27.01.2009, 03:04
III. Traumsequenzen
Das Licht im Zimmer war gedimmt. Lyrienn saß auf einem der Sessel, eine halb leere Flasche teuren Wein in der Hand und schien vor sich hin zu starren. Der Dunkle auf dem Bett rührte sich kaum. Der noch vor einigen Stunden fliegende Atem, das Zittern des Fiebers, das Frieren - es schien sich gelegt zu haben. Das Mittel, das die Heilmagierin ihm gegeben hatte, half. Der Körper nahm den bereits aufgegebenen Kampf gegen das Gift wieder auf.
Reglos schien er, nur das leichte Heben und Senken der Brust zeugte von Leben. Etwas gesunde Farbe war ins feingeschnittene Gesicht zurück gekehrt. Trügerisch, doch wurde das Bild von der Blutbesudelten weißen Rüstung getrübt. Der Anschlag hatte nicht ihm gegolten...
So reglos Kyorlin für den Betrachter schien, so quälten doch Träume ihn. Tief war sein Schlaf, doch nicht komatiös. Erinnerungen.. Fetzen...
~
"Ich habe dich erwartet." Langsam drehte sich Velkyn um. Er hatte dem Eintretenden den Rücken zugewandt, vertrauensvoll, schien er doch zu wissen, wer der Besucher war. Das Gesicht des alten Dunklen war reglos. Emotionslos. Nur die Augen funkelten spöttisch und erfreut zugleich. "Du bist ein stattlicher Mann geworden, Kyorlin. Ein guter Assassine, wie mir scheint. Ich habe dich eben kaum nähekommen gehört. Doch hatte ich dich erwartet..."
Kyorlin trat langsam näher, einen ungläubigen Ausdruck auf dem Gesicht. Wie konnte er...? "Aber.. Vater... Wie...?" Der Dunkle, der soeben noch als "stattlicher Mann" bezeichnet wurde, glich plötzlich wieder einem Knaben, dem so vertrauten Antlitz des Vaters nach Jahrhunderten erstmals gegenüber.
Velkyn lachte leise. "Du musst wissen, dass wir gemeinsame Bekannte haben, Dalharuk. Bekea gehört gewiss nicht zu den Verschwiegensten von ihnen."
~
Kartesh hatte ganze Arbeit geleistet. Als Faera erwachte, erwachte sie nicht als Sklavin, sondern als das Mädchen, das vor den Einflüssen der beiden Vorbesitzerinnen in ihr innewohnte. Thilia. Panisch reagierte sie auf den Anblick des Orks und des Dunklen an ihrem Bett. Es war ein etwas anderes Ergebnis, als Kyorlin erwartet hatte, doch war es gut. Für den Moment. Er nahm ihr das Halsband ab, ließ sie frei, trotz der Proteste des Shamanen. Sie würde ihren Weg gehen. Das Gewissen wog ihm weniger schwer, als er das Mädchen in die Kutsche steigen sah. Als sie zum Hause der Eltern Richtung Goddard reiste. Es war ein neuer Anfang. Für sie, Thilia. Doch auch für ihn.
~
"Nindyn..." Der Vater seufzte. Deine Mutter ist seit etwas mehr als einem Mond nicht mehr hier."
"Ist sie.. tot?"
"Ich wünschte sie wäre es..."
Velkyn ignorierte den aufgebrachten Blick des Sohns.
"Ich habe sie verstoßen. Und du wirst mich verstehen, wenn ich dir zeige, warum..."
Velkyn führte ihn in eines der Nebenzimmer. Kyorlin ließ den Blick über die spärlichen Einrichtungsgegestände schweifen, ehe er eine Bewegung ausmachte. In dem schmalen Bett lag jemand. Die dünne Decke hob und senkte sich in ruhigen, regelmäßigen Abständen. Velkyn folgte dem Blick des Sohnes.
"Tritt ruhig näher. Sie hat einen auffallend tiefen Schlaf."
