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Getrennte Wege
#36
Rorrth nickte seinem togharr zu und blickte dann an ihm vorbei in die Richtung, in die die Fledermäuse geflogen waren, als er seinen Pfiff ausgestoßen hatte.

"Wir sehen uns, togharr," sagte er dann, "wenn nicht lebend, dann später, bei den Ahnen."

Und mit diesen Worten ging er dorthin, wohin er vorher seinen Blick gerichtet hatte.

Es war bald schon so dunkel, dass er seine Hand nicht mehr vor Augen sah. Vorsichtig ging er vorwärts, jeden seiner Schritte mit Bedacht setzend, als plötzlich sein linker Fuß keinen Halt mehr unter seinen Füßen fand. Er erschrak und wäre beinahe die steile Kante hinuntergefallen, die der Boden plötzlich bildete, doch konnte er sich im letzten Moment an den Fels klammern und wieder hochziehen. Er tastete sich an eine Wand heran, hielt sich daran fest und prüfte dann mit dem Fuß, wie weit der Spalt ging. doch, so wie es schien, zog er sich die ganze Länge des Weges, bis zur anderen Wand. Und auch so sehr er seinen Fuß in der Luft ausstreckte, er konnte keine andere Seite spüren. Um weiterzukommen blieb ihm nur eins, so schien es... ins Ungewisse zu springen. Doch zuerst hockte er sich hin und tastete nach einem Stein am Boden, den er bald darauf auch fand. Er warf ihn in den Abgrund und wartete darauf, dass er einen Aufprall hörte. Doch lange vernahm er nichts. Nach beinahe endlos langer Zeit hörte er das Echo des am Fels aufspringenden Steins zu ihm dringen und er verzog das Gesicht. Also war dieser Felsspalt sehr tief - doch wie breit war er? Er tastete wieder am Boden nach einem Stein und musste diesmal länger suchen, doch dann fand er ihn und warf ihn nun nach vorne. Schon bald hörte er den Aufprall; es musste also ein anderes Ende des Spaltes geben. Dessen Breite konnte er allerdings nicht abschätzen; er glaubte aber, wenn er geschickt sprang, konnte er auch auf der anderen Seite ankommen - wer nicht wagt, der nicht gewinnt, dachte er.

Danach ging er, genau mitzählend, zwanzig große Schritte zurück; diese zwanzig Schritte musste er zurücklaufen, dann musste er abspringen. Nachdem er die zwanzig Schritte weg vom Spalt zurückgelegt hatte, drehte er sich um, atmete tief durch und sammelte seine Kraft und Entschlossenheit, um schließlich loszulaufen. "Eins, zwei, drei..." zählte er im Geiste und bei "zwanzig" sprang er.

Seine weit nach vorne ausgestreckten Hände griffen ins Leere. Erschrocken ruderte er mit den Armen, um vielleicht doch irgendwo Halt zu finden, doch er fühlte nichts... war das das Ende? Schon sah er sich bei seinen Ahnen und fragte sich, ob sie ihn überhaupt willkommen heißen würden, als er beinahe senkrecht an eine Wand prallte und sich im letzten Moment an einem Felsvorsprung festkrallen konnte, bevor er dort wieder abrutschte. Dann hing er einen Moment dort, seine Füße fanden keinen Halt und sein Oberkörper schmerzte vom Aufprall; er verzog das Gesicht und versuchte sich an dem kleinen Vorsprung hochzuziehen. Und da, langsam, Stück für Stück und unter Aufbietung beinahe all seiner Kräfte, schaffte er es hinauf. Und weiter musste er klettern, weiter... es schien ihm, als hing er stundenlang in der Dunkelheit und kletterte diese Wand hoch, als er endlich an deren Ende ankam, über den Rand kroch und keuchend dort liegenblieb.

Schließlich wischte er sich den Schweiß von der Stirn, rappelte sich auf, tastete sich vorsichtig zur Wand und ging, ebenso vorsichtig, weiter in die Höhle hinein.

Viele dieser Prüfungen warteten noch auf ihn - in der Wand versteckte Geschosse feuerten, als er einen unachtsamen Schritt tat und über ein Seil stolperte, das offenbar als Auslöser für Bolzenschussapparate in den Wänden diente. Er hatte großes Glück, dass nur einer dieser vielen Bolzen ihn traf: Während er sich verzweifelt unter den Bolzen hindurchduckte und abrollte, spürte er einen brennenden Schmerz im linken Oberschenkel.

