15.09.2008, 17:35
V. -Die andere Seite
Ich erwachte, weil mir kalt war. Trotz des dicken Reiseumhang fröstelte mir. Arlin hatte im Schlaf den Arm um mich gelegt und fast schien mir, als ob jene Kälte von ihm aus ging. Ich löste mich vorsichtig aus seinem Arm und trat zum Rand der Klippe, die diese Nacht unser Nachtquartier darstellte. Die Erinnerungen an den letzten Tag ließen mich augenblicklich hellwach werden. Ich setzte mich auf den Rand der Klippe, ließ die Ereignisse Revue passieren und die Beine baumeln.
Wie hatten das Dorf gefunden, das einst meine Heimat war. Die Zeit hatte ihre Wirkung getan, so dass jenes Dorf nun fast mit der Stadt Gludin verschmolz, welche nach dem Angriff der Drachen erbaut worden war. Nicht auf den Trümmern, nein, sondern dicht daneben. Warum - fragte ich mich, doch beantwortete mir die Frage sofort selbst. Ich war dort gewesen, hatte es gespürt... die Geister der Vergangenheit welche nie ruhten. Eine gute Basis für das Neubebauen war dies gewiss nicht.
Ich rieb mir die Stirn, unter der leichte Kopfschmerzen ihr Unwesen trieben. Ja, es war in der Tat ein ereignisreicher Tag gewesen. Zumal er mir mehr als nur eine offene Frage beantwortet hatte. Noch am Morgen des Selbigen hatte ich nicht gewusst, wer ich eigentlich war- wer ich eigentlich sein wollte. Drachenjägerin... nie war ich eine gewesen und nun endlich wusste ich es auch sicher. Ich hatte das Gefühl, nichts zu sein. Ein halbes Leben verschenkt. Unwiderbringlich. Doch nun wusste ich, dass Zeit keine Bedeutung hatte.
Unsterblichkeit. Das ewige Leben. Wer wünscht sich das nicht. Mein Blick huschte zu Arlin, der friedlich in einer mehr als nur unbequem wirkenden Schlafstellung an einem der kleinen Felsen lehnte. Sofort kamen mir wieder seine Worte in den Kopf: "Ich bin gewissermaßen bereits gestorben" Ich hatte ihn gefragt, wie er jene Bestimmung nannte, die sein Eigen war. Umso mehr überrascht war ich über seine Antwort, hatte ich doch etwas Gewaltigeres erwartet: "Ich bin ein Reisender" Bescheiden, wie es seine Eigenart war, doch schienen diese Worte es wohl am Ehesten zu treffen.
Ich griff in meinen Beutel und zog die Pergamente hervor, die ich in den Ruinen gefunden hatte. Ich kannte die Schrift, die Perfektion, mit der die Linien geführt waren. Natürlich, ich bin sehr jung gewesen. Und doch erkannte ich das Talent meines Vaters in jenen Pergamenten. Das Talent des Kartenzeichnens. Die Höhlen der Drachen in den nahen Gebirgen. Die Schrift, mit der die Listen der erbeuteten Schätze geschrieben waren. Sie hatten sie auslöschen wollen, des Reichtums willen. Und sie waren gekommen um zu Rächen -nein, vielmehr, um selbst am Leben zu bleiben. Kluge Geschöpfe, wie die Echsen waren. Ich dachte an die Augen jenes Drachens, der durch meine Klinge fiel. Einst. An die Schläue in seinem Blick, jenem menschlichen Ausdruck. Ich hatte mir eine Rüstung aus seinen Schuppen fertigen lassen, sie nicht einmal zum Schlafen ausgezogen und nach Rache gesonnen. Ohne zu wissen. Ohne zu verstehen.
Die leichte weiße Reiserobe fühlte sich gut an, auf meiner Haut. Nicht so schwer und eng, wie die Drachenlederrüstung. Schlicht, jedoch nicht schmucklos war sie, aus grauem und schwarzen Stoff. Ich fragte mich, wer wohl die saphirblau funkelnden Schuppen finden würde, die Lederrüstung, die ich vor den Stadttoren abgestreift hatte. Um jenes Leben zu beenden, das nicht mehr mein eigenes war. Nie gewesen war.
