15.04.2011, 22:32
Tag Fünf
Wieder brach der Abend eines weiteren Tages herein. Um diese Zeit versammelte sich die Priesterschaft des Einhasad Tempels von Rune, um zu beten. Jeden Tag. Immer zur gleichen Zeit. Eine nette Angewohnheit, machte diese doch die kommende Angelegenheit einfacher.
Gemeinsam mit einigen Kriegern und weiteren Dunklen als Begleitung brach Auniira zum Tempelbereich von Rune auf. Als sie an der Brücke ankamen, wurden sie nicht nach einem Ausweis gefragt. Ein Privileg, welches die Angehörigen der Enklave Rune hatten. Ein Privileg, was einem lästige Zeitverschwendungen ersparte.
Vor den Aufgängen warteten bereits einige Wachleute, die sich ihrer kleinen Prozession anschlossen. Sicherlich war ihnen das, was auf sie zukommen würde, unangenehm, doch störte dies die Dunklen nicht. Sie alle hatten ihre Aufgaben. Sie alle würden sie erfüllen. Nichts konnte daran vorbei führen. Nichts konnte es mehr verhindern.
Schweigend bestritten sie den Weg, der vor ihnen lag. Im Portal des Tempels blieben sie stehen. Die Betenden befanden sich in der Kapelle und gingen dem nach, was sie am besten konnten. Beten. Ihren Gott anflehen. Ihren Gott um Hilfe bitten. Vielleicht hätte man sie vorwarnen sollen. Vielleicht wären ihre Gebete dann anders ausgefallen. Vielleicht aber auch nicht. Wer wusste das schon? Vielleicht ihr Gott? Bei diesen Gedanken trat ein Schmunzeln auf Auniiras Lippen.
Dann machten die Wachleute Runes Anstalten, in den Tempel einzutreten. Eine Vorstellung, die Auniira in jenem Augenblick zuwider war. Sie zog die Pergamentrollen, die sie bei sich trug, aus einem Beutel und überreichte sie jenem obersten Wachmann, der sie begleitet hatte. Seine Augen huschten über die Zeilen des offiziellen Dokuments. Dann nahm er sich das zweite Schreiben vor und seine Augen weiteten sich ob der Befehle, die darin standen. Doch musste er auch diese befolgen. Es handelte sich schließlich auch dabei um ein offizielles Dokument. Er nickte, sein Blick festigte sich und teilte die Befehle den anderen Wachleuten mit. Kurzes Raunen. Einheitliches Nicken.
Während die Wachleute eintraten, verharrten die Dunklen einige Atemzüge lang vor dem Tempel. Dann wandte sich ein Großteil von ihnen ab, um zum Verwaltungsgebäude der Enklave Rune zurück zu kehren. Nur Auniira und drei weitere Dunkle verblieben vor dem Tempel. Warteten. Aufgeregte Stimmen drangen noch an die Ohren der Gehenden, als diese die obere Ebene des Tempelbereichs verließen.
Die Wachleute hatten die Messe kurz vor deren Ende unterbrochen. Aufgebracht starrten die Anwesenden sie an, murmelten Verwünschungen, sprachen von Ketzerei. Der offizielle Befehl wurde gesprochen. Entsetztes Keuchen glitt durch die Menge, einem Unheil verkündenden Windhauch gleich. Niemand rührte sich. Der Befehl wurde wiederholt. Eindringlicher. Fordernder.
Dann kam Bewegung in die Menge. Die meisten Anwesenden, die vor wenigen Augenblicken noch in ihre Gebete vertieft waren, verließen schnellen Schrittes den Tempel. Jedoch nicht, ohne still Abschied zu nehmen. Vom Tempel und von der Stadt, die fortan keinen Hort mehr für ihre Gebete bieten würde. Die fortan kein Heim mehr für ihren Gott aufbringen würde.
Eine Handvoll Priester weigerte sich, dem Befehl zu folgen, konnte ihn nicht fassen, wollte den Tempel nicht aufgeben. Auch dafür gab es einen offiziellen Befehl. Dieser wurde vorgetragen. Sie bekamen die Chance, sich dem ersten Befehl zu fügen, bevor der zweite in Kraft treten würde. Eine letzte Chance. Keiner nahm sie wahr. In diesem Moment gaben sie ihr Leben in die Hände der Wachleute, welche die Priester festnahmen, sie abführten. Vorbei an Auniira und den Dunklen, die draußen warteten. Zornige, hasserfüllte Blicke trafen auf die Dunklen, wurden ignoriert.
Als der Tempel geräumt war und auch die Wachleute ihn wieder verlassen hatten, um die Inhaftierten fortzuschaffen, traten die Dunklen ein. „So kann der Tempel wirklich nicht bleiben. Das ist ja schrecklich“, drang Auniiras Stimme durch die leere Kapelle. Die drei Dunklen, die mit ihr vor dem Tempel verweilt und sie hinein begleitet hatten, zogen Schreibtafeln und Kohlestifte aus ihren Taschen.
Skizzen wurden gezeichnet, grobe Vermessungen wurden vorgenommen, Veränderungen wurden beschlossen. Es dauerte bis spät in die Nacht, als sie aus dem Tempel zurückkehrten. Mittlerweile hatten zwei Wachleute vor diesem Stellung bezogen, um dafür zu sorgen, dass außer den Dunklen der Enklave Rune – vor allem ihren Baumeistern – niemand den Tempel betreten würde, bis sein Umbau weit genug fortgeschritten war. Auch wenn dies ein aufwendiges Unterfangen war und einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Auch vor der endgültigen Fertigstellung konnte er für seine neuen Zwecke genutzt werden.
Schon bald würden die Dunkelelfen Shilen in ihm huldigen können. Schon bald.