30.06.2010, 20:19
Eines späten Abends saßen der alte Geroldsen und seine beiden Gesellen über einigen Aufträgen.
„Meister Geroldsen“, fragte der junge Hjalar, „wie seid ihr eigentlich zu dem Berufe des Schneiders gekommen?“
Geroldsen lachte. „Wieso hast du diesen Beruf gewählt? Nicht auch, weil es dich glücklich macht, anderen eine Freude zu bereiten und deine Werke das Werkzeug sind?“
Hjalar nickte nur stumm. Dafür wandte sich die Lichte Ijalandi an den Meister.
„Ist das nicht etwas ungewöhnlich für einen Menschen? Die meisten eures Volkes sind doch nur auf Macht und Reichtümer aus.“
„Da hast du wohl Recht, aber es gibt nun mal auch solche unter uns, denen andere mehr bedeuten als man selbst. Und ausserdem,“ er grinste, „wieviel mehr Macht sollte ich denn haben wollen? Überlege nur, du setzt eine Ziernaht anstelle einer ordentlichen Naht an eine belastete Stelle, sodass sie mitten im wildesten Balltrubel ihren Dienst versagt. Der Träger könnte sich nie wieder irgendwo blicken lassen. So gesehen, könnte ich selbst Fürsten und Könige stürzen, wenn ich es denn wollte.“
Die drei lachten und widmeten sich wieder ihren Arbeiten.
Nach einer Weile erhob Ijalandi wieder die Stimme.
„Meister Geroldsen, wie seid ihr eigentlich an die Bekanntschaft mit dieser Ashinara gekommen?“
Der alte Mann wurde kurz still und hielt in der Arbeit inne.
„Das ist schon einige Jahre her, ihr beide wart kaum alt genug, um Schwert und Axt zu unterscheiden. Als ich sie kennenlernte war sie kaum älter als ihr jetzt.
Eines schönen Morgens, als ich gerade den Laden hier öffnen wollte, stand sie vor einem der Fenster mit den Auslagen. Die Scheibe zierten einige Abdrücke, die wohl ihren Händen und ihrer Nase gehört haben mögen. Sie kramte in ihrer Börse herum und schloss sie schließlich mit trauriger Mine. Ich hatte eines meiner Kleider in der Auslage und sie schien Gefallen daran zu haben. Nur ihr Gesicht sprach eine deutliche Sprache und auch ihre Erscheinung ließ mich urteilen, dass es sich weit außerhalb des ihr machbaren befand, das Kleid zu kaufen.
Das ganze wiederholte sich die nächsten zwei Tage, in denen ihre Börse von Tag zu Tag schmaler wurde. Am vierten Morgen fand ich sie wieder vor meinem Laden, die Knie unter das Kinn gezogen und mit den Armen umschlungen.“
Der Blick des Mannes verschleierte sich und er selbst verstummte, gefangen in den Erinnerungen.
Jahre zuvor, der vierte Morgen...
„He, Mädchen, was ist los mit dir?“
Ashinara hob den Kopf und blickte den Mann aus geröteten Augen an.
„Bitte verzeiht, ich … ich bin schon fort.“
Sie wollte schon aufstehen, um zu gehen, und Geroldsen bot ihr eine Hand an. Doch statt sie ziehen zu lassen, hielt er sie fest und sah sie an.
„Mädchen, eines vorab, ich bin nicht blind. Seit vier Tagen drückst du dir die Nase an der Scheibe platt, während deine Börse mehr und mehr abmagert. Du willst das Kleid, kannst dir aber bald kaum noch etwas zu essen leisten, oder?“
Tränen füllten Ashinaras Augen und sie nickte nur.
„Du bist nicht von hier, wie?“
„Nein,“ antwortete sie mit belegter Stimme, „nein, diese Stadt ist wahrlich nicht die meine.“
Geroldsen ließ langsam ihre Hand los.
„Gut oder auch nicht, das ist jetzt nicht von Belang. Hör mir zu. Ich bin kein Unmensch und will dir ein Angebot machen.“
Ashinara versteifte sich und trat einen Schritt zurück.
„Na, keine Sorge, ich verdiene mein Geld mit ehrlicher Arbeit und nicht mit Raub und Mord.
