28.11.2009, 20:54
Über Vergänglichkeit
Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:
Wie kann das sein, dass diese nahen Tage
Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?
Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,
Und viel zu grauenvoll, als dass man klage:
Dass alles gleitet und vorüberrinnt
Und dass mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,
Herüberglitt aus einem kleinen Kind
Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.
Dann: dass ich auch vor hundert Jahren war
Und meine Ahnen, die im Totenhemd,
Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar,
So eins mit mir als wie mein eignes Haar.
(Hugo von Hofmannsthal (1874-1929))
~~~~~~~~
Es war früh morgends im November. Mit dem Sonnenaufgang war es sehr kalt geworden, der Schein der Sonne matt und verschwommen am blassblauen Himmel. Der Winter kam.
Galenya öffnete das Fenster zum kleinen Gastzimmer in der Taverne und ließ die morgendliche, eisige Luft herein. Es hatte gefrohren. Der Tau der Morgenstunden hatte winzige Eisblumen gezaubert. Einen Moment verharrte sie, berührte einen der kleinen, filigralen Sterne mit der Fingerkuppe und sah zu, wie die Eisblume unter der Berührung schmolz.
Schliesslich schloss sie das Fenster rasch, zog die dünnbekleideten Schultern fröstelnd hoch.
Seltsamerweise hatte sie gut geschlafen, wenn auch alleine. Ghad war fort, wohl auf Wache. Doch es bereitete ihr keine Sorge. Sie wusste, dass er wiederkam. Zu gut verstand sie, dass er oft die Einsamkeit suchte. Viel war geschehen. Soviel, wie es normalerweise mehrere Leben füllte. Der Paladin hatte zehrte an den wenigen schönen Stunden, die dazwischen waren. Viel zu wenige. Galenya seufzte.
Sie genehmigte sich einen kurzen Augenblick, um wieder aufzuwärmen, ehe sie in die leichte Lederrüstung schlüpfte, den jadegrünen Umhang überwurf. Die Sonne rückte langsam den Himmel empor, doch würde es noch dauern, ehe sie genug Kraft hatte, die Anzeichen des kommenden Winters zu verscheuchen.
Die Schankstube war noch geschlossen, eine der Angestellten wischte den Boden. So entschloss sich Galenya, die Außentreppe herunter auf den Markplatz zu nehmen. Sie war die ersten Holzstufen herunter, die schwarz und feucht unter dem schmelzenden Eis schimmerten.
Etwas erlangte ihre Aufmerksamkeit. Eine kleine Eule, wohl ein Kauz erhob sich vom Dach der Schankstube, stieß einen leisen, heiseren Schrei aus und flatterte in Richtung der Wälder davon. "Du bist spät dran, mein Kleiner." murmelte sie abwesend in Richtung des davonfliegenden Vogels. Der Blick der kastanienbraunen Augen folgte dem Tier eine Weile, ehe sie weiterging.
Es ging schnell. Ein unachtsamer Tritt auf die nassen Holzstufen, die lederne Sohle des Stiefels glitt aus. Der Griff ans Geländer zu spät.
Die Straßen waren leer diesen Morgen. Keiner sah die am Boden der Treppe liegende Gestalt, fast gänzlich vom grünen Wollmantel bedeckt. Das tiefbraune Haar zeigte keine Spur von Blut. Irgendjemand würde sie finden, mit gebrochenem Genick.
Wie kann das sein, dass diese nahen Tage Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?
Doch das Leben in Dion würde weiter gehen. Das tat es immer.
Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:
Wie kann das sein, dass diese nahen Tage
Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?
Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,
Und viel zu grauenvoll, als dass man klage:
Dass alles gleitet und vorüberrinnt
Und dass mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,
Herüberglitt aus einem kleinen Kind
Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.
Dann: dass ich auch vor hundert Jahren war
Und meine Ahnen, die im Totenhemd,
Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar,
So eins mit mir als wie mein eignes Haar.
(Hugo von Hofmannsthal (1874-1929))
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Es war früh morgends im November. Mit dem Sonnenaufgang war es sehr kalt geworden, der Schein der Sonne matt und verschwommen am blassblauen Himmel. Der Winter kam.
Galenya öffnete das Fenster zum kleinen Gastzimmer in der Taverne und ließ die morgendliche, eisige Luft herein. Es hatte gefrohren. Der Tau der Morgenstunden hatte winzige Eisblumen gezaubert. Einen Moment verharrte sie, berührte einen der kleinen, filigralen Sterne mit der Fingerkuppe und sah zu, wie die Eisblume unter der Berührung schmolz.
Schliesslich schloss sie das Fenster rasch, zog die dünnbekleideten Schultern fröstelnd hoch.
Seltsamerweise hatte sie gut geschlafen, wenn auch alleine. Ghad war fort, wohl auf Wache. Doch es bereitete ihr keine Sorge. Sie wusste, dass er wiederkam. Zu gut verstand sie, dass er oft die Einsamkeit suchte. Viel war geschehen. Soviel, wie es normalerweise mehrere Leben füllte. Der Paladin hatte zehrte an den wenigen schönen Stunden, die dazwischen waren. Viel zu wenige. Galenya seufzte.
Sie genehmigte sich einen kurzen Augenblick, um wieder aufzuwärmen, ehe sie in die leichte Lederrüstung schlüpfte, den jadegrünen Umhang überwurf. Die Sonne rückte langsam den Himmel empor, doch würde es noch dauern, ehe sie genug Kraft hatte, die Anzeichen des kommenden Winters zu verscheuchen.
Die Schankstube war noch geschlossen, eine der Angestellten wischte den Boden. So entschloss sich Galenya, die Außentreppe herunter auf den Markplatz zu nehmen. Sie war die ersten Holzstufen herunter, die schwarz und feucht unter dem schmelzenden Eis schimmerten.
Etwas erlangte ihre Aufmerksamkeit. Eine kleine Eule, wohl ein Kauz erhob sich vom Dach der Schankstube, stieß einen leisen, heiseren Schrei aus und flatterte in Richtung der Wälder davon. "Du bist spät dran, mein Kleiner." murmelte sie abwesend in Richtung des davonfliegenden Vogels. Der Blick der kastanienbraunen Augen folgte dem Tier eine Weile, ehe sie weiterging.
Es ging schnell. Ein unachtsamer Tritt auf die nassen Holzstufen, die lederne Sohle des Stiefels glitt aus. Der Griff ans Geländer zu spät.
Die Straßen waren leer diesen Morgen. Keiner sah die am Boden der Treppe liegende Gestalt, fast gänzlich vom grünen Wollmantel bedeckt. Das tiefbraune Haar zeigte keine Spur von Blut. Irgendjemand würde sie finden, mit gebrochenem Genick.
Wie kann das sein, dass diese nahen Tage Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?
Doch das Leben in Dion würde weiter gehen. Das tat es immer.