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Amandrias Seelenklang
#17
HINTERM HORIZONT

Vier Tage waren vergangen, seitdem die Halbelfe die Istyarien Samiris auf den Hafenkais Girans verabschiedet, sich wieder an selbigen einfand ... einen Tag zu früh wohl, doch vielleicht waren Corax und der derzeitig kräftige Südwind einem rascheren Wiedersehen wohl gewogen.
"Mae ...", sinniert die Schwertsängerin mit hoffnungsfrohem Lächeln "... wird der Segler nicht von gewandten Elfenhänden gelenkt? - Und überhaupt: Warum sollte ein Bootstyp als Schnellsegler bekannt sein, wenn er nicht auch einmal sein Ziel einen Abend früher als erwartet erreicht, zudem wenn auf seinen Planken in geschwungenen Elfenlettern der vielversprechende Name Blaufalke zu lesen ward!"

Vergessen die bleierne Müdigkeit ... ausgeblendet die schrecklichen Alpträume der letzten Woche, an deren Inhalte sich die Meigol Gwend bei Erwachen nicht ein einziges Mal hatte erinnern können ... so steht sie aufrecht, einer Statue gleich, dem Meer zugewandt ... einzig die grünen Augen sich bewegen, den Horizont absuchend, um so früh als möglich das Segel der Geliebten zu erspähen.
"Schade nur, dass Herr Arandir noch nicht das Schmuckstück zu Ende zu fertigen vermocht", denkt sie mit leichtem Bedauern, "falls ich SIE bereits heute wieder in meine Arme werde schließen können."

Aber als unbegründet erweist sich diese sachte Klage; scheint der elfische Schnellsegler wohl doch seinen Zeitplan einzuhalten entschlossen, und so sieht man tags darauf erneut die elfengleiche Erscheinung mit erwartungsvoll suchenden Augen auf das Meer hinausblicken.
Indes ... auch an diesem Abend nachfolgendem Tage würde ein Beobachter dieselbe Gestalt amselben Platze zur späten Nachmittagsstunde erkennen können ... ebenso am nächsten Tag und am Tag danach.
Insgesamt neunundachtzig aufeinanderfolgenden Nachmittagen und Abenden bietet sich den Hafenbesuchern dasselbe Bild: eine aufrecht stehende Halbelfe, den Blick jedesmal hoffnungsvoll auf das Südmeer gerichtet ... nur dass sich in ihren leicht geöffneten Händen schon lange ein Kleinod birgt, dessen Schönheit und Makelosigkeit in Adens Landen seinesgleichen suchen dürfte: eine silberne Kette mit einem sternenförmigen, mit goldenen Runen verzierten Anhänger, in den ein blaues, schlankes Onyxherz eingelassen ist - den gierigen Blick schon so manch zwielichter Gestalt auf sich gezogen. (Doch bislang wohl irgendetwas in den Augen der vollbewaffneten Schwertsängerin jedem Bösewicht den Gedanken einer raschen Bereicherung umgehend fallenzulassen empfahl.)

Es ist schließlich der vierundneunzigste Abend, seitdem ein elfischer Schnellsegler in Girans Hafen in See stach, als eine Gruppe Hafenarbeiter die wie leblos zusammengesunkene halbelfische Gestalt auf den dortigen Kais auffinden, an eine zersplitterte Holzplanke geklammert, auf der in coraxblauer Farbe noch einige für die Männer unidentifizierbare Runen aufgemalt zu erkennen sind.
Es ist auch der Tag, in dessen Nacht die Schwertsängerin und Taid der Elfengarde (so sie diesen Posten trotz einiger Pflichtvernachlässigungen und gravierender Fehlleistungen aufgrund mangelnder geeigneterer Kandidaten oder eines etwaigen Vertrauensvorschusses seitens des Elfenrates noch innehat) sich nicht mehr gegen die Botschaft ihres sich jede Nacht wiederholenden Traumes sperren und die Bilder endlich ihr Bewusstsein durchbrechen sowie ihr Herz überschwemmen lassen wird: Bilder eines wütenden Unwetters auf nächtlicher, hoher See ... Bilder eines zerborstenen elfischen Schnellseglers und eines abgerissenen, treibenden Großmastes in schäumenden, haushohen Wogen ... und das Bild einer zierlichen Elfe, welche hilflos über Bord gespült.

Fortan bleibt der Platz auf dem Kai wieder unbesetzt. Nur an seltenen Tagen kann man sie dort für einige Augenblicke wieder stehen sehen: eine Halbelfe mit starrem Blick zum Horizont ... ihre Haltung nun nicht mehr so aufrecht ... immer noch die silberne Sternenkette mit dem blauen Herzstein in der Hand haltend und stets die andere Hand zu ihrem langen Haar erhoben, die Blüte eines Vergißmeinnicht berührend, deren nicht verwelkte Blütenblätter den einzigen Grund dafür darstellen, dass jenes kostbare Schmuckstück immer noch nicht auf dem Grunde des Hafenbeckens gelandet.

"AI ANIRON, AI ANIRON LE SI, MELETHRIL NIN!", klingt dann ihr sehnsuchtsvoller Gesang übers Meer, kurz bevor sie sich stets umdreht, um sich wieder Freunden und Pflichten zu widmen.



Istyarien = Priesterin
Meigol Gwend = die Schwerter des Bundes
Taid = stellvertrettende Leiterin (wörtl.: die zweite)
Ai aniron le si! = Wie ich wünschte, dass du hier wärest!
melethril nin = Meine Geliebte
Der Glanz der Sterne in die Herzen meiner Freunde - die Klingen meiner Schwerter in die Herzen der Feinde!
Amandria Hen en Aduial, Magolad Eva
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Nachrichten in diesem Thema
Amandrias Seelenklang - von Amandria - 10.12.2006, 21:36
RE: Amandrias Seelenklang - von Amandria - 10.12.2006, 21:58
RE: Amandrias Seelenklang - von Amandria - 11.12.2006, 00:45
[Kein Betreff] - von Amandria - 11.12.2006, 01:24
[Kein Betreff] - von Amandria - 14.12.2006, 15:41
[Kein Betreff] - von Balduin - 21.01.2007, 12:53
[Kein Betreff] - von Amandria - 21.01.2007, 14:47
Worte im Schlaf - von Balduin - 31.03.2007, 19:32
[Kein Betreff] - von Amandria - 02.04.2007, 21:29
[Kein Betreff] - von Samiris - 21.12.2007, 00:45
[Kein Betreff] - von Amandria - 21.12.2007, 19:11
[Kein Betreff] - von Samiris - 05.02.2008, 19:04
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[Kein Betreff] - von Platzhalter - 16.10.2009, 16:53
[Kein Betreff] - von Amandria - 16.10.2009, 18:03
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[Kein Betreff] - von Amandria - 12.12.2009, 01:10
[Kein Betreff] - von Amandria - 26.01.2013, 19:42
[Kein Betreff] - von Amandria - 20.12.2015, 23:28

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