Getrennte Wege

[Lelwani]

Nachdem Thandorak geendet hat, sehen ein paar der fünf jungen Anwesenden ein wenig überrascht aus. "Gegen unsere eigenen Leute kämpfen?" fragt einer von ihnen, der nicht viel älter als Rorrth sein dürfte, "denkt ihr, die nehmen uns das ab?"
Einer der Hauptmänner jedoch grinst und erwidert: "Kha, warum nicht! Schließlich kann es ja sein, dass ein paar von uns durch die Gespräche mit den khorka abtrünnig geworden sein könnten! Also, ich habe bei den Worten von diesem skagha* Thorrk schon beinahe überlegen müssen, wem gegenüber ich loyal bin!" Ein anderer lacht bei diesen Worten dreckig. "Und ich wollte dir schon immer eins in die Fresse schlagen, Ashkar!"
Rorrth hingegen scheint zu überlegen. Schließlich meint er: "Das kann klappen, togharr. Einen Versuch ist es wert und auf jeden Fall klüger als ein direkter Angriff! Ich werde mich der Aufgabe als würdig erweisen!"

So beginnen die Arbeiten für den von Thandorak ausgeheckten Plan; einer von dessen Hauptmännern wird Freiwillige sammeln, die ihre Zelte dem Feuer opfern, das die Späher anlocken und sie auf die falsche Fährte bringen soll, so dass sie denken, es fände gerade ein heftiger Kampf unter Brüdern im Lager der Neruga statt. Rorrth schart ein paar der jungen Kämpfer um sich und sorgt für die Detailtreue im Plan: Er verteilt leere garchcht-Flaschen am Platz des Lagers, sodass es den Anschein haben könnte, das Gebräu hätte den Zorn der Neruga weiter angefacht, und er und die jungen Kämpfer beteiligen sich besonders lautstark an den Kämpfen. Irgendwann, als Rorrth gerade einen seiner alten Kampfgefährten in die Mangel nimmt, spürt er, dass sich eine Hand auf seine Schulter legt und jemand flüstert, gerade für die beiden hörbar: "Wir haben ein paar Oroka gesehen, die uns anscheinend beobachten! Sie haben sich gerade davongemacht. Werden sehen, ob ihre Kunde Wirkung zeigt!"
Rorrth nickt, dann hebt er die Faust und sein Kampfpartner kann sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen und ruft: "Na los, gib's mir, gnarrk**!"


Bald darauf sind die fünf jungen Neruga-Krieger bereit den zweiten Teil von Thandoraks Plan durchzuführen. Auch hier achtet besonders Rorrth auf Details: Er fügt sich mit seinem Jagdmesser einen Schnitt auf seinem Unterarm zu, und wo bei einem seiner Gefährten wenig Spuren eines Kampfes zu sehen sind, verteilt er das Blut strategisch auf dessen Haut. Schließlich tritt er mit seinen vier Kollegen vor Thandorak, einen Strick in der Hand; diesen übergibt er einem seiner Kameraden und meint: "Du hast geschickte Hände. Fessel ihn so, dass die Knoten fest sitzen, sich jedoch durch einen schnellen Ruck leicht wieder lösen lassen können." Der junge Orok tut, wie ihm geheißen, und bald ist die Gruppe der vorgeblichen Rebellen bereit dazu Thandorak dem Feind zu übergeben. Und bald, nachdem sie sich auf den Weg zur Festung begeben haben, stieben die vier Teile des Heeres wie nach einem heftigen Streit auseinander und in alle vier Windrichtungen.

Auf dem Weg geht die Gruppe über ein paar sanfte Hügelkuppen, bis sie schließlich in den Wald treten, der die Festung von Uuhla beherbergt. Die Schatten der Bäume verdecken die Sonne, die bereits den Zenit überschritten hat; und in der Ferne erblicken sie bald die hölzernen Palisaden, hinter denen sich ihr Gegner verbarrikadiert hat. Rorrth geht an der Spitze der Gruppe und hält das Seil, das Thandoraks Hände fesselt; zwei der jungen Kämpfer flankieren den Titanen links und rechts, die Äxte gezogen, und hinter ihm gehen die anderen zwei Neruga, ihre Waffen drohend auf den großen Orok gerichtet. Als sie sich der Festung weiter nähern, springen plötzlich zwei Oroka von zwei Bäumen und richten ihre Waffen auf die Gruppe; sie sind nur leicht bekleidet, tragen Lederwämse und Lendenschurze, und beider Haut ist mit Symbolen verziert, von denen auf den ersten Blick nicht klar ist, ob es sich um Tätowierungen oder um kunstvolle Bemalung handelt. Auch im Gesicht finden sich diese Zeichnungen. Ihre Haare tragen diese Oroka lang und zu kunstvollen Zöpfen geflochten; sie fletschen grimmig die Zähne und der Orok zu ihrer Linken knurrt: "Ihr seid umzingelt!"
Als sich der Trupp umblickt, können alle erkennen, dass dem tatsächlich so ist: Hinter und neben ihnen haben sich Oroka postiert, die ähnliche Haartracht und Kleidung tragen, und sie haben Pfeile in ihre Bögen gespannt, die sie auf die Gruppe richten. "Also, sprecht! Was wollt ihr? Und was ist mit dem hier?" Der Orok nickt abfällig zu Thandorak hinüber.

