Dion

[Ghadbuloth]

Nachdenklich sah Ghad, derweil auch schon etwas rüstiger und in die Jahre gekommen, obgleich das Haar noch seine volle Farbenpracht hatte und kaum eine Falte das Gesicht zierte, auf den Kalender in seinem Quartier auf dem Arbeitstisch. Mit einer, in rote Tinte getauchten, Feder hatte er einen Tag eingekreist, an den er sich zwar nicht erinnern konnte, aber den er sich in seinem Memoiren nieder geschrieben hatte. Viele Monate waren seit dem Verlust seiner Erinnerung, von einem Ausmaß eines Viertels seines Lebens, vergangen und stückchenweise kehrten diese zurück, aber seine vergangenen Jahre lagen noch wie immer in einem dichten Nebel verborgen. Ebenso die Person, der er nun zu Gedenken gedachte an dem Jahrestag, war für ihn nicht mehr als eine Zeichnung auf dem Papier, ein Name und eine Geschichte, die persönlichen Gefühle für diese Person waren nur Worte, doch hinter ihnen steckte keine Bedeutung.

"Es wird Zeit..", knarrte er leise und erhob sich, das Holz seines Stuhls quietschte dabei leise unter dem weichenden Gewicht eines großen Mannes in Plattenrüstung. Die Hände griffen zur Stuhllehne, über die ein gefütterter Winterumhang mit Kapuze geworfen warm, zogen diesen über seinen Leib und knüpften diesen mit bedächtigen Bewegungen zu. Er musste leicht schmunzeln, als er sich selbst im Fensterglas betrachtete, ein Eisrand bedeckte das Fenster und er ermahnte sich selbst bei diesem Wetter hinaus zu gehen für eine Reise. Das letzte mal, als er alleine unterwegs war, hatte eine ihm unbekannte Frau versucht die Kehle durchzuschneiden, hatte dann aber nach einem langen Handgemenge darauf verzichtet und ihm nur aus großer Distanz einen vergifteten Pfeil durch den linken Arm gejagt..seitdem fühlten sich seine Finger so an, als wären diese immer in einen dicken Handschuh gehüllt, erst mit viel Druck spürte er Konturen und Widerstand unter seinen Fingern.

Schwert und Schild ergriff er und verstaute diese in den Taschen des Reitzeugs für Randir, seinen Schreiter. Der Drachling war bei einem befreundeten Tierpfleger untergekommen, Ghad konnte sich bei Zeiten wie diesen nicht mehr so oft kümmern wie er wollte, zumal er es bei diesem wesentlich besser hatte, bei den eisigen Temperaturen, als in einer spärlich beheizten Hütte. Das gepackte Reitzeug warf er sich über die Schultern, er selbst kam somit in ein Ungleichgewicht, dass er nur mit Mühe ausgleichen konnte, was dazu führte, dass er fast wie eine der wandelnden Leichen über den Flur schlurfte und die Treppen des Keilers hinab stieg. Er hatte zuvor für Brianne eine Nachricht hinterlassen, dass er nach Dion aufbrechen würde, um einen Freund zu besuchen.

Die Kapuze über den Kopf werfend, die letzten Riemen fest zurrend und die gläserne Schutzbrille über die Augen streifend, verließ er die Unterkunft, die Augen leicht zusammen gekniffen, um bei dem Schneetreiben nicht jemanden anzuremplen. Er atmet ruhig, leichte Atemschwaden steigen dabei auf, aber werden durch den Schneefall zerstoben, wie die Pfeilhagel einst bei der Belagerung Dions die Wolken durchpflückten. Es war nicht weit entfernt, als er vor dem Stadttor Girans abbog in eine Seitengasse und die Türe eines kleinen Ladens aufschob. Der Schnee fiel ihm von den Schultern und er schüttelt das Haupt, um dann die Kapuze abzustreifen.

