Getrennte Wege

[Lelwani]

Es hatte eine Zeit gedauert, zu lange, wie er selbst meinte, bis er endlich in die Gebiete der Neruga gelangte. Und nun sah er sich mit einem Problem konfrontiert, dass ihn, sofern er es nicht zu lösen vermochte, bei der Weiterreise sehr behindern würde: Als er sich umsah, bemerkte er, dass seine gezeichnete Karte nicht mehr mit dem übereinstimmte, was er vor sich sah. Vor ihm türmte sich ein Gebirge, genau dort, wo er auf seiner Karte ein Tal passieren sollte.
Er seufzte. Entweder hatte er einen Fehler beim Abzeichnen gemacht - oder er war tatsächlich einem üblen Scherz aufgesessen. Diese ganze Reise, umsonst? Er schüttelte den Kopf und setzte sich auf einen nahe gelegenen Stein, als ihm erst jetzt bewusst wurde, wie erschöpft ihn die vergangenen Tage eigentlich gemacht hatten. Er beschloss, ein wenig von seinem Proviant zu essen, machte es sich ein wenig in dem hohen Gras gemütlich...

... und wachte erst wieder auf, als sich ein Schatten zwischen ihn und die Sonne stellte.
"Was zum..." murmelte er und öffnete unwillig ein Auge, um hinauf zu blicken - und direkt in das Blatt einer mächtigen zweischneidigen Axt, die sich an seinen Hals gelegt hatte.

"Tejakar Oroka!" erwiderte der Schatten in nicht gerade freundlichem Tonfall und nun, als er mit einem Mal erwachte, erkannte er, dass er einen Orok vor sich stehen hatte, einen Neruga, so wie es den Anschein hatte, von imposanter Gestalt, in das Fell eines Höhlenbären gehüllt und anscheinend dessen Zähne an einer Kette um den Hals tragend."Wer bist du und was machst du, gorghakk, auf meinem Land?"

Rorrth versuchte, so gut es ging, sich in eine etwas komfortablere Position zu begeben, was jedoch sein Gegenüber dadurch unterbund, dass er ihm die Axt noch näher unters Kinn hielt und rief: "Sprich, Grünschnabel!"

"Ich bin Rorrth, Sohn des Gorgh, aus dem Stamm der..." Er zögerte, dann seufzte er innerlich. Das war wohl sein Glück! Dann beschloss er einfach die Wahrheit zu sagen und setzte fort: "...ich habe keinen Stamm."

"Ein Stammesloser!" donnerte der Andere, und seine Muskeln spannten sich an, sodass die Knöchel an seiner um den Axtschaft gelegten Hand hellgrün hervortraten, "ein Stammesloser auf meinem Land! Khrzmk! Was wagst du es, hierher zu kommen! Nenne mir einen Grund, warum ich dich nicht auf der Stelle töten sollte!"

"Ich suche Thandorak!" Diese Worte kamen weder kraftvoll noch überzeugend aus seinem Mund, eher allzu hastig, und verrieten seine Furcht.
Doch nun geschah etwas Merkwürdiges. Sein Gegenüber runzelte die Stirn. Dann senkte er die Waffe und fing an zu lachen, ein raues, inbrünstiges Lachen, das durch seinen ganzen Körper bebte. Der junge Orok nützte die Zeit, um sich wenigstens halb in eine weniger demütigende Position aufrichten zu können, da schien sich der Andere wieder zu erholen und meinte, sich mit der Linken eine Lachträne aus dem Augenwinkel wischend:
"Also noch so einer, der's auf Thandorak abgesehen hat. Bei Paagrio, und auf was für einen mächtigen Gegner wird Thandorak da treffen! Auf einen Milchbart, ja einen Stammeslosen sogar! Da wird er aber vor Furcht zittern!"
Der imposante Neruga beugte sich mit einem schelmischen Grinsen zu ihm herunter und sprach, in einer Tonlage, die er wohl auch gegenüber einem dagharakk* angeschlagen hätte:
"Na, dann pass auf, mein Kleiner! Ich werd' dir jetzt sagen, wie du zu Thandorak kommst, damit du dich nicht wieder in dieser unwirtlichen Gegend verläufst! Geh um diesen Felsen hier," er deutete übertrieben auf das Gebirge, "dann folge dem Fluss und dann findest du auch bestimmt die Höhle, in der du großer, starker Krieger den hauen kannst, der gemein zu dir ist!"
Mit diesen Worten richtete er sich wieder auf, schulterte seine Axt und ging lachend ohne Begrüßung davon.
"Hahaha! Ein Stammesloser will alleine gegen Thandorak antreten," hörte er ihn beim Weggehen spotten, "das muss ich gleich Harrfaashmakk erzählen, die wird lachen!"

Nachdem der Andere aus seinem Blickfeld verschwunden war, richtete er sich wieder auf und wusste nicht, ob er jetzt wütend, beleidigt, erstaunt oder einfach nur verwirrt sein sollte. Doch er beschloss, der Wegbeschreibung dieses verrückten Neruga zu folgen.
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*) ein Orok bis etwa zu seinem sechsten Lebensjahr