03.01.2009, 15:27
I. Reflektion des Schmerzes
Nebelschwaden auf heißem Dampf stiegen aus dem Badezuber und hüllten den nackten Leib des Mädchens ein. Schützten, vor fremden Blicken. Trotz dessen hielten die wachen, rotbraunen Augen über dem Rand des Tonbechers die Menschenfrau fest, wenn auch nur kurz. Dann huschten sie weiter, durchmaßen den Raum. Doch niemand sonst war dort. So kehrten sie zum halbleeren Weinhumpen zurück und verweilten auf der purpurnen, schimmernden Oberfläche, auf der sein Atem leichte Wellen zog.
Langsam senkte der Dunkle den Tonbecher. Lautlos setzte er ihn ab und hob den Blick wieder gen des Mädchens das, schemenhaft wie ein Wassergeist, abermals in den Zuber eintauchte, bis das Wasser, und nicht nur der Dampf, ihren geschundenen Körper ganz erfasste.
Der Dunkle schluckte leicht in der Erinnerung an die Striemen von Peitschenhieben, Dolchklingen und anderen spitzen Gegenständen, die ein bizzares Muster auf der unschuldig hellen Haut der Frau hinterlassen hatten. Doch waren diese Narben alt.
Die Sklavin hob den Blick. Sie schien sich sicher gefühlt zu haben und erschrak nicht über die wachen Augen, die sie studierten. Doch traf jener Blick ihn tief, weckte längst Vergessenes… Langsam schlossen sich die Lider des Dunklen über dem Schmerz, der kurz in dessen Antlitz getreten war…
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Langsam öffneten sich die Augen des Knaben wieder. Er hatte sie geschlossen, um den Hieb nicht sehen zu müssen, der auf die zarte dunkelhaarige Menschin niedergegangen war. Der wütende Blick der Mutter bohrte sich förmlich in den seinen als sie die Peitsche sinken ließ. „Was ist es denn, was dein Wissen so sehr begehrt, Dalhar*? Es reicht, dass du weißt, dass du ein Dobluth* bist!“ Abermals hob sie die Hand gen das Mädchen, welches in weiser Voraussicht den Kopf zur Seite duckte. „Mutter! Hör auf die Sklavin zu schänden!“ Der Schlag blieb ungetan ob des Rufes, doch brachte er dem armen Mädchen einen herben Stoß gegen die Schulter ein, der sie auf den Steinfußboden beförderte.
„Hinaus!“ donnerte die Stimme der Dunklen. Mit zittrigen Knien erhob sich die zarte Frau, knickste artig, was beinahe grotesk schien ob der geröteten Wange und den frischen Peitschenhieben unter der aufgeplatzten Robe am Rücken, ehe sie aus dem Raum hastete.
Betont langsam wandten sich die schwarzen Augen Nindyn Dobluth dem Kind vor ihr zu. Es war nur zu offensichtlich, dass ihre Wut nunmehr ungeteilt war. „Ich soll sie verschonen? Was nimmst du dir heraus, Dalhar? Willst du die Schläge an ihrer Stelle tragen?“ –sie schnaubte laut, ehe sie fortfuhr: „Wohl kaum!“ Kyorlin schluckte trocken ehe er nickte. „Wird sie dann frei sein?“
Die Dunkle schmunzelte. So schnell wie sich ein Sommergewitter verzog, verschwand die Wut aus ihren Zügen und machte etwas anderem Platz. Einem Ausdruck, der dem Kind nicht minder Angst ein jagte. „So schließen wir einen Packt, Kyorlin Dobluth. Du wirst ihre Schläge tragen. Dann wirst du sie fortschicken dürfen.“ Die feingliedrige Rechte Nindyns offenbarte die helle Handfläche. Kyorlin schlug ein ohne zu zögern. Ohne nachzudenken…
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Sie hatte ihn wahrlich nicht verschont. Ein Wimmern klang über die blassen Lippen des Jungen, als er die feucht schimmernden Steinstufen herabstieg. Er musste sich beim Betreten des Kellers an der kalten Mauer stützen. Der Rücken unter der Gewandung nass und klebrig vor Blut. Nur zu schwer, ein weiteres schmerzvolles Seufzen zu unterdrücken, als er die schwere Tür aufstieß, welche vergittert, jedoch nicht abgeschlossen war.
Die Menschenfrau kauerte in einer der Ecken des kalten und feuchten Raumes. Die dunklen Haare fielen locker ins Gesicht, verdeckten fast das lederne Halsband, das sie an jenes Haus band. Die Szene hatte etwas so Selbstverständliches, dass Kyorlin beinahe humorlos aufgelacht hatte, verboten es ihm jedoch die Schmerzen, die sich wie Blitze durch den dünnen Knabenkörper zogen.