Langsam trat Kyorlin auf das Bett zu, strich die Decke herunter und erstarrte. Das ruhig schlafende Gesicht unter der Decke war das einer durchaus sehr hübschen Dunklen. Doch was ihn erschrecken ließ war, dass er einen Augenblick das Gefühl hatte, in einen Spiegel zu blicken. Die feinen Züge des Gesichtes im Gegensatz zu den hohen Wangenknochen stehend, die großen Augen und das lange, feine Haar... Sie sah ihm so ähnlich. Doch wie konnte es? Es gab keinen anderen Dobluth seiner Generation! Ungläubig starrte er auf das im Schlaf lächelnde Antlitz der jungen Frau, fast unschuldig schien es. Eine lange Zeit stand er einfach da, blickte sie an. Seine Schwester.
"Sie muss geboren sein, als du schon fort warst. Etwas über ein Jahrhundert... Ich fand sie erst vor etwas über einem Mond..."
Kyorlin formte die einzelne Silbe, jenes Wort, jene Frage tonlos: "Wo?"
"Im Kerker... Sie war an einer der Wände gefesselt und halb verdurstet. Als ich sie hinaus führte und sie die Sonne sah, zum ersten Mal in ihrem Leben sah... weinte sie..."
Kyorlin sah deutlich, wie der Vater um Fassung rang. Die rotbraunen Augen glitten über die Dunkle. Seine Schwester. "Dalninil*."
"Ich möchte dir noch etwas zeigen..." Velkyn trat an die Dunkle heran, striff das Hemd über ihrem Rücken hoch...
Die Schritte des Dunklen hallten laut durch das Treppenhaus. Ungewohnt für den Assasinen. Laut fiel die Tür ins Schloss. Laut hallte der unterdrückte Schrei durch den Wald. Auf der Veranda brach Kyorlin in die Knie, auf die Dielen starrend. Fassungslos. Eingebrannt im inneren Auge das groteske Muster aus uralten und noch frischen Peitschennarben auf dem zarten Frauenrücken. "Ussta'Dalninil... ssin..." hauchte er immer wieder, so auch den Namen der Schwester: "Su'aco..." Der Blick ging ins Leere.
Stunde um Stunde verging, der Dunkle kniete weiterhin ungläubig murmelnd auf dem Holzboden, ehe er abermals die Hand des Vaters auf der Schulter spürte. Und er verstand Velkyns Handeln. Oh ja, wie gut verstand er es.
Ungläubig fasste Kyorlin sich über die nasse Wange. Tränen waren etwas, das der Dunkle Jahrhunderte lang nie gekannt hatte.
~
Er wusste nicht, was ihn bewegt hatte, die Hallen des Hauses Renor'Anon aufzusuchen. Doch als er Lyrienn gegenüber stand, wusste er es wieder. Sie gingen den Weg aus der Stadt heraus, die Festungswälle entlang. Kyorlin war es, als könne er in ihrer Nähe kaum atmen. "Die Luft scheint viel dünner hier draußen..." bemerkte er, beiäufig, weil es ihm in den Sinn kam. Lyrienn hielt an, musterte ihn besorgt. "Ist Euch nicht wohl?" Er überspielte es, gekonnt, wie er es gewohnt war. Was war an dieser Frau, das ihn so berührte? Er wusste es nicht. Erst als sie ihn küsste. Sie hatte etwas getan, das noch keiner zuvor gewagt hatte. Und das mit jeder ihrer unendlich langen Wimper, jedem ihrer seidigen Haar, jedem Herzschlag und gar jeder Narbe. Sie hatte sein Herz berührt.
"Ist das deine Wahl, ussta'Ssin*?"
Er musste es wissen, hören...
"Das ist es."
Und die Luft ströhmte wieder in seine Lungen.
~
Er sah Faera in der Giraner Schankstube wieder. Spöttisch sprach er sie mit ihrem alten Namen an. Er wollte Gewissheit, wissen ob es ihr gut ging. "Ungehobelte gauer Wurm! Was denkst du, wen du vor dir hast, Bediensteter! Ich werde dich bestrafen!" Sie schien irre, ohne Zweifel. Doch er spielte ihr Spiel mit, neugierig, was ihn erwartete, doch auch sicher, dass sie ihm nichts tun würde. Auch als Faera seinen eigenen Dolch auf den vom Bade nackten Oberkörper richtete, rührte er sich nicht, provozierte sie weiter.