Du hilfst mir in meinem Laden, gegen einen anständigen Lohn und wenn du nicht in Saus und Braus lebst, kannst du dir das Kleid irgendwann leisten, ohne es dir vom Munde abzusparen. Was sagst du?“
Ashinara überlegte nicht lange und willigte ein. Das Kleid verschwand noch vor dem Mittag aus der Auslage und fand sich auf einer der mit dickem Stoff bezogenen Puppen in der Arbeitsstube des Schneiders wieder. Die junge Frau kam in einem der Zimmer unter, die für die Gesellen und Lehrlinge gedacht gewesen waren, jedoch bis dahin nie genutzt worden waren.
Die Wochen zogen in die Welt und eines Morgens kam Geroldsen mit einem Beutel voller Münzen auf Ashinara zu und drückte ihn ihr in die Hand.
„Was ist das, Meister?“ wollte sie wissen.
Der Mann verzog das Gesicht. „Erinnerst du dich nicht? Ich habe dir einen anständigen Lohn für deine Arbeit versprochen. Und du machst deine Arbeit hier gut genug, dass ich ihn gerne gebe.“
Ashinara schluckte und lugte in den Beutel.
„Das... das ist viel zu viel!“ rief sie aus.
Jetzt schmunzelte Geroldsen, sagte jedoch nichts.
„Verspottet ihr mich?“
„Keineswegs. Aber wenn dir das schon zu viel ist, warte mal den nächsten Monat ab, Ashinara. Ich habe ein paar Münzen einbehalten. Oder dachtest du, die Tuniken und Hosen, die du statt deiner Rüstung hier trägst, gäbe es geschenkt?“
Sie ließ den Kopf hängen und meinte: „Verzeihung. Ich wollte euch keine Last sein.“
„Na, na, Kopf hoch. Meinst du etwa, ich hätte dir das angeboten, wenn ich dich hätte unterstützen können? Ich kann sehr wohl abschätzen, was machbar ist, und was nicht. Sonst hätte ich wohl kaum einen so gut gehenden Laden, oder? Aber ich will mein Angebot an dich erweitern. Du leistest hier wunderbare Arbeit und auch die Kunden, denen du die Sachen bringst, sind voller Lob. Wenn auch deine direkte Art nicht immer die passendste ist.“ Er grinste. „Ich möchte dich bitten, dich fest meinem Geschäft anzuschließen. Es kommen immer mehr Leute nach Heine und sie alle werden Kleider brauchen. Viele davon kann ich mir als meine oder unsere Kunden vorstellen. Das werde ich alleine nicht schaffen.“
Ashinaras Augen leuchteten auf.
„Ihr meint, ich könnte hier bleiben und helfen, so lange ich will?“
Geroldsen nickte. „Ja, genau das meine ich. Aber in den einfachen Tuniken kann ich dich nicht zu den hohen Herren und Geschäftsleuten schicken. Als Botin bist du immerhin auch so etwas wie mein Aushängeschild. Nimm mal das Kleid von der Puppe und probiere es an.“
Die junge Frau tat wie ihr geheißen. Das Kleid wollte ihr nicht so recht passen und so sollte Ashinara eine ihrer ersten Lehrstunden in der Schneiderei bekommen.
„Und wie soll ich das nun bezahlen, Herr Geroldsen? Ich kann doch nicht meinen ganzen ersten Lohn dafür ausgeben.“
„Du arbeitest jetzt fest hier, Kind. Da kann ich dir auch mal die Arbeitskleidung so zur Verfügung stellen. Was du in deiner freien Zeit mit dem Kleid anfängst, geht mich nichts an,“ grinste er.
„Ihr meint, ich bekomme es geschenkt?“
Wie zur Bestätigung zurrte Geroldsen das Mieder des Kleides ruckartig fest, sodass es schien, dass Ashinara das Kleid nie wieder würde ablegen können. Sie keuchte auf.
„Wenn das so bleibt, kann ich aber nur noch kurze Botengänge bis vor die Tür machen.“
Nachdem er die Verschnürung wieder etwas gelockert hatte lachten sie beide herzlich.
Einige Monate später kam eine Dame aus gehobenerem Hause in den Laden. Geroldsen war nicht zugegen, er machte einen seiner 'Hausbesuche' für besondere Kunden, denen er dafür ruhigen Gewissens mehr als den normalen Preis berechnen konnte.
