich ihn einfach umarmt hätte – obgleich er nicht mehr mein Lehrmeister war. “Ich dachte du wärst…“ begann ich hilflos. “Tot?“ ergänzte er trocken, begann dann, als er meinen Gesichtsausdruck sah, haltlos zu kiechern, ein Geräusch, das bei alten Männern oft an ein ganz leises, aber intensives Husten erinnert – rauh, kehlig. “Wenn ich dich eins gelehrt habe, dann das, dass Unkraut nicht vergeht, oder?“ Ich lächelte müde, zu mehr war ich schier zu verwirrt. “Dennoch verbieten meine mürben Knochen es mir, stundenlang herum zu stehen.“ sprach er, drehte sich um und setzte sich wieder auf den Strohballen. So, mit dem Rücken zu mir, wies er mit einer Geste neben sich. Ich trat heran und setzte mich zu ihm, blickte hinaus und sah das letzte leichte Glimmen unseres Lagerfeuers, Arlins schlafende Gestalt, und die Lichter eines Schiffes, das gerade den Hafen verließ – unten, weit unter uns.
“Mir scheint du hast den Verlust von Berold nun endlich verkraftet?“ Ismarel deutete mit ernster Mine auf Arlin. Der Alte schien zu wissen, was ihn erwartete, denn er war nicht überrascht, als ich auffuhr: “Ich werde jenes niemals verkraften und das weißt du! Ich bin Schuld an seinem Tode!“ Ismarel lächelte nur müd’. “Meinst du nicht, dass dir, solltest du wirklich Schuld gewesen sein, der Vater des Jungen längst den Kopf von den Schultern geschlagen hätte?“ Doch ich hörte gar nicht mehr zu.
Ich sah das Szenario so deutlich vor mir… die Schuppen des Drachen hatten in allen erdenklichen Blautönen geschimmert, das Auge geleuchtet wie die Flammen, die er uns entgegenlodern ließ. Die Echse war groß, jedoch nicht riesig. Das Duzend Männer das ich unter meinem Befehl wusste, würde langen.
Der Kampf war lang und schwer. Immerwieder ließen Feuerszungen die Luft um uns siedentheiß brennen. Ich war 16, Berold, der Mann den ich liebte gerade 18 – und etwas langsamer und unbehänder als sonst durch den kaum verheilten Bruch in seinem Bein.
Es war mein erster Drache. Dass es der Einzige bleiben würde, wusste ich nicht. Zu blind war ich in dem Gedanken meine Eltern zu rächen. Zu blind im Kampfe. Dass Berold getroffen wurde, sah ich zu spät. Ich wollte zu ihm, doch ich konnte nicht. Die Männer hatten sich in Sicherheit gebracht und so gab es nur noch mich und den Drachen, der mir den Weg zu Berold versperrte. Die Bestie war bereits schwer verwundet und daher umso wütender, verzweifelter. Aus dem Schnitt an meinem Hals rann Blut in Ströhmen. Viel Blut, zu viel, das mir fast das Bewusstsein raubte. Doch auch ich war verzweifelt, wütend. Und jenes Gefühl gab mir die Kraft erst in dem Moment zusammen zubrechen, in dem mein Schwert bis zum Heft in der Brust des Drachens steckte. Meine Gedanken waren längst nicht mehr auf dem Schlachtfeld um die blaue Echse. Sie waren bei ihm, bei Berold, den ich liebte. Und den ich trotz seines verletzten Beines nicht davon abgehalten hatte, mit in meine Schlacht zu folgen.