"Wenn du hier ansetzt und nach oben stößt, etwas nach links, so dürfte es tödlich sein ohne Euch einen großen Kraftakt abzuverlangen, Herrin."
Die Spitze der schmalen Klinge traf an der gezeigten Stelle, doch drang sie nicht ins Fleisch, ritzte die Haut nur minimal und ließ einen kleinen Blutstropfen über die fein definierten Brustmuskeln rinnen. Der Dolch entglitt den schmalen Fingern des Mädchens.
"Zum Töten muss man geboren sein, Faera."
~
Es war bereits spät, als der Dunkle in der Taverne eintraf. Das Licht drinnen war schummrig und außer ein paar schon recht angeheiterter Zwerge sah er keine Gäste. Kyorlin trat zum Wirt und ließ sich ein paar Pergamente, Tinte und Feder geben. Er steuerte einen Tisch am Ende des Raumes an und blickte einige Zeit schweigend in die Flamme. Wie würde sie reagieren? So früh, dass es fast eilig wirkte? Er seufzte leise und beugte sich über die Pergamente, betrachtete den Federkiel beim Eintauchen in die Tinte, nachdenklich. War es doch richtig, wenn es das war, was er wollte...
Einige zerknüllte Pergamente später stand das Schreiben. Endlich. Der Dunkle wirkte fahrig und müd, die leeren Weinflaschen am Boden deuteten darauf hin, dass das Schreiben des Briefes ihn einiges an Goldstücke gekostet hatte, ehe er sicher war, den Boten auf die Reise zu schicken. Er deutete der Bediensteten, dass der Tisch frei werden würde. Und während die Frau noch damit beschäftigt war, zerknülltes Pergament und leere Flaschen einzusammeln, wechselte das Pergament bereits den Besitzer. "Eilt Euch." mahne Kyorlin den Boten. Er sah ihm lange nach.
Wie würde sie reagieren? Er wusste es nicht. Die kühle Winterluft verscheuchte den Alkohol, klärte die Sinne. War es zu früh? "Kyorlin du Narr!" schalt er sich. Vermutlich würde sie ihn nur auslachen...
~
Die Gestalt die auf den Tempel zu trat, ging schleppend. Die Wache runzelte die Stirn, besah sich den Dunklen. Er hielt den rechten Arm in einer unnatürlichen, angespannten Geste vom Körper weg, sichtlich bemüht mit jedem Tritt so wenig Muskeln wie möglich zu spannen. Blass war er und Bluttropfen glänzte auf den schmalen Lippen.
"Wer seit Ihr, Fremder?" Nie im Leben dachte der Wachmann daran, diese Gestalt in den Tempel der Mutter zu lassen. Als Antwort kam nur ein heiseres Husten. Ein Schwall Blut drang aus Nase und Mund. Die Wache senkte den Blick auf die Rechte, sah die beiden Nadeln, die durch den Handschuh traten und verstand, welches Totbringende sie in sich trugen.
~
Der Blick der dunklen Heilerin war voll Sorge. Doch tat sie routiniert ihre Arbeit, kämpfte gegen das Gift, das unaufhaltsam durch die Adern des Dunklen rann. Betete. Doch Kyorlin nahm es in Kauf, jeden der Schmerzen, die seinen Körper aufzufressen schienen. Auszusaugen. Er nahm sie hin, begrüßte sie fast, nur um diesen einen Wunsch erfüllt zu sehen. Einmal noch in Lyrienns unbeschreibliche Augen sehen. Zu danken für die kurze, doch so schöne Zeit. Er hatte keine Angst vor der Kälte, die seinen Körper einnahm. Keine Angst vor der Dunkelheit, vor dem Tode gar. Nur hatte er Angst, dass dieser eine Wunsch ungehört verklingen würde. Mehr als der körperliche Schmerz traf die Gewissheit, dass diese eine, so wichtige Frage an Lyrienn ungestellt bleiben würde...
~
Doch von alle dem ahnte jene Dunkle nichts. Langsam erhob sie sich, strich dem Schlafenden eine Strähne des rotbraunen Haares aus dem Gesicht, das sich im Traume leicht regte. Sie sann nach Rache...