Die Dame konnte sich nicht so recht zwischen zwei Kleidern entscheiden und bat Ashinara um Rat. Diese bewies, dass sie in den letzten Monaten etwas mehr als nur das Schneiderhandwerk gelernt hatte.
„Nun, werte Dame, wenn ihr nicht vorhabt, eure Haarpracht und die Farbe eurer Augen noch zu verändern, bis ihr zu der Gesellschaft geht, so würde ich euch zu dem dunkelblauen Kleide raten.“
Geroldsen war unterdessen von Ashinara unbemerkt zurückgekehrt und beobachtete das Geschehen von hinter einigen ausgestellten Kleidern aus.
Ashinara fuhr unterdessen fort:
„Es unterstreicht das Grün eurer Augen und beißt sich nicht mit dem Rotbraun eures Haars. Und ich könnte mir vorstellen, bitte verzeiht meine Offenheit, dass der Mann an eurer Seite jedem die Augen ausreißt, der es wagt, allzu bewundernde Blicke für euch übrig zu haben.“
Die Kundin kicherte. „Dann will ich hoffen, dass ihr Recht behaltet. Ich gedachte, auf dieser Gesellschaft auf Männerfang zu gehen.“ Die letzten Worte kamen geflüstert und mit Verschwörermine.
Ashinara grinste und bat die Kundin, das Kleid doch einmal zur Probe zu tragen, um sicherzugehen. Es mussten noch einige Änderungen gemacht werden und während Ashinara diese mit Nadeln am Stoff absteckte meinte sie:
„Wenn ihr wollt, können wir das Kleid vielleicht noch etwas umarbeiten, sodass es eure Vorzüge noch etwas besser unterstreicht.“
„Nein,“ lachte die Frau, „ich will schon noch die Gesellschaft genießen, ohne dass der Auserwählte direkt mit mir entschwinden will. Lasst es wie es ist, nur macht es passend. Wann könnte ich es abholen?“
„In einer Woche, würde ich sagen. Für Meister Geroldsen ist es eine Kleinigkeit, es ein wenig einzukürzen.“
Ashinara zog das Kleid wieder vorsichtig auf eine der Puppen und wandte sich wieder der Frau zu.
„Habt Dank für euer kommen. Wenn ihr mir sagen würdet, wo ihr wohnt, könnte ich euch eine Nachricht zukommen lassen, wenn es früher fertig würde.“
„Das wird kaum nötig sein. Ich komme in einer Woche wieder, um das Kleid abzuholen.“
„Wie ihr wünscht,“ nickte sie und geleitete die Kundin zur Tür.
Als sie sich wieder alleine im Laden wähnte, sank sie gegen eine Wand.
„Was habe ich nur angerichtet? Einen Auftrag anzunehmen, ohne dass der gute Geroldsen davon weiß. Was, wenn es falsch war? Was, wenn das Kleid nicht fertig wird? Er wäre auf ewig ruiniert.“
„Ach, wäre ich das?" fragte Geroldsen und trat hervor.
Ashinara rappelte sich auf und trat vor den Mann hin. Dieser fuhr fort.
„Du hast ein gutes Auge und Talent dafür, den Leuten das zu verkaufen, was sie brauchen. Gut gemacht.“
„Dann... dann seid ihr mir nicht böse?“
„Im Gegenteil. Ab heute hast du eine neue Aufgabe. Weißt du, ich kann zwar sagen, welcher Schnitt wie aussieht und wirkt, aber das Zusammenspiel der Farben will mir nie so recht gelingen. Künftig wirst du mich dabei beraten.“
Über die Zeit stellte Ashinara noch viele Male dieses Talent und ihr gutes Gespür unter Beweis.
Die Kundin, die dies feine Auge in Ashinara geweckt hatte, kam kurz nach dem ersten Besuch nochmals in die Schneiderei und bat den alten Geroldsen um ein Brautkleid. Mit einem Seitenblick zu Ashinara meinte sie: „Diesen Auftrag verdankt ihr im Übrigen eurer Hilfe hier. Ohne ihr kundiges Auge hätte ich wohl kaum auf Anhieb das Herz meines Bräutigams erobern können.“
Ashinaras Gabe sprach sich mit der Zeit in ganz Heine herum, und bald kamen ebenso viele Leute in den Laden, um sich ihren, mittlerweile gut entlohnten, Rat zu holen, wie um Kleider von Geroldsens Nadel zu kaufen. Oftmal sogar beides zugleich, stimmte Ashinara doch immer ihren Rat auf die Werke Geroldsens ab.