"Rhilan, ich bin gekommen im Randir zu holen!", verkündet er mit lauter Stimme, als kurz darauf ein junger Mann sich durch eine Türe an den Tresen schiebt. "Ah, Sir Buloth, wie ich sehe macht ihr eurem Namen alle Ehre, weißer Ritter..", ließ dieser süffisant aus den Lippen klingen, um dann zu nicken und Ghad damit aufzufordern ihm zu folgen. Je näher Ghad dem Tresen und der Türe kam, desto mehr Wärme strahlte ihm entgegen, ein molliges Gefühl glitt über seine nackten Wangen und ließen diese wohlig aufschaudern. "So nenne ich mich schon seit Jahren nicht mehr, das war noch, als ich in deinem Alter war..Junge", erwidert er mit einem reifen Lächeln. Rhilan war ein Junge gewesen, als er ihn damals kennen gelernt hatte..der Knappe einer befreundeten Paladin, von dieser auf- und erzogen worden, aber hatte niemals die Prüfungen zum Ritter abgelegt, nachdem der Bund sich damals aufgelöst hatte. "Bedauerlich eigentlich..er hatte soviel Talent..", ging es durch seine Gedanken, während er ihm folgte.

"Es ist ein harter Winter, ich dachte ich wäre gut vorbereitet, aber langsam neigen sich auch Kohle und die Holzscheite dem Ende zu. Es wird Zeit für den Frühling..", erklärt dieser und brachte Ghad in den Stall-ähnlichen Raum hinein, ein geschuppter Kopf schiebt sich über eine Holzplanke und begrüßt den Ritter mit einem freudigen Schnauben. Sanft lässt er seine rechte Hand über die Schnauze fahren und streicht dem Tier dann über die schuppige Stirn. "Ich bin morgen zurück, wehe du vergibst bis dahin seinen Stallplatz!", sagte er lachend und hob ermahnend den Finger. "Nein mein Herr, natürlich nicht.", kam es zurück und er öffnete das Tor, durch welches das Reittier, nachdem es gesattelt wurde, hinaus gebracht wurde. "Nach Dion, du kennst den Weg bestimmt noch...wir statten unseren alten Freunden noch einen Besuch ab." Zufrieden schnaubt der Drache durch die Nüstern und schreitet los.

Wenige Stunden später, kam Ghad zu den Toren Dions an, das Wetter schien ihm auf der ganzen Reise auch nicht hold zu sein, resignierend streift er die Kapuze ab und schwingt sich vom Rücken des Tiers. "Warte hier", lässt er erklingen und tritt näher an die Stadt heran, Schwert und Schild wenige Minuten zuvor aus den Taschen des Drachen genommen und an seinem Gürtel befestigt habend, welche sich durch den eigentlich eng anliegenden Umhang deutlich abzeichneten, der Schwertknauf schob sich auf der Vorderseite heraus. "Gggrrrrrggrrr", klingt es mürrisch aus seinem Rücken, dann hört er ein Klauen-bewehrtes Scharren im Grund hinter sich. "Ich weiß..", raunt er und bleibt dann nach wenigen Schritten stehen zu bleiben.

Er scheint wie von Sinnen einige Minuten auf dem Fleck zu stehen, sich nicht zu rühren und daran auch nichts ändern zu wollen. Dann setzt er weiter voran, die beplatteten Stiefel auf dem harten Boden deutlich klackend und ihm voraus hallend. Bereits auf Distanz lässt er den Stadtwachen ein freundliches Lächeln entgegen gehen, als er dann näher kam, die Stimme dann inbrünstig erhebend, wie zu seinen besten Jahren und ein "Seid gegrüßt tapfere Wachen, ein Freund der Stadt erbittet Einlass! Und einen Schuppen für einen geschuppten Gefährten.", von sich gebend.

Er wusste nicht wie die aktuelle Situation Dions war, außer dass Theobald Vorstand der Stadtwache..oder etwas in der Art sein musste. Dabei ging er nostalgisch den Gedanken nach, wie sie damals in Gludio für Recht und Ordnung sorgten und manch einer, der einfach an den Wachen vorbei gelaufen war ohne diese zu Grüßen..ganz schnell wieder hinausgeworfen wurde, bis er sich vorstellig gemacht hatte. "Das waren Zeiten..", murmelt er wie ein alter Kauz und streicht sich die blonden Haare aus dem Gesicht, nun wenige Schritte vor den Toren harrend.