--- Kyorlin
--- Sprechpartner (wechselnd)
[SIZE=30]*
ussta'Ssin - meine Schöne
Dalninil - Schwester [/SIZE]
Das Licht im Zimmer war gedimmt. Lyrienn saß auf einem der Sessel, eine halb leere Flasche teuren Wein in der Hand und schien vor sich hin zu starren. Der Dunkle auf dem Bett rührte sich kaum. Der noch vor einigen Stunden fliegende Atem, das Zittern des Fiebers, das Frieren - es schien sich gelegt zu haben. Das Mittel, das die Heilmagierin ihm gegeben hatte, half. Der Körper nahm den bereits aufgegebenen Kampf gegen das Gift wieder auf.
Reglos schien er, nur das leichte Heben und Senken der Brust zeugte von Leben. Etwas gesunde Farbe war ins feingeschnittene Gesicht zurück gekehrt. Trügerisch, doch wurde das Bild von der Blutbesudelten weißen Rüstung getrübt. Der Anschlag hatte nicht ihm gegolten...
So reglos Kyorlin für den Betrachter schien, so quälten doch Träume ihn. Tief war sein Schlaf, doch nicht komatiös. Erinnerungen.. Fetzen...
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"Ich habe dich erwartet." Langsam drehte sich Velkyn um. Er hatte dem Eintretenden den Rücken zugewandt, vertrauensvoll, schien er doch zu wissen, wer der Besucher war. Das Gesicht des alten Dunklen war reglos. Emotionslos. Nur die Augen funkelten spöttisch und erfreut zugleich. "Du bist ein stattlicher Mann geworden, Kyorlin. Ein guter Assassine, wie mir scheint. Ich habe dich eben kaum nähekommen gehört. Doch hatte ich dich erwartet..."
Kyorlin trat langsam näher, einen ungläubigen Ausdruck auf dem Gesicht. Wie konnte er...? "Aber.. Vater... Wie...?" Der Dunkle, der soeben noch als "stattlicher Mann" bezeichnet wurde, glich plötzlich wieder einem Knaben, dem so vertrauten Antlitz des Vaters nach Jahrhunderten erstmals gegenüber.
Velkyn lachte leise. "Du musst wissen, dass wir gemeinsame Bekannte haben, Dalharuk. Bekea gehört gewiss nicht zu den Verschwiegensten von ihnen."
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Kartesh hatte ganze Arbeit geleistet. Als Faera erwachte, erwachte sie nicht als Sklavin, sondern als das Mädchen, das vor den Einflüssen der beiden Vorbesitzerinnen in ihr innewohnte. Thilia. Panisch reagierte sie auf den Anblick des Orks und des Dunklen an ihrem Bett. Es war ein etwas anderes Ergebnis, als Kyorlin erwartet hatte, doch war es gut. Für den Moment. Er nahm ihr das Halsband ab, ließ sie frei, trotz der Proteste des Shamanen. Sie würde ihren Weg gehen. Das Gewissen wog ihm weniger schwer, als er das Mädchen in die Kutsche steigen sah. Als sie zum Hause der Eltern Richtung Goddard reiste. Es war ein neuer Anfang. Für sie, Thilia. Doch auch für ihn.
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"Nindyn..." Der Vater seufzte. Deine Mutter ist seit etwas mehr als einem Mond nicht mehr hier."
"Ist sie.. tot?"
"Ich wünschte sie wäre es..."
Velkyn ignorierte den aufgebrachten Blick des Sohns.
"Ich habe sie verstoßen. Und du wirst mich verstehen, wenn ich dir zeige, warum..."
Velkyn führte ihn in eines der Nebenzimmer. Kyorlin ließ den Blick über die spärlichen Einrichtungsgegestände schweifen, ehe er eine Bewegung ausmachte. In dem schmalen Bett lag jemand. Die dünne Decke hob und senkte sich in ruhigen, regelmäßigen Abständen. Velkyn folgte dem Blick des Sohnes.
"Tritt ruhig näher. Sie hat einen auffallend tiefen Schlaf."