Geroldsens Augen richteten sich wieder auf seine beiden Lehrlinge.
„Nun, und so kam es dazu, dass wir nun die Bewohner Heines mit zueinander passenden Kleidern und anderem versorgen. Auch die Bewohner anderer Städte, bis hoch ins ferne Rune und sogar das prächtige Aden, zählen wir zu unseren Kunden. Ijalandi, der Hauch von nichts, den du da gerade beendest, wird von einer neuen Kundin getragen werden. Sie kam über eine unserer besten Kundinnen zu uns. Nur, um der Götter willen, mach es anständig, auch wenn eine vom dunklen Volk es tragen wird. Ich ahne, dass dies nicht ihr letzter Auftrag gewesen sein wird.“
Ijalandis Augen verdüsterten sich kurz, wurden dann aber wieder klar und hell.
„Keine Sorge, Meister Geroldsen, ich werde euch nicht enttäuschen.“
Von der Tür zur Stube erklang eine Frauenstimme.
„Hast du wieder diese alte Geschichte erzählt? Die ist doch mittlerweile so lange her, dass sie kaum noch wahr ist.“
Grinsend kam Ashinara an den Tisch, die Bicke der beiden Lehrlinge nicht beachtend.
„Ashinara, willkommen zurück. Wie lange lauschst du schon?“
„Lange genug, um deine Erzählung mitbekommen zu haben. Kaum zu glauben, wie alles angefangen hat, nicht wahr?“
„Ja, richtig. Wie du sagtest, das erscheint wie ein anderes Leben. Du hättest an dieser Dunklen wohl deine Freude gehabt. Wie ein Ballen Stoff, aus dem man machen kann, was einem beliebt.“
Ashinara schmunzelte und antwortete: „Vielleicht ergibt sich mal die Gelegenheit, sie kennenzulernen.“
//OOC: *Schild wegnehm* Danke Peppina. Weitere Infos rund um Geroldsen folgen bald, bin noch am Schreibseln ^^ OOC//
„Meister Geroldsen“, fragte der junge Hjalar, „wie seid ihr eigentlich zu dem Berufe des Schneiders gekommen?“
Geroldsen lachte. „Wieso hast du diesen Beruf gewählt? Nicht auch, weil es dich glücklich macht, anderen eine Freude zu bereiten und deine Werke das Werkzeug sind?“
Hjalar nickte nur stumm. Dafür wandte sich die Lichte Ijalandi an den Meister.
„Ist das nicht etwas ungewöhnlich für einen Menschen? Die meisten eures Volkes sind doch nur auf Macht und Reichtümer aus.“
„Da hast du wohl Recht, aber es gibt nun mal auch solche unter uns, denen andere mehr bedeuten als man selbst. Und ausserdem,“ er grinste, „wieviel mehr Macht sollte ich denn haben wollen? Überlege nur, du setzt eine Ziernaht anstelle einer ordentlichen Naht an eine belastete Stelle, sodass sie mitten im wildesten Balltrubel ihren Dienst versagt. Der Träger könnte sich nie wieder irgendwo blicken lassen. So gesehen, könnte ich selbst Fürsten und Könige stürzen, wenn ich es denn wollte.“
Die drei lachten und widmeten sich wieder ihren Arbeiten.
Nach einer Weile erhob Ijalandi wieder die Stimme.
„Meister Geroldsen, wie seid ihr eigentlich an die Bekanntschaft mit dieser Ashinara gekommen?“
Der alte Mann wurde kurz still und hielt in der Arbeit inne.
„Das ist schon einige Jahre her, ihr beide wart kaum alt genug, um Schwert und Axt zu unterscheiden. Als ich sie kennenlernte war sie kaum älter als ihr jetzt.
Eines schönen Morgens, als ich gerade den Laden hier öffnen wollte, stand sie vor einem der Fenster mit den Auslagen. Die Scheibe zierten einige Abdrücke, die wohl ihren Händen und ihrer Nase gehört haben mögen. Sie kramte in ihrer Börse herum und schloss sie schließlich mit trauriger Mine. Ich hatte eines meiner Kleider in der Auslage und sie schien Gefallen daran zu haben. Nur ihr Gesicht sprach eine deutliche Sprache und auch ihre Erscheinung ließ mich urteilen, dass es sich weit außerhalb des ihr machbaren befand, das Kleid zu kaufen.