Überrascht war ich, wie einfach ich mit den Geschehenissen umgehen konnte. Ich war dort gewesen. Ich hatte es gespürt, ihre Anwesenheit. Ich hatte ihre Stimmen gehört, neben mir. Hinter mir. In mir. Allgegenwärtig. Hatte ihren Zorn gespürt, darüber, dass ich ihren Weg nicht gefolgt war. Keine Drachenjägerin geworden war. Meine Eltern. Meine Geschwister. Tanten und Onkel. Meine Familie.
Ich hatte es lange geschafft, meine Tränen zurückzuhalten. Dank Arlin hatte ich es geschafft, bis hierhin. Und dennoch rannen sie jetzt in Ströhmen über mein Gesicht. Das Verlangen, das Amulett meiner Mutter aus Arlins Tasche zu klauben war so gross, dass ich meine Fingernägel in meine Handballen schlug, um mich zu beherrschen. Es war nicht gut, nachdem ich soweit gekommen war. Dennoch sehnte ich mich danach, das kalte Silber des Talismans in meiner Hand zu spüren, den blauen Stein zu sehen und das Schmuckstück gegen mein Herz zu drücken. Zu spüren, was ich so sehr vermisste. Jene Kindheit, die ich nie hatte.
Arlin schien den stummen Kampf in mir nicht mitzubekommen. Jedenfalls hoffte ich das. Presste ich doch die Lippen so fest und schmerzvoll gegeneinander, um nicht laut zu schluchzen. Um keinen Preis Schwäche eingestehen... Die Privilegien einer Kriegerin...
...die ich nicht war. Nie gewesen.
Diese Gewissheit schürrte die gesammelte Wut, der Funken traf und entfachte das Feuer wieder. Den Zorn auf alles dies. Auf die Drachen. Auf meine Familie aus Drachenjägern. Auf ihre Schuld an dem Angriff. Und zu guter Letzt der Zorn auf mich selbst.
Die geballte Faust traf wuchtig auf kalten, harten Stein, so dass die Knöchel knirschten, Haut aufplatzte. Ein Schlag, getan, um nicht zu schreien. Ihn nicht zu wecken, der soviel Hoffnung in mich zu hegen schien. Zurück blieb der Schmerz. In der Hand, sowie in mir. Ich sah das Blut rinnen, durch meinen Tränenvorhang, und gab auf. Das was ich gewesen war. Drachenjägerin. Drachenforscherin. Kind im Inneren, das nie wachsen durfte - es nie konnte. Verwirrtes Mädchen. Ich gab auf, legte es ab, ließ jene Vergangenheit aus mich rinnen, wie das Blut aus den aufgeplatzen Handknöcheln. Sah zu, wie es auf den Boden rann, und sich schließlich trocknete. Ein Fluchen erstarb auf meinen Lippen.
Dann erhob ich mich und blickte gen Himmel, der sternenklar über dem Meer stand. Es war ein neuer Anfang.
"Du kannst stolz auf dich sein" - ich war es nicht. Abermals suchte mein Blick meinen Reisebegleiter, musterte die vertrauten Züge des Gesichts, so friedlich wirkend im sanften Licht des Vollmondes.
Ja, ich würde seinen Weg gehen. Die Verbindung stärken, die ich zu der anderen Seite aufgebaut hatte. Ich würde sterben, um neu geboren zu werden - als Wanderer zwischen den Zeiten. Ich hatte keine Angst. Nur vor dem, was hinter mir lag.
Langsam trat ich wieder zu meinem Schlafplatz, rollte mich auf den Moosbewachsenen Steinen zusammen, wie auf einem Feldbett. Die noch immer leicht blutende Hand presste ich an den Körper, spürte meine Puls in den Wunden rasen.