Langsam trat Kyorlin auf das Bett zu, strich die Decke herunter und erstarrte. Das ruhig schlafende Gesicht unter der Decke war das einer durchaus sehr hübschen Dunklen. Doch was ihn erschrecken ließ war, dass er einen Augenblick das Gefühl hatte, in einen Spiegel zu blicken. Die feinen Züge des Gesichtes im Gegensatz zu den hohen Wangenknochen stehend, die großen Augen und das lange, feine Haar... Sie sah ihm so ähnlich. Doch wie konnte es? Es gab keinen anderen Dobluth seiner Generation! Ungläubig starrte er auf das im Schlaf lächelnde Antlitz der jungen Frau, fast unschuldig schien es. Eine lange Zeit stand er einfach da, blickte sie an. Seine Schwester.
"Sie muss geboren sein, als du schon fort warst. Etwas über ein Jahrhundert... Ich fand sie erst vor etwas über einem Mond..."
Kyorlin formte die einzelne Silbe, jenes Wort, jene Frage tonlos: "Wo?"
"Im Kerker... Sie war an einer der Wände gefesselt und halb verdurstet. Als ich sie hinaus führte und sie die Sonne sah, zum ersten Mal in ihrem Leben sah... weinte sie..."
Kyorlin sah deutlich, wie der Vater um Fassung rang. Die rotbraunen Augen glitten über die Dunkle. Seine Schwester. "Dalninil*."
"Ich möchte dir noch etwas zeigen..." Velkyn trat an die Dunkle heran, striff das Hemd über ihrem Rücken hoch...
Die Schritte des Dunklen hallten laut durch das Treppenhaus. Ungewohnt für den Assasinen. Laut fiel die Tür ins Schloss. Laut hallte der unterdrückte Schrei durch den Wald. Auf der Veranda brach Kyorlin in die Knie, auf die Dielen starrend. Fassungslos. Eingebrannt im inneren Auge das groteske Muster aus uralten und noch frischen Peitschennarben auf dem zarten Frauenrücken. "Ussta'Dalninil... ssin..." hauchte er immer wieder, so auch den Namen der Schwester: "Su'aco..." Der Blick ging ins Leere.
Stunde um Stunde verging, der Dunkle kniete weiterhin ungläubig murmelnd auf dem Holzboden, ehe er abermals die Hand des Vaters auf der Schulter spürte. Und er verstand Velkyns Handeln. Oh ja, wie gut verstand er es.
Ungläubig fasste Kyorlin sich über die nasse Wange. Tränen waren etwas, das der Dunkle Jahrhunderte lang nie gekannt hatte.
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Er wusste nicht, was ihn bewegt hatte, die Hallen des Hauses Renor'Anon aufzusuchen. Doch als er Lyrienn gegenüber stand, wusste er es wieder. Sie gingen den Weg aus der Stadt heraus, die Festungswälle entlang. Kyorlin war es, als könne er in ihrer Nähe kaum atmen. "Die Luft scheint viel dünner hier draußen..." bemerkte er, beiäufig, weil es ihm in den Sinn kam. Lyrienn hielt an, musterte ihn besorgt. "Ist Euch nicht wohl?" Er überspielte es, gekonnt, wie er es gewohnt war. Was war an dieser Frau, das ihn so berührte? Er wusste es nicht. Erst als sie ihn küsste. Sie hatte etwas getan, das noch keiner zuvor gewagt hatte. Und das mit jeder ihrer unendlich langen Wimper, jedem ihrer seidigen Haar, jedem Herzschlag und gar jeder Narbe. Sie hatte sein Herz berührt.
"Ist das deine Wahl, ussta'Ssin*?"
Er musste es wissen, hören...
"Das ist es."
Und die Luft ströhmte wieder in seine Lungen.
~
Er sah Faera in der Giraner Schankstube wieder. Spöttisch sprach er sie mit ihrem alten Namen an. Er wollte Gewissheit, wissen ob es ihr gut ging. "Ungehobelte gauer Wurm! Was denkst du, wen du vor dir hast, Bediensteter! Ich werde dich bestrafen!" Sie schien irre, ohne Zweifel. Doch er spielte ihr Spiel mit, neugierig, was ihn erwartete, doch auch sicher, dass sie ihm nichts tun würde. Auch als Faera seinen eigenen Dolch auf den vom Bade nackten Oberkörper richtete, rührte er sich nicht, provozierte sie weiter.
"Wenn du hier ansetzt und nach oben stößt, etwas nach links, so dürfte es tödlich sein ohne Euch einen großen Kraftakt abzuverlangen, Herrin."
