01.05.2011, 19:32
Tag Einundzwanzig
Ruhig wanderten die Augen der Dunklen über die Zeilen des Schreibens, welches ihr an diesem Abend gebracht wurde. Der starke Wind peitschte die Regentropfen gegen das Fenster des Zimmers, schien erbarmungslos um Einlass zu bitten, zu flehen. Der Himmel hatte sich im Laufe des eigentlich sonnigen Tages zugezogen. Nun schienen unendliche Wassermassen aus den Wolken zu fließen und die Stadt überschwemmen zu wollen. Ein nicht seltenes Phänomen in Rune.
Nachdem sie das Schreiben gelesen hatte, erhob sich die Dunkle, um an das Fenster zu treten und wider besseren Wissens in den Himmel zu schauen. Natürlich konnte sie nichts sehen. Bis auf die Wolken in unzähligen Grautönen. Noch während Dilquiri das Fenster öffnete, trat Xissdrossg ein.
„Du hast nach mir rufen lassen?“, fragte er nach der Begrüßung, bei der er in respektvollem Abstand stehen geblieben war, offenbar abwartend, wer ihn in das Arbeitszimmer bestellt hatte. Seine Gemahlin oder die Ventash’ma der Gemeinschaft.
Dilquiri deutete auf das Schreiben, welches sich deutlich vom schwarzen Holz des Tisches abhob. Noch während Xissdrossg sich an den Schreibtisch setzte, streckte Dilquiri eine Hand aus dem Fenster, wartete einige Herzschläge lang darauf, dass der Regen ihre Haut benetzte und einen feuchten Film auf diesem hinterließ. Ein Räuspern des Dunklen verriet ihr, dass er bereit war, über das Schreiben zu sprechen.
Sie kehrte zu dem Tisch zurück und setzte sich wieder. Dann schlug Dilquiri ein Bein über das andere und legte ihre Hände auf dem oberen Knie ab. Der Tisch zwischen ihnen symbolisierte in diesem Augenblick, dass sie nicht als Mann und Frau miteinander sprachen, sondern als Ventash’ma und Ul’Saruk. Und sie beide waren sich dieser Tatsache bewusst.
„Was sagst du dazu?“, ihre leise Stimme schwang durch die Stille des Arbeitszimmers.
„Wir sollten diesem Rat folgen“, antwortete Xissdrossg knapp. „Jedoch hast du mich sicherlich nicht herbestellt, damit ich dir etwas mitteile, das du bereits weißt“, stellte er dann fest.
Der Hauch eines Schmunzelns zeichnete sich auf Dilquiris Lippen ab. Sie neigte den Kopf leicht, um ihm zu bedeuten, dass er Recht hatte. Doch schwieg sie, so dass Stille anfing, sich in dem Raum auszubreiten. Nur das leise Geräusch der Regentropfen, die auf den Boden prallten und durch dieses Zusammentreffen zerrissen wurden, kämpfte viele Herzschläge lang gegen die wachsende Stille an.
„Seltsam … und interessant zugleich“, erhob die Dunkle dann wieder ihre Stimme, den Ul’Saruk der Gemeinschaft genau betrachtend, den fragenden Gesichtsausdruck abwartend, bevor sie fortfuhr.
„Die Priesterinnen schlafen schlecht in letzter Zeit und haben … Träume“, das letzte Wort betonte sie besonders, vielsagend. „Ich habe … Träume.“
Die Augen des Dunklen nahmen einen düsteren Farbton an, als würde sich Schatten über ihre Iris senken. Sie wurden schwarz. Sein Blick wurde eindringlicher.
„Was für Träume?“, fragte er dann, seine Stimme hatte ebenso an Lautstärke abgenommen, ein lauernder Unterton schwang in seinen Worten mit.
Dilquiri beschrieb ihm alles, woran sie sich erinnerte, erhob sich dabei erneut von ihrem Platz, um abermals an das Fenster heran zu treten.
„Es kann jedoch auch ein Zufall sein“, schloss sie ihre Schilderung ab, während sie ihre Hände auf die Fensterbank legte, nach draußen blickend. Sie hörte wie auch Xissdrossg aufstand und sich zu ihr an das Fenster gesellte.
„Seit wann glauben wir an Zufälle?“, fragte er ruhig, jedoch war das Schmunzeln, mit dem er sprach, hörbar.
„Wir müssen Vorbereitungen treffen. Stelle eine Gruppe verschiedener Personen zusammen, die in der Lage sind, den Himmel zu beobachten. Sie sollen vier Mal am Tag Bericht über ihre Beobachtungen erstatten. Sobald sich abzeichnet, dass die Stadt und ihre Umgebung in Gefahr sind, sollen die Bürger in ihre Keller ziehen. Wer keinen Keller hat, soll den seiner Nachbarn mit benutzen oder sich bei den Wachen der Tempelanlage melden. Wir werden die Katakomben für diesen Fall ausstatten.“
„Asanque“, erwiderte Xissdrossg, die Befehle der Dunklen annehmend. Dann wandte er sich ab, verließ den Raum, um diese Anweisungen umzusetzen. Dilquiri verharrte am Fenster, weiter aus diesem blickend.
Xissdrossg hatte Recht. Sie glaubten nicht an Zufälle. Ruckartig drehte sich die Dunkle um, verließ das Zimmer, um sich zu den Priesterinnen der Enklave zu begeben. Es gab noch andere Dinge, als die bereits ausgesprochenen zu klären. Vieles war vorzubereiten, in die Wege zu leiten.
Xissdrossg machte sich derweilen daran, die Stadtwache zu informieren. Ebenso wurde eine kleine Gruppe, bestehend aus Gelehrten, zusammengerufen, um den Himmel in der kommenden Zeit zu beobachten.