Es würde nicht leicht werden. Aber das war es nie.
Ich erwachte, weil mir kalt war. Trotz des dicken Reiseumhang fröstelte mir. Arlin hatte im Schlaf den Arm um mich gelegt und fast schien mir, als ob jene Kälte von ihm aus ging. Ich löste mich vorsichtig aus seinem Arm und trat zum Rand der Klippe, die diese Nacht unser Nachtquartier darstellte. Die Erinnerungen an den letzten Tag ließen mich augenblicklich hellwach werden. Ich setzte mich auf den Rand der Klippe, ließ die Ereignisse Revue passieren und die Beine baumeln.
Wie hatten das Dorf gefunden, das einst meine Heimat war. Die Zeit hatte ihre Wirkung getan, so dass jenes Dorf nun fast mit der Stadt Gludin verschmolz, welche nach dem Angriff der Drachen erbaut worden war. Nicht auf den Trümmern, nein, sondern dicht daneben. Warum - fragte ich mich, doch beantwortete mir die Frage sofort selbst. Ich war dort gewesen, hatte es gespürt... die Geister der Vergangenheit welche nie ruhten. Eine gute Basis für das Neubebauen war dies gewiss nicht.
Ich rieb mir die Stirn, unter der leichte Kopfschmerzen ihr Unwesen trieben. Ja, es war in der Tat ein ereignisreicher Tag gewesen. Zumal er mir mehr als nur eine offene Frage beantwortet hatte. Noch am Morgen des Selbigen hatte ich nicht gewusst, wer ich eigentlich war- wer ich eigentlich sein wollte. Drachenjägerin... nie war ich eine gewesen und nun endlich wusste ich es auch sicher. Ich hatte das Gefühl, nichts zu sein. Ein halbes Leben verschenkt. Unwiderbringlich. Doch nun wusste ich, dass Zeit keine Bedeutung hatte.
Unsterblichkeit. Das ewige Leben. Wer wünscht sich das nicht. Mein Blick huschte zu Arlin, der friedlich in einer mehr als nur unbequem wirkenden Schlafstellung an einem der kleinen Felsen lehnte. Sofort kamen mir wieder seine Worte in den Kopf: "Ich bin gewissermaßen bereits gestorben" Ich hatte ihn gefragt, wie er jene Bestimmung nannte, die sein Eigen war. Umso mehr überrascht war ich über seine Antwort, hatte ich doch etwas Gewaltigeres erwartet: "Ich bin ein Reisender" Bescheiden, wie es seine Eigenart war, doch schienen diese Worte es wohl am Ehesten zu treffen.
Ich griff in meinen Beutel und zog die Pergamente hervor, die ich in den Ruinen gefunden hatte. Ich kannte die Schrift, die Perfektion, mit der die Linien geführt waren. Natürlich, ich bin sehr jung gewesen. Und doch erkannte ich das Talent meines Vaters in jenen Pergamenten. Das Talent des Kartenzeichnens. Die Höhlen der Drachen in den nahen Gebirgen. Die Schrift, mit der die Listen der erbeuteten Schätze geschrieben waren. Sie hatten sie auslöschen wollen, des Reichtums willen. Und sie waren gekommen um zu Rächen -nein, vielmehr, um selbst am Leben zu bleiben. Kluge Geschöpfe, wie die Echsen waren. Ich dachte an die Augen jenes Drachens, der durch meine Klinge fiel. Einst. An die Schläue in seinem Blick, jenem menschlichen Ausdruck. Ich hatte mir eine Rüstung aus seinen Schuppen fertigen lassen, sie nicht einmal zum Schlafen ausgezogen und nach Rache gesonnen. Ohne zu wissen. Ohne zu verstehen.
Die leichte weiße Reiserobe fühlte sich gut an, auf meiner Haut. Nicht so schwer und eng, wie die Drachenlederrüstung. Schlicht, jedoch nicht schmucklos war sie, aus grauem und schwarzen Stoff. Ich fragte mich, wer wohl die saphirblau funkelnden Schuppen finden würde, die Lederrüstung, die ich vor den Stadttoren abgestreift hatte. Um jenes Leben zu beenden, das nicht mehr mein eigenes war. Nie gewesen war.
