21.04.2012, 12:18
Tiefrot zog die Gewitterfront von Gludin her auf den Hafen Lomerias zu. Ein Rot verschütteter Weine, ein Rot geschlagener Kinder, ein Rot zerflossener Hoffnungen, ein Rot brennenden Horizonts. Der Regen fiel unbarmherzig und kalt, prasselte wie eine Lawine aus Kieseln auf die verbliebenen Hafengänger herab. Kein Wunder, dass die morsche Kneipe im antizyklischen Verlauf dazu aufblühte, als hätte sie kaum lebhaftere Tage gesehen. Vaira, Roxanne, wie sie sich nannte und zu nennen hatte, wusste, das inmitten des Aufruhrs, Trubel, des Auslebens des Landganges und Verdrängung der Frustrationen an so einem lebhaften Abend sie nicht die Arbeit machen wollte, die sie musste. Der Regen, durch das Licht der unbarmherzigen Sonne eingefärbt, hielt wie ein Schleier um sie.. als könnte sie sich tatsächlich einmal so bewegen, wie sie es einmal konnte, unangesehen, unberührt, unbeeinflusst - frei.
Und doch musste sie sich eingestehen, dass trotz des unangenehmen Wetters und außer denen, die nichts anderes wollten als weg aus ihm, hinein in die Wärme, doch eine Gestalt da kauerte. Wartend, hoffnungsvoll, allein. Eine Lichtgestalt. Sie wand sich an die verschiedensten Männer. Und doch schien sie nicht das zu bekommen, wonach sie suchte. Mit einem Aufseufzen, das sogleich Mitleid und Interesse enthielt, wand Roxanne sich auf sie zu. Keine Zeit für lange Gespräche, Vorstellungen. Sollte es gleich geschehen. Sie schien dankbar, auch wenn sie nicht vor Glück strahlte, als sie sie in das verkommenste Zimmer der Kneipe einlud. Es war weder komfortabel, noch leise, noch überhaupt instand. Ein Loch im Boden verbat des Besitzers Ehre, hier Gäste einzuquartieren. Es blieb also weder schlechtes Gewissen, noch Gefahr, ertappt zu werden, als Roxanne das Schloss des Zimmers löste.
Ein Wein und ein Kehlenschlitzer lockerten die Worte. Diejenige, die sich als Priesterin vorstellte, sah fast unentwegt aus dem Fenster, während Roxanne den gleichen Farbton der untergehenden Sonne vernahm, als sie sich die nassen Haare auswrang. Sie wollte nach Hause. Gludin. So schnell es nur ging. Mit einem Hauch von Bedauern teilte sie ihr mit, das bei diesem Wetter und dem nahenden Gewitter niemand mehr dahin fahren würde. Heute nicht, morgen nicht und vielleicht sogar nicht die nächsten Tage. Wie vorauszusehen war, erleichterte es das Gemüt der Schwarzhaarigen nicht. Ein Ausweg, eine Chance, eine Hoffnung auf Heimat für die Schwarze und Flucht für die Rote bat ihnen schließlich das, was in dieser Nacht wohl niemand mehr vermissen würde. Sie fühlte sich nicht einmal schlecht dabei, eine Geistliche, eine Reine und Gute, zu verführen. Das kompakte Fischerboot zu stehlen, dessen Besitzer wohl schon unter irgendeiner Bank liegen würden. Nicht ein Hauch von Widerspruch erklang. Es schien ihr wichtig gewesen zu sein. Also legten sie ab. Lernwillig und fähig, sich unterzuordnen und Befehlen zu folgen, ohne darüber nachzudenken, bloß des Zweckes wegen, hatte Roxanne eine gängige Schülerin und Kameradin gefunden, wenn es darum ging, die Jolle übers Meer zu schaffen. Und doch sollte dies kein Ausflug unschuldiger Freuden sein.