Als er hinkend weiterging, tastete er sich auf einmal an eine Weggabelung heran - drei Wege führten ins Innere der Höhle. Es war sein Glück, dass er es wagte, sich in alle drei Wege vorzutasten, denn im dritten griffen ihn wieder die Fledermäuse an, er dachte an Thandoraks Worte - die Fledermaus könne ihm helfen - und pfiff. Doch diesmal verschwanden die Tiere nicht und attackierten weiter, selbst als er den Pfiff verzweifelt viele Male wiederholte; er musste sich erst durch sie hindurchkämpfen, um weiter zu kommen.

Dann wurde es auf dem Weg immer heißer, bis er auf einen Fluss aus glühender Lava traf, der träge dahinfloss und einige sich etwa in Sprungweite zueinander befindliche Steine umspülte. Der junge Krieger verfluchte dreimal den Bolzen, der in seinem Bein steckte, und sprang unter Aufbringung all seiner Konzentration und seiner Beherrschung über die Steine, doch kurz vor dem Ziel rutschte er beim Sprung ab und sein ohnehin schon verletztes Bein tauchte bis zum Knöchel in den Fluss, bevor er am Ufer ankam, sodass er vor Schmerz aufschrie.

Er musste im wiederum stockdunklen Gang hinter dem Fluss aus Feuer noch einmal seinen Weg zwischen zwei Gabelungen wählen und wählte den, in dessen Wand er mit der Hand das Relief einer Fledermaus aufspürte; er musste sich unter einem an Seilen befestigten Baumstamm ducken, der unerwartet auf ihn zusauste und dessen Luftzug er gerade noch rechtzeitig spürte - und schließlich trat er aus der Dunkelheit hinaus in einen kreisrunden, von Fackeln erleuchteten Raum, in dem sich etwa ein Dutzend im Kreis angeordneter steinerner, mit Fellen bedeckter Sitze befand. Die Decke dieses recht großen Raumes verlor sich im Dunkeln. An dessen gegenüberliegenden Ende sah er einen Sitz, auf dem sich eine schwarz schimmernde Rüstung befand. Seine Rüstung! Schon humpelte er darauf zu, als aus dem Dunkel über ihm in der Mitte des Raumes plötzlich ein Orok sprang, bekleidet mit der gleichen schwarzen Rüstung, wie er sie auf dem Sitz liegen gesehen hatte. Dieser Orok war bewaffnet und trat nun in Kampfhaltung auf ihn zu. Die Schwarze Fledermaus kennt kein Erbarmen, dachte der junge Orok nur und griff sein einfaches Messer, das sich im Vergleich zur Neruga-Doppelaxt seines Gegners lächerlich ausmachte, fester.

Sich in leichter Reiserüstung, einbeinig und nur mit einem Messer bewaffnet einem erfahrenen, schwer gepanzerten, unverwundeten Neruga mit einer Doppelaxt entgegenzustellen, war eigentlich glatter Selbstmord. Er konnte sich nur mit Mühe vor den heftigen Schlägen des Anderen in Sicherheit bringen und spürte schon nach wenigen Augenblicken, wie seine Kraft zu schwinden begann, nicht ausreichen würde, um erfolgreich zu sein. Auch wenn er es für verachtenswert hielt, er musste zu einer List greifen, sonst war er, so nah schon an seinem Ziel, des sicheren Todes.