Ismarel berührte mich an der Schulter und riss mich so in die Gegenwart zurück. Ich spürte, dass meine Wangen feucht waren und wandt fast automatisch den Kopf ab, die Zähne tief in die Unterlippe schlagend, um mich zu sammeln. Ismarel gab mir diese kurze, kostbare Zeit, ehe er mich ansprach: “Er hätte es nicht ausgehalten, dich nicht zu begleiten, dass weißt du. Es war sein Wille, sein Risiko. Du konntest nicht über ihn entscheiden. Sogar ICH konnte es nicht.“ kurz atmete er schwer durch, ehe er weitersprach: “Es ist nie deine Schuld gewesen, Delajla. Es gibt Dinge, die in einer gewissen Art und Weise vorbestimmt sind… Die man nicht ändern kann, selbst wenn man es will. Selbst wenn man sein Leben geben würde…“
Ich nickte leicht, jedoch nicht, weil ich ihm zustimmte. “Ich hätte ihm helfen können, ihn verteidigen…“ Ismarel schüttelte das weisse Haupt, auch er schien jetzt aufgebracht. “Wie denn? Du warst schwer verletzt, bist uns beinahe verblutet! Es ist ein Wunder dass du den Drachen noch töten konntest, bevor er DICH töten konnte!“ Und dann wurde seine Stimme leise, gefährlich leise: “Wäre es deine Schuld gewesen so hätte ich dich dem Henker vorgeführt, als Schuldige am Tod meines Sohnes. Zweifle nie wieder meine Fähigkeit an, über Menschen zu richten, Delaila.“ Er verstummte, schwer atmend, und ich gab auf, senkte den Blick und nickte nur. Vielleicht hat er Recht. Ein jeder bestimmt sein Schicksal selbst, doch letztendlich gibt es Wege, die vorherbestimmt sind. Die man nicht beeinflussen kann.
Wir schwiegen einige lange Minuten, ehe Ismarel – nun wieder sichtlich entspannt – auf meinen Reisegefährten deutete, der sich just in diesem Augenblick im Schlaf auf die andere Seite drehte. “Du bist also bereit, die Schatten der Vergangenheit zu besiegen?“ Ich nickte leicht, “Ja, ich bin bereit an den Ort meiner Kindheit zurück zukehren.“ Er schüttelte den Kopf. “Das war es nicht, was ich meinte, denn sonst wärst du nicht hier. Nein, ich meine…“ – er deutete abermals auf Arlin – “Der Bursche. Du scheinst Gefallen an ihm gefunden zu haben… was ich beobachten konnte, scheint auch er einen deutlichen interessierten Eindruck...“ Ich unterbrach ihn: “Wie kommst du denn auf diesen törichten Einfall? Er begleitet mich doch nur!“ Ismarel begann abermals zu kiechern. “Und nur ein kurzer Blick in deine Augen strafen jene Worte Lügen. Du bist noch immer eine sehr schlechte Schauspielerin, Delajla!“ Ich seufzte. Er kannte mich zu gut, als dass ich es weiter hätte abstreiten können. Auch wenn ich noch immer nicht wusste, was genau ich über Arlin denken sollte – das Gefühl, dass er weit mehr war, als er zugab, wurde ich ohnehin nicht los – ich war mir schmerzlich dessen bewusst, dass er mehr füt mich war, als eine Reisebegleitung. In wie fern – ich konnte es nicht sagen.
“Er ist nicht Berold…“ begann ich, doch Ismarel war schneller: “Na zum Glück! Wer kennt besser die Schwächen eines Mannes als sein eigener Vater?“ Er lächelte das traurige Lächeln eines Mannes, der seinen Sohn verloren, aber nie vergessen hatte. Dann legte er mir eine Hand auf die Schulter. “Tu das, was ich als Vater nicht tun kann… Öffne dein Herz und geb ihm die Möglichkeit, es zu erwärmen. Du musst ja nichts erzwingen oder ereilen… Wer weiss, vielleicht wird auch er noch lange brauchen. Vielleicht genauso lange wie du…“
Ich blickte Ismarel überrascht an. “Aber du kennst ihn doch gar nicht…“ Er lachte leise. “Natürlich kenne ich ihn nicht. Nun schau dir das Kerlchen doch mal genau an, Kleines… Du wirst doch nicht den Frevel begehen zu glauben, dass er das ist, das er zu sein scheint, oder?“