Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Der Weg zum Ritter der Herrin
#8
Entspannt hockte er in seiner schweren Rüstung vor der Statue Shilens. Die Augen mit einer schwarzen Binde umbunden, deren Stoff aus feinstem Rothehaar gesponnen worden war, ruhten seine Hände auf den Oberschenkelplatten. Tief und ruhig atmend versuchte er weiterhin seinen Geist zu entleeren. Selbst nach Monaten der Übung war es für ihn immer noch nicht einfach, seinen unruhigen, stets fragenden Verstand auszuschalten. Häufig geschah es, dass im letzten Moment vor dem Erreichen der inneren Stille ein Gedanke in seinem Kopf aufblitzte. So, wie jetzt auch. Warum waren an der Statue Shilens Ketten befestigt? Dienten sie nur dazu, die Statue zu halten, damit sie nicht umfallen würde? Oder steckte mehr dahinter, hatten sie eine symbolische Bedeutung?

Die meisten seines Volkes glaubten anscheinend daran, dass Shilen von Corax für immer in der Statue gebannt worden war, die in der Mitte von Alaks Heimatstadt stand. Doch die Angehörigen seines Hauses hielten an der Vorstellung fest, dass die Göttin eines Tages aus der Unterwelt emporsteigen wird. Wies der Schlangenunterleib der Statue nicht darauf hin? Und warum sonst gab es diesen Tempel? Warum diese Statue von Shilen, die sich so sehr von der in der Stadt unterschied, und deren Verehrung? Nein, hallte es entschieden durch seinen Kopf. Shilen wird sich aus ihrem Gefängnis befreien und hier an dieser Stelle wiedergeboren werden. Mächtiger als je zuvor wird sie über den Wind gebietend den anderen Göttern trotzen. Triumphierend wird sie sich über den Leichnamen ihrer Feinde erheben. In jeder ihrer sechs Hände das Herz eines ihrer Widersacher haltend ihre Rache für das begangene Unrecht einfordern. Denn welche Kraft konnte einem solchen Sturm standhalten? Das Feuer? Es würde einfach vergehen. Die Erde? Sogar Felsen könnten ihm über die Zeit nicht widerstehen