Rorrth zuckt zusammen. Er hat sich im Geiste auf seine bevorstehende Aufgabe vorbereitet, doch dass er so plötzlich geprüft werden würde, damit hat er nicht gerechnet. Einen Augenblick bleibt er still; und dieser Moment scheint sich wie eine Ewigkeit zu dehnen. Er spürt, wie die Anspannung in seinen jungen Kameraden wächst; doch er vermeint auch zu fühlen, dass sein togharr hinter ihm die Ruhe bewahrt. Dieser Gedanke gibt ihm Kraft, und er geht ein Wagnis ein: Er macht einen entschlossenen Schritt nach vorne, auf die beiden Oroka zu, die ihnen den Weg versperren und antwortet energisch: "Was? Das wisst ihr nicht? Pah! Das ist der große Thandorak! Das heißt, er war einmal groß, bis wir ihn gefangen nehmen konnten! Jetzt gebührt der Ruhm uns! Führt uns zu Uuhla, eurem Anführer! Wir haben ein Geschenk für ihn!" Die beiden Oroka vor ihm verengen ihre Augen; derjenige zu ihrer Rechten fletscht die Zähne, der linke meint jedoch: "Das soll also der große Thandorak sein? Der sich von fünf solchen Grünschnäbeln gefangen nehmen lässt? Wie habt ihr das denn angestellt?" Rorrth hofft, dass die beiden nicht bemerken, wie sich Schweißperlen auf seiner Stirn bilden. Doch schon bald kommt ihm der rettende Gedanke, und er hebt seine rechte Faust hoch, als würde er einen Krug zu seinem Munde führen und meint schließlich: "Ihr wisst ja, wie das ist, wenn man zu viel erwischt! Dann kann man seine eigenen Fähigkeiten nicht mehr so gut einschätzen!" Die beiden Oroka scheinen nicht zu sehr überzeugt; von hinten jedoch, von einem der anderen, die sie umkreisen, tönt ein heiseres Lachen. Dies scheint die beiden nun doch zu überzeugen und sie blecken grinsend die Zähne. "Dann folgt uns!"
Und so setzen die sechs Neruga unter dem wachsamen Auge der Oroka, die wohl zu den ghrooragga gehören, ihren Weg fort, auf die Festung zu.

Als sie näher treten, können die Neruga erkennen, dass es sich bei den Wachen, die sich auf der Palisade postiert haben, um Attrappen handelt, gut gemacht zwar, sodass man sie von einiger Distanz tatsächlich für orkische Krieger halten könnte; aber einem prüfenden Blick aus der Nähe halten sie nicht mehr stand. "Habt ihr nicht erwartet, was?" brummt einer ihrer Bewacher selbstgefällig, "die sehen so täuschend echt aus, ich bin sicher, darauf ist mindestens einer oder zwei von euren Spähern reingefallen!"
So unauffällig wie möglich richtet Rorrth seinen Blick auf seinen togharr. Nur ein Augenblick bleibt ihm, und er versucht eine einigermaßen entschuldigende Miene aufzusetzen, ehe er sich wieder umwendet und auf seine Aufgabe konzentriert. Er kann nur hoffen, dass Thandorak ihm die Bemerkung von vorhin nicht allzu übel nehmen wird. Der Orok vor ihnen brüllt etwas in einem fast unverständlichen orkischen Dialekt, und bald danach gehen die Türen auf; der Trupp tritt ein. Vor ihnen erblicken die Neruga einen breiten Innenhof, auf dem ein paar Zelte errichtet wurden und zwischen denen einige orkische Krieger ihren Verrichtungen nachgehen, manche jedoch innehalten, als das seltsame Gefolge an ihnen vorbeigeht. Das größte der Zelte befindet sich in der Mitte und dürfte etwa zehn bis zwölf Oroka die Möglichkeit bieten darin zu schlafen. Doch dafür scheint es nicht gemacht; nicht wie die anderen Zelte zieren es dieselben Muster und Linien, wie sie auf der Haut der ghrooragga abgebildet sind, die die Neruga bewachen. Sie scheinen mal Flammen, mal Tiere abzubilden und fließen kunstvoll ineinander. Unter dem wachsamen Auge des ghrooragga-Trupps werden die sechs in das Zelt gelassen.


Das Innere des Zeltes ist mit Fellen ausgelegt; die Neruga, die an dessen Längsseite eingetreten sind, erblicken vor sich einen einfachen, mit Leder bespannten Sitz, auf dem sich ein Orok niedergelassen hat. Dieser macht einen ziemlich stattlichen Eindruck; auch seine Haut ist, wie die der anderen, verziert, sein Haar bis auf einen langen schwarzen Zopf, der ihm bis zur Brust fällt, geschoren, und er beäugt die Eintretenden mit einer Miene, die mühsam unterdrückte Überraschung widerspiegelt. Rechts neben ihm sitzt auf einem ähnlichen Sitz ein ältlicher, weit weniger stattlicher Orok, dessen eingesunkene Brust von einem Schmuck aus Knochen und Federn behängt ist und dessen graubraunes Haupthaar zu einem kunstvollen Kranz geflochten ist, der seine Schläfen umrahmt. Neben beiden stehen weitere Sitze, die nun jedoch leer sind. Das Zelt wird von zwei armdicken, hölzernen Zeltstangen aufrecht gehalten; an die rechte wurde ein recht schmächtiger und nur mit dem Nötigsten bekleideter Orok gefesselt, der seinen Blick gesenkt hat und dessen helles, zu einem kurzen, dicken Zopf gebundenes Haar wohl nicht nur Rorrth bekannt vorkommen wird: Thaarmakk. Ihr Anblick könnte nicht nur den jungen Krieger einen Moment lang aus dem Konzept bringen.

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*skagha: orkisch "Sklave", eine schwere Beleidigung für einen freien Orok
**gnarrk: orkisch "Kleiner, Knirps" (normalerweise die Bezeichnung für einen Orok bis zum 6. Lebensjahr)