Als der Blick der Frau den Jungen vor sich fasste, stand sie eilig auf, knickste brav. „Ihr wünscht, junger Meister?“ Er erschauderte ob dieser Ansprache und ob des Zustands des Mädchens. Jung war sie, doch die Stufe zur heranreifenden Frau war bereits übertreten. Ihr Alter war keine Relation zu seinem eigenen. Die Jahre der Menschen, ihr Leben… Das Kind das vor der Menschin stand, war doch älter als die Väter der Väter ihrer Generationen waren.
Die Menschenfrau stand abwartend still, sie fragte nicht noch einmal, hatte sie doch gelernt nur zu sprechen, wenn sie gefragt wurde. Die Augen hielt sie unterwürfig gesenkt, doch hob sie sie ungläubig an, als er sprach, leise und emotionslos. Auch hörten die Beine auf zu zittern. „Verschwinde. Lauf. Irgendwo hin, wo man gut zu dir ist.“ Es dauerte einen Moment, ehe die Starre von ihr abfiel. War es doch ein Befehl, der ausgesprochen wurde. Und so folgte sie, hastig klangen die stolpernden Schritte über den Gang, die Treppe hinauf und verklungen.
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Ein unwirsches Knurren war die einzige Reaktion des Vaters auf die blutigen Striemen auf dem Rücken des Knaben. Velkyn Dobluth deutete Kyorlin wortlos, sich zu setzen. Eine wütende Geste riss dem Jungen die Reste des zerfetzten Hemdes vom Rücken, ehe er sich den Wunden annahm. Velkyns Fähigkeit, frische Narben vollkommen verschwinden zu lassen, hatte Kyorlin immer wieder verblüfft. So auch der Gedanke, dass Velkyn mehr war, als ein einfacher Heiler. Dass er Feinden keinen guten Stand geben würde, sollten sie dem scheinbar unbewaffteten Quacksalber zunahe kommen. Doch sprach der Vater nie darüber. So war sich Kyorlin sicher, dass nicht einmal Nindyn davon wusste. Doch hütete er sich zu fragen.
Die Prozedur war langwierig und schmerzhaft, doch als Velkyn schließlich die Hände von Kyorlins Rücken nahm, zeugte lediglich noch das getrocknete Blut von den Verletzungen. Doch der Schmerz verschwand nicht. Nur der Körperliche. „Du hast richtig gehandelt, Dalharuk*“ Ungläubig blickte der Junge seinen Vater an. „Aber…“ Velkyn schüttelte müde den Kopf. „Nau*, Kyorlin. In dir sehe ich jene Ehre, die meinem Hause inne wohnte, ehe es unter der Fuchtel deiner Mutter zu dem wurde, was es heute ist… Das Hause Dobluth…“ Er seufzte leise, Also, was wolltest du heute von ihr wissen?” Was soll das alles? Dobluth? Das kann doch nicht unser Name sein! Er bedeutet Verräter!“ Beinahe empört war die Stimme des Jungen. …und das mit Recht. Der Vater schmunzelte. Doch das ist eine andere Geschichte. Ich werde dir die erzählen, die du gerade hören willst. Velkyn setzte sich zurück, sah seinen Sohn aufmerksam an. Du wirst dich nicht an das Dorf erinnern, von dem wir kommen, Kyorlin. Du warst sehr klein damals noch. Wir… wurden verstoßen. Dazu verdammt, von fortan den Namen Dobluth zu tragen. Und so fügten wir uns. Zogen fort und begannen neu. In jenem Wald… Eine weitgreifende Geste umfasste den kleinen Raum, die Dachkammer Velkyns, doch Kyorlin sah auch den düsteren Wald um die kleine Villa herum in seinem inneren Auge. Der Ort, an dem er aufgewachsen war. Für ihn gab es keinen anderen. So bin auch ich… ein Dobluth? Verstoßener…? Verräter..? -fast schüchtern. So ließ die Frage Velkyn schmunzeln. O Kyorlin, mein Sohn, du bist stehts das, was du aus dir machst. Langsam erhob sich der Vater. Ja, ussta’Dalharuk*, es ist an der Zeit. Du bist fast ein Mann und ich will nicht, dass dir etwas Derartiges einmal widerfahren muss. Was genau er mit „Derartiges“ meinte, ließ Velkyn offen. Er ging auf den Rüstungsständer zu, nahm den dünnen Ledertoso herunter und ließ die Hand über das weiche Leder der Rüstung streichen. Kyorlins Blick folgte ihm, sichtlich verwirrt. Als Maldril seinen Sohn wieder ansah und eben diesen Ausdruck in seinem Antlitz sah, musste er unweigerlich lächeln. Xas, ich bin mir sicher, es ist die richtige Zeit, dich mein kleines Geheimnis zu lehren. Doch vorerst habe ich noch eine Frage an dich, usst’Dalharuk: Warum hast du dich derartig für die Rothe* aufgeopfert? Immerhin ist sie nur eine Rivvil*.“
Kyorlin wusste ob jener Frage. Er hatte sich ja sogar erwartet. Sie ist Besitz des Hauses. Es ist eine Schande, seine eigenen Besitztümer zu verschandeln. Eine Rothe die verwundet und geschändet ist… in schlechtem Zustand ist… hüllt ein Haus nicht gerade in ein gutes Licht, naut?“ Velkyn Gesicht wurde ernst. Er nickte sacht. Xas, es ist wahrlich an der Zeit. Du bist sehr weise für dein Alter, Dalharuk. Langsam wandte er sich ab, striff das Hemd ab und legte den Ledertorso an. Treffe mich zur achten Stunde auf der Lichtung, Kyorlin. Und achte darauf, dass dich keiner dorthin aufbrechen sieht.