Das ganze wiederholte sich die nächsten zwei Tage, in denen ihre Börse von Tag zu Tag schmaler wurde. Am vierten Morgen fand ich sie wieder vor meinem Laden, die Knie unter das Kinn gezogen und mit den Armen umschlungen.“
Der Blick des Mannes verschleierte sich und er selbst verstummte, gefangen in den Erinnerungen.
Jahre zuvor, der vierte Morgen...
„He, Mädchen, was ist los mit dir?“
Ashinara hob den Kopf und blickte den Mann aus geröteten Augen an.
„Bitte verzeiht, ich … ich bin schon fort.“
Sie wollte schon aufstehen, um zu gehen, und Geroldsen bot ihr eine Hand an. Doch statt sie ziehen zu lassen, hielt er sie fest und sah sie an.
„Mädchen, eines vorab, ich bin nicht blind. Seit vier Tagen drückst du dir die Nase an der Scheibe platt, während deine Börse mehr und mehr abmagert. Du willst das Kleid, kannst dir aber bald kaum noch etwas zu essen leisten, oder?“
Tränen füllten Ashinaras Augen und sie nickte nur.
„Du bist nicht von hier, wie?“
„Nein,“ antwortete sie mit belegter Stimme, „nein, diese Stadt ist wahrlich nicht die meine.“
Geroldsen ließ langsam ihre Hand los.
„Gut oder auch nicht, das ist jetzt nicht von Belang. Hör mir zu. Ich bin kein Unmensch und will dir ein Angebot machen.“
Ashinara versteifte sich und trat einen Schritt zurück.
„Na, keine Sorge, ich verdiene mein Geld mit ehrlicher Arbeit und nicht mit Raub und Mord.
Du hilfst mir in meinem Laden, gegen einen anständigen Lohn und wenn du nicht in Saus und Braus lebst, kannst du dir das Kleid irgendwann leisten, ohne es dir vom Munde abzusparen. Was sagst du?“
Ashinara überlegte nicht lange und willigte ein. Das Kleid verschwand noch vor dem Mittag aus der Auslage und fand sich auf einer der mit dickem Stoff bezogenen Puppen in der Arbeitsstube des Schneiders wieder. Die junge Frau kam in einem der Zimmer unter, die für die Gesellen und Lehrlinge gedacht gewesen waren, jedoch bis dahin nie genutzt worden waren.
Die Wochen zogen in die Welt und eines Morgens kam Geroldsen mit einem Beutel voller Münzen auf Ashinara zu und drückte ihn ihr in die Hand.
„Was ist das, Meister?“ wollte sie wissen.
Der Mann verzog das Gesicht. „Erinnerst du dich nicht? Ich habe dir einen anständigen Lohn für deine Arbeit versprochen. Und du machst deine Arbeit hier gut genug, dass ich ihn gerne gebe.“
Ashinara schluckte und lugte in den Beutel.
„Das... das ist viel zu viel!“ rief sie aus.
Jetzt schmunzelte Geroldsen, sagte jedoch nichts.
„Verspottet ihr mich?“
„Keineswegs. Aber wenn dir das schon zu viel ist, warte mal den nächsten Monat ab, Ashinara. Ich habe ein paar Münzen einbehalten. Oder dachtest du, die Tuniken und Hosen, die du statt deiner Rüstung hier trägst, gäbe es geschenkt?“
Sie ließ den Kopf hängen und meinte: „Verzeihung. Ich wollte euch keine Last sein.“
„Na, na, Kopf hoch. Meinst du etwa, ich hätte dir das angeboten, wenn ich dich hätte unterstützen können? Ich kann sehr wohl abschätzen, was machbar ist, und was nicht. Sonst hätte ich wohl kaum einen so gut gehenden Laden, oder? Aber ich will mein Angebot an dich erweitern. Du leistest hier wunderbare Arbeit und auch die Kunden, denen du die Sachen bringst, sind voller Lob. Wenn auch deine direkte Art nicht immer die passendste ist.“ Er grinste. „Ich möchte dich bitten, dich fest meinem Geschäft anzuschließen. Es kommen immer mehr Leute nach Heine und sie alle werden Kleider brauchen. Viele davon kann ich mir als meine oder unsere Kunden vorstellen. Das werde ich alleine nicht schaffen.“
Ashinaras Augen leuchteten auf.