Nachdem sein Gegenüber mit der Axt zum Schwung ausgeholt und er so knapp auswich, dass die Axt seine Haut an der Brust aufritzte, versuchte er seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er brauchte wirklich nicht viel schaustellerisches Talent, um Angst zu spielen, er versuchte nur zu betonen, was er ohnehin schon zur Genüge in sich fühlte. Er riss die Augen auf und tat einen entsetzten Schrei, dann humpelte so schnell er es vermochte, in Richtung des Ganges, aus dem er in den Raum getreten war. Der elektrisierende Stoß der Aufregung half ihm dabei, die Schmerzen, die er dabei empfand, so gut es ging zu ignorieren. Nun musste er schnell sein. Es wurde dunkler und dunkler um sie herum und er hörte den Neruga hinter sich ihm nachrennen; das Scheppern seiner Rüstung war unverkennbar und er hoffte nur, dass diese ihn langsam genug machte, um ihn nicht rechtzeitig einzuholen. Schließlich war der Schein der Fackeln nicht mehr zu sehen und am metallischen Geräusch, das sein Gegner machte, konnte er hören, dass er näher war, als ihm lieb war. Und schon war er wieder in Schwungweite der Axt seines Gegners, er hörte das Geräusch, als diese die Luft zerschnitt zu spät, als dass er noch ausweichen konnte und wurde von ihr an der rechten Schulter getroffen, so hart, dass er in die Knie sackte. Doch jetzt, als der Neruga hinter ihm stand und - so viel Vorstellungsgabe hatte er - wohl die Axt zum tödlichen Schlag erhob, spürte er erneut das, was er zu spüren gehofft hatte: Ein Luftzug kam von hinten und er warf sich auf den Boden, keine Sekunde zu spät. Der Neruga hinter ihm brachte nur noch ein Keuchen zustande, als der dicke Baumstamm, der an Seilen von der Decke hing, ihn von hinten traf und er nach vorne fiel. Der junge Krieger brauchte sich nur umzuwälzen und dem Neruga sein Messer in die ungepanzerte Kehle zu rammen.

Er schleppte sich wieder in den runden Raum mit den Fackeln, erschöpft, todmüde, er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Wie bei Pa'agrio sollte er je den Rückweg zu Thandorak schaffen, noch dazu eine Rüstung tragend? Er humpelte auf den steinernen Sitz zu, auf dem sich der schwarze Panzer befand und fiel unfreiwillig auf die Knie, kurz bevor er den Platz erreichte. Er berührte den schwarzen Stahl mit der Rechten und seufzte. Wenn er schon als Stammesloser sterben musste, dann wollte er zumindest das, worauf er sein ganzes Streben gerichtet hatte und das nun greifbar nahe lag, zumindest berühren. Und als er da kniete, fiel sein Blick auf den Stein des Sitzes, auf ein auf seiner Augenhöhe liegendes Relief einer Fledermaus. Neruga - einer zu sein, das war ihm wohl nicht mehr vergönnt. Genauso sehnsüchtig, wie er die Rüstung berührt hatte, berührte er nun das Relief. Doch was war das? Die Fledermaus verschwand plötzlich, senkte sich, und mit ihr mit lautem Getöse und Gerumpel der schwere Stein, auf dem sich die Rüstung befand. Verwundert zog er seine Hand weg und blickte, nachdem der Stein sich vollständig in den Boden gesenkt hatte, in einen schmalen Gang. Was bedeutete das, bei den Ahnen? Plötzlich packte ihn neuer Mut und er richtete sich wieder auf die Knie auf, griff mit dem linken Arm die Rüstung und mit dem rechten zog er sich durch den Spalt, den der Stein gelassen hatte. Da befand sich tatsächlich ein Gang! Er wusste nicht, wohin er führte, doch diese letzte Chance wollte er zumindest noch haben, bevor er zu den Ahnen ging! Er konnte später nicht sagen, wie er es geschafft hatte, sich wieder aufzurichten, doch genau das tat er, hielt sich mit der Rechten an der Wand fest, mit der Linken immer noch die Rüstung haltend, und so hinkte er den Gang entlang, der wie aus dem Fels gehauen vor ihm lag und der, genauso wie der Raum hinter ihm, von Fackeln erleuchtet wurde, die hier und da in eisernen Halterungen brannten.

Ewigkeiten waren es wohl, die er in diesem Gang zubrachte; seine Kräfte hatten wieder nachgelassen, er war auf die Knie gesunken, hatte sich auf allen Vieren weitergearbeitet, zuletzt kroch er nur noch wie ein Wurm auf dem Boden, doch er sah das Licht, das heller wurde und robbte darauf zu. Und bevor sein Bewusstsein endgültig schwand, glaubte er sich an dem Platz zu befinden, an dem er aufgebrochen war und vermeinte, die Silhouette seines togharr vor sich stehen zu sehen.
Oghtaqa, Varasha-thaq, Urutu-ekk
urgh-na paash Paagrio-thaq

Thaarmakk, Oghtaqa-thaq, ?-ekk

Rorrth, Gorgh-thaq, Neruga-ekk
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Getrennte Wege - von Thandorak - 29.03.2009, 19:34
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