21.04.2012, 14:21
Als die Stege und Häuser am eben verlorenen, doch trotz alledem sicheren Hafen, begannen, auf die Größe von Spielzeughäusern, dann von Kieseln, dann von Nichts zu schrumpfen, wurde beiden klar, dass diese Nacht keine Nacht war, in der man unbeschwert durch ein Gewitter segeln sollte. In der Schwarzhaarigen musste es Naivität gewesen sein, ein einfaches Schlussfolgern, welcher gesunde Mensch vertraute schon einer zwielichten Hafendame, die nie etwas über ein Leben auf See preisgab, ein Boot zu steuern? Gar durch ein Unwetter? Vielleicht war es auch nur Hoffnung. Diese Hoffnung, die einem die Teufel und Dämonen schenken, Strohhalme für Ertrinkende, Ablassbriefe für Unschuldige, Wundverband für Vergiftete, eine Hure.. für eine Priesterin.
Das einzige Licht in dieser Nacht spendeten die zahlreichen Blitze aus dem Norden, die über Land und Meer hinweg tanzten, als gäbe es keine Schranken für sie, keine Grenzen und keine Regeln. Sie, als zorniges Werk des Himmels, waren trotz allen Bemühungen die einzigen, die hier frei waren. Die Nussschale, die die zwei hageren Frauen zum Überqueren der See nutzten, mehr Treibholz, denn alles andere, hätte sich auch dieser Freiheit stellen müssen. Was blieb also anderes übrig.. als vor dem Sturm zu fliehen. Mit ihm im Rücken würden sie wenigstens schnell voran kommen - wenn auch ungewiss, wohin. Die Seekarte, die dem Schiff bloß zur Erschließung der Fischgründe diente, war so alt und rissig, dass das feuchte Unwetter sie mit sich nahm, der Himmel war dazu so verdeckt, dass das Navigieren nach Sternen unmöglich wurde. Dass der Kompass nach Osten zeigte, verriet Roxanne, welche Gefahren lauern könnten. Und doch behielt sie ihr Wissen für sich. Keine Frage von Vertrauen oder Kameradschaft. Eine Sache von Stolz und Verschwiegenheit, ob der eigenen Vergangenheit. Sie konnte noch immer nicht einschätzen, ob eine Priesterin sieben Jahre auf See eher verurteilen würde, als drei Jahre Gewerbsunzucht. Irgendwann würde sie es schon herausfinden. Aber nicht hier. Nicht jetzt. Und nicht freiwillig.