Mit jenen Worten schloss sich die Tür hinter der schlanken Gestalt des Heilmagiers Velkyn. Zurück blieb ein Junge, der noch immer auf die Stelle starrte, an der der Vater gerade noch stand. Der Blick ging ins Leere doch projektierte noch deutlich das Bild, das sich gerade eingebrannt hatte: wie Narben von unzähligen Peitschenhieben auf dem Rücken des Vaters. “Besitz des Hauses...“ formten die blassen Lippen des Jungen. Doch nunmehr galt jene Bezeichnung nicht länger nur der Rivvil…
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”Ehrenwerter Herr? Was ist mit Euch?” Kyorlin öffnete die Augen wieder. Es brauchte etwas, ehe er sich dem Humpen Wein in seiner Rechten entsann. Ebenso der unbekleideten Menschin vor sich. Eilig riss er den eigenen Mantel vom Stuhl und warf ihn dem Mädchen über. Natürlich, sie waren allein. Doch kam die Geste beinahe aus einem Instinkt heraus. Er kannte die Geschichte des Mädchens… Lustsklavin… So grotesk kam es ihm vor, sie so nackt vor sich stehen zu sehen. Er hatte keinen Blick für den makellosen und wohlgeformten Körper seiner Rothe. Sogar die Idee jenen Leib einem sexuellen Gedanken zu bedenken schien ihm fremd. “Nau, es ist schon gut, Faera. Bade weiter…“ Artig ob jenen Worten nickte die Frau. ”Natürlich, ehrenwerter Herr…” Wie selbstverständlich striff sie den Mantel im Herumdrehen ab, legte ihn noch im Gehen sorgsam zusammen und legte jenes Stoffpäckchen auf eine der Bänke. Die Menschin stieg ohne mit der Wimper zu zucken zurück in das Wasser, welches fast zu kochen schien, ein wohliges Seufzen auf den vollen Lippen. Nichtmal eine winzige Brandblase erschien auf der hellen Haut des Mädchens, makellos wie zuvor. Nur der Rücken verunziert ob der Spuren, die die alte Herrin hinterlassen hatte. Die Hitze des Wassers schien eher zu gefallen als zu schmerzen. Doch solche kleinen „Wunder“ erstaunten Kyorlin längst nicht mehr. Schien doch das Feuer selbst in jenem Wesen zu wohnen.
Der Dunkle senkte abermals den Blick auf seinen Wein, strich sich eine der langen rotbraunen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Er dachte an jenes, was sich ihm in dieser Kindheitsnacht offenbart hatte. Dass sein Vater ein Assassine war. Mühselig und hart die folgenden Jahre, in denen Maldril seinen Sohn zu dem drillte, was er nun war: ein begnadeter Schattenkrieger und Dolchkämpfer.
Die Sklavin, die er mit dem eigenen, kindlichen Körper bei der Mutter mit Schlägen freigekauft hatte, war schon nach nur einem Tag zurück gekehrt. Gebunden, durch das Halsband. Durch den gebrochenen Willen. Auf die nur allzu kurze Lebzeit…
--- Kyorlin
--- Sprechpartner (wechselnd)
[SIZE=30]*
Dobluth - Verstoßener
Dalhar - Kind
Dalharuk - Sohn
Nau - nein / Naut - nicht
usst - mein/s
Rothe - (Vieh/) hier: Sklave
Rivvil - Mensch [/SIZE]