Die Spitze der schmalen Klinge traf an der gezeigten Stelle, doch drang sie nicht ins Fleisch, ritzte die Haut nur minimal und ließ einen kleinen Blutstropfen über die fein definierten Brustmuskeln rinnen. Der Dolch entglitt den schmalen Fingern des Mädchens.
"Zum Töten muss man geboren sein, Faera."
~
Es war bereits spät, als der Dunkle in der Taverne eintraf. Das Licht drinnen war schummrig und außer ein paar schon recht angeheiterter Zwerge sah er keine Gäste. Kyorlin trat zum Wirt und ließ sich ein paar Pergamente, Tinte und Feder geben. Er steuerte einen Tisch am Ende des Raumes an und blickte einige Zeit schweigend in die Flamme. Wie würde sie reagieren? So früh, dass es fast eilig wirkte? Er seufzte leise und beugte sich über die Pergamente, betrachtete den Federkiel beim Eintauchen in die Tinte, nachdenklich. War es doch richtig, wenn es das war, was er wollte...
Einige zerknüllte Pergamente später stand das Schreiben. Endlich. Der Dunkle wirkte fahrig und müd, die leeren Weinflaschen am Boden deuteten darauf hin, dass das Schreiben des Briefes ihn einiges an Goldstücke gekostet hatte, ehe er sicher war, den Boten auf die Reise zu schicken. Er deutete der Bediensteten, dass der Tisch frei werden würde. Und während die Frau noch damit beschäftigt war, zerknülltes Pergament und leere Flaschen einzusammeln, wechselte das Pergament bereits den Besitzer. "Eilt Euch." mahne Kyorlin den Boten. Er sah ihm lange nach.
Wie würde sie reagieren? Er wusste es nicht. Die kühle Winterluft verscheuchte den Alkohol, klärte die Sinne. War es zu früh? "Kyorlin du Narr!" schalt er sich. Vermutlich würde sie ihn nur auslachen...
~
Die Gestalt die auf den Tempel zu trat, ging schleppend. Die Wache runzelte die Stirn, besah sich den Dunklen. Er hielt den rechten Arm in einer unnatürlichen, angespannten Geste vom Körper weg, sichtlich bemüht mit jedem Tritt so wenig Muskeln wie möglich zu spannen. Blass war er und Bluttropfen glänzte auf den schmalen Lippen.
"Wer seit Ihr, Fremder?" Nie im Leben dachte der Wachmann daran, diese Gestalt in den Tempel der Mutter zu lassen. Als Antwort kam nur ein heiseres Husten. Ein Schwall Blut drang aus Nase und Mund. Die Wache senkte den Blick auf die Rechte, sah die beiden Nadeln, die durch den Handschuh traten und verstand, welches Totbringende sie in sich trugen.
~
Der Blick der dunklen Heilerin war voll Sorge. Doch tat sie routiniert ihre Arbeit, kämpfte gegen das Gift, das unaufhaltsam durch die Adern des Dunklen rann. Betete. Doch Kyorlin nahm es in Kauf, jeden der Schmerzen, die seinen Körper aufzufressen schienen. Auszusaugen. Er nahm sie hin, begrüßte sie fast, nur um diesen einen Wunsch erfüllt zu sehen. Einmal noch in Lyrienns unbeschreibliche Augen sehen. Zu danken für die kurze, doch so schöne Zeit. Er hatte keine Angst vor der Kälte, die seinen Körper einnahm. Keine Angst vor der Dunkelheit, vor dem Tode gar. Nur hatte er Angst, dass dieser eine Wunsch ungehört verklingen würde. Mehr als der körperliche Schmerz traf die Gewissheit, dass diese eine, so wichtige Frage an Lyrienn ungestellt bleiben würde...
~
Doch von alle dem ahnte jene Dunkle nichts. Langsam erhob sie sich, strich dem Schlafenden eine Strähne des rotbraunen Haares aus dem Gesicht, das sich im Traume leicht regte. Sie sann nach Rache...
--- Kyorlin
--- Sprechpartner (wechselnd)
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ussta'Ssin - meine Schöne
Dalninil - Schwester [/SIZE]