Überrascht war ich, wie einfach ich mit den Geschehenissen umgehen konnte. Ich war dort gewesen. Ich hatte es gespürt, ihre Anwesenheit. Ich hatte ihre Stimmen gehört, neben mir. Hinter mir. In mir. Allgegenwärtig. Hatte ihren Zorn gespürt, darüber, dass ich ihren Weg nicht gefolgt war. Keine Drachenjägerin geworden war. Meine Eltern. Meine Geschwister. Tanten und Onkel. Meine Familie.
Ich hatte es lange geschafft, meine Tränen zurückzuhalten. Dank Arlin hatte ich es geschafft, bis hierhin. Und dennoch rannen sie jetzt in Ströhmen über mein Gesicht. Das Verlangen, das Amulett meiner Mutter aus Arlins Tasche zu klauben war so gross, dass ich meine Fingernägel in meine Handballen schlug, um mich zu beherrschen. Es war nicht gut, nachdem ich soweit gekommen war. Dennoch sehnte ich mich danach, das kalte Silber des Talismans in meiner Hand zu spüren, den blauen Stein zu sehen und das Schmuckstück gegen mein Herz zu drücken. Zu spüren, was ich so sehr vermisste. Jene Kindheit, die ich nie hatte.
Arlin schien den stummen Kampf in mir nicht mitzubekommen. Jedenfalls hoffte ich das. Presste ich doch die Lippen so fest und schmerzvoll gegeneinander, um nicht laut zu schluchzen. Um keinen Preis Schwäche eingestehen... Die Privilegien einer Kriegerin...
...die ich nicht war. Nie gewesen.
Diese Gewissheit schürrte die gesammelte Wut, der Funken traf und entfachte das Feuer wieder. Den Zorn auf alles dies. Auf die Drachen. Auf meine Familie aus Drachenjägern. Auf ihre Schuld an dem Angriff. Und zu guter Letzt der Zorn auf mich selbst.
Die geballte Faust traf wuchtig auf kalten, harten Stein, so dass die Knöchel knirschten, Haut aufplatzte. Ein Schlag, getan, um nicht zu schreien. Ihn nicht zu wecken, der soviel Hoffnung in mich zu hegen schien. Zurück blieb der Schmerz. In der Hand, sowie in mir. Ich sah das Blut rinnen, durch meinen Tränenvorhang, und gab auf. Das was ich gewesen war. Drachenjägerin. Drachenforscherin. Kind im Inneren, das nie wachsen durfte - es nie konnte. Verwirrtes Mädchen. Ich gab auf, legte es ab, ließ jene Vergangenheit aus mich rinnen, wie das Blut aus den aufgeplatzen Handknöcheln. Sah zu, wie es auf den Boden rann, und sich schließlich trocknete. Ein Fluchen erstarb auf meinen Lippen.
Dann erhob ich mich und blickte gen Himmel, der sternenklar über dem Meer stand. Es war ein neuer Anfang.
"Du kannst stolz auf dich sein" - ich war es nicht. Abermals suchte mein Blick meinen Reisebegleiter, musterte die vertrauten Züge des Gesichts, so friedlich wirkend im sanften Licht des Vollmondes.
Ja, ich würde seinen Weg gehen. Die Verbindung stärken, die ich zu der anderen Seite aufgebaut hatte. Ich würde sterben, um neu geboren zu werden - als Wanderer zwischen den Zeiten. Ich hatte keine Angst. Nur vor dem, was hinter mir lag.
Langsam trat ich wieder zu meinem Schlafplatz, rollte mich auf den Moosbewachsenen Steinen zusammen, wie auf einem Feldbett. Die noch immer leicht blutende Hand presste ich an den Körper, spürte meine Puls in den Wunden rasen.
Es würde nicht leicht werden. Aber das war es nie.