„Ihr meint, ich könnte hier bleiben und helfen, so lange ich will?“
Geroldsen nickte. „Ja, genau das meine ich. Aber in den einfachen Tuniken kann ich dich nicht zu den hohen Herren und Geschäftsleuten schicken. Als Botin bist du immerhin auch so etwas wie mein Aushängeschild. Nimm mal das Kleid von der Puppe und probiere es an.“
Die junge Frau tat wie ihr geheißen. Das Kleid wollte ihr nicht so recht passen und so sollte Ashinara eine ihrer ersten Lehrstunden in der Schneiderei bekommen.
„Und wie soll ich das nun bezahlen, Herr Geroldsen? Ich kann doch nicht meinen ganzen ersten Lohn dafür ausgeben.“
„Du arbeitest jetzt fest hier, Kind. Da kann ich dir auch mal die Arbeitskleidung so zur Verfügung stellen. Was du in deiner freien Zeit mit dem Kleid anfängst, geht mich nichts an,“ grinste er.
„Ihr meint, ich bekomme es geschenkt?“
Wie zur Bestätigung zurrte Geroldsen das Mieder des Kleides ruckartig fest, sodass es schien, dass Ashinara das Kleid nie wieder würde ablegen können. Sie keuchte auf.
„Wenn das so bleibt, kann ich aber nur noch kurze Botengänge bis vor die Tür machen.“
Nachdem er die Verschnürung wieder etwas gelockert hatte lachten sie beide herzlich.
Einige Monate später kam eine Dame aus gehobenerem Hause in den Laden. Geroldsen war nicht zugegen, er machte einen seiner 'Hausbesuche' für besondere Kunden, denen er dafür ruhigen Gewissens mehr als den normalen Preis berechnen konnte.
Die Dame konnte sich nicht so recht zwischen zwei Kleidern entscheiden und bat Ashinara um Rat. Diese bewies, dass sie in den letzten Monaten etwas mehr als nur das Schneiderhandwerk gelernt hatte.
„Nun, werte Dame, wenn ihr nicht vorhabt, eure Haarpracht und die Farbe eurer Augen noch zu verändern, bis ihr zu der Gesellschaft geht, so würde ich euch zu dem dunkelblauen Kleide raten.“
Geroldsen war unterdessen von Ashinara unbemerkt zurückgekehrt und beobachtete das Geschehen von hinter einigen ausgestellten Kleidern aus.
Ashinara fuhr unterdessen fort:
„Es unterstreicht das Grün eurer Augen und beißt sich nicht mit dem Rotbraun eures Haars. Und ich könnte mir vorstellen, bitte verzeiht meine Offenheit, dass der Mann an eurer Seite jedem die Augen ausreißt, der es wagt, allzu bewundernde Blicke für euch übrig zu haben.“
Die Kundin kicherte. „Dann will ich hoffen, dass ihr Recht behaltet. Ich gedachte, auf dieser Gesellschaft auf Männerfang zu gehen.“ Die letzten Worte kamen geflüstert und mit Verschwörermine.
Ashinara grinste und bat die Kundin, das Kleid doch einmal zur Probe zu tragen, um sicherzugehen. Es mussten noch einige Änderungen gemacht werden und während Ashinara diese mit Nadeln am Stoff absteckte meinte sie:
„Wenn ihr wollt, können wir das Kleid vielleicht noch etwas umarbeiten, sodass es eure Vorzüge noch etwas besser unterstreicht.“
„Nein,“ lachte die Frau, „ich will schon noch die Gesellschaft genießen, ohne dass der Auserwählte direkt mit mir entschwinden will. Lasst es wie es ist, nur macht es passend. Wann könnte ich es abholen?“
„In einer Woche, würde ich sagen. Für Meister Geroldsen ist es eine Kleinigkeit, es ein wenig einzukürzen.“
Ashinara zog das Kleid wieder vorsichtig auf eine der Puppen und wandte sich wieder der Frau zu.
„Habt Dank für euer kommen. Wenn ihr mir sagen würdet, wo ihr wohnt, könnte ich euch eine Nachricht zukommen lassen, wenn es früher fertig würde.“
„Das wird kaum nötig sein. Ich komme in einer Woche wieder, um das Kleid abzuholen.“
„Wie ihr wünscht,“ nickte sie und geleitete die Kundin zur Tür.
Als sie sich wieder alleine im Laden wähnte, sank sie gegen eine Wand.
„Was habe ich nur angerichtet? Einen Auftrag anzunehmen, ohne dass der gute Geroldsen davon weiß. Was, wenn es falsch war? Was, wenn das Kleid nicht fertig wird? Er wäre auf ewig ruiniert.“
„Ach, wäre ich das?" fragte Geroldsen und trat hervor.
Ashinara rappelte sich auf und trat vor den Mann hin. Dieser fuhr fort.
„Du hast ein gutes Auge und Talent dafür, den Leuten das zu verkaufen, was sie brauchen. Gut gemacht.“
„Dann... dann seid ihr mir nicht böse?“
„Im Gegenteil. Ab heute hast du eine neue Aufgabe. Weißt du, ich kann zwar sagen, welcher Schnitt wie aussieht und wirkt, aber das Zusammenspiel der Farben will mir nie so recht gelingen. Künftig wirst du mich dabei beraten.“
Über die Zeit stellte Ashinara noch viele Male dieses Talent und ihr gutes Gespür unter Beweis.
Die Kundin, die dies feine Auge in Ashinara geweckt hatte, kam kurz nach dem ersten Besuch nochmals in die Schneiderei und bat den alten Geroldsen um ein Brautkleid. Mit einem Seitenblick zu Ashinara meinte sie: „Diesen Auftrag verdankt ihr im Übrigen eurer Hilfe hier. Ohne ihr kundiges Auge hätte ich wohl kaum auf Anhieb das Herz meines Bräutigams erobern können.“
Ashinaras Gabe sprach sich mit der Zeit in ganz Heine herum, und bald kamen ebenso viele Leute in den Laden, um sich ihren, mittlerweile gut entlohnten, Rat zu holen, wie um Kleider von Geroldsens Nadel zu kaufen. Oftmal sogar beides zugleich, stimmte Ashinara doch immer ihren Rat auf die Werke Geroldsens ab.
Geroldsens Augen richteten sich wieder auf seine beiden Lehrlinge.
„Nun, und so kam es dazu, dass wir nun die Bewohner Heines mit zueinander passenden Kleidern und anderem versorgen. Auch die Bewohner anderer Städte, bis hoch ins ferne Rune und sogar das prächtige Aden, zählen wir zu unseren Kunden. Ijalandi, der Hauch von nichts, den du da gerade beendest, wird von einer neuen Kundin getragen werden. Sie kam über eine unserer besten Kundinnen zu uns. Nur, um der Götter willen, mach es anständig, auch wenn eine vom dunklen Volk es tragen wird. Ich ahne, dass dies nicht ihr letzter Auftrag gewesen sein wird.“
Ijalandis Augen verdüsterten sich kurz, wurden dann aber wieder klar und hell.
„Keine Sorge, Meister Geroldsen, ich werde euch nicht enttäuschen.“
Von der Tür zur Stube erklang eine Frauenstimme.
„Hast du wieder diese alte Geschichte erzählt? Die ist doch mittlerweile so lange her, dass sie kaum noch wahr ist.“
Grinsend kam Ashinara an den Tisch, die Bicke der beiden Lehrlinge nicht beachtend.
„Ashinara, willkommen zurück. Wie lange lauschst du schon?“
„Lange genug, um deine Erzählung mitbekommen zu haben. Kaum zu glauben, wie alles angefangen hat, nicht wahr?“
„Ja, richtig. Wie du sagtest, das erscheint wie ein anderes Leben. Du hättest an dieser Dunklen wohl deine Freude gehabt. Wie ein Ballen Stoff, aus dem man machen kann, was einem beliebt.“
Ashinara schmunzelte und antwortete: „Vielleicht ergibt sich mal die Gelegenheit, sie kennenzulernen.“
//OOC: *Schild wegnehm* Danke Peppina. Weitere Infos rund um Geroldsen folgen bald, bin noch am Schreibseln ^^ OOC//
Eintrag in der ImoWiki: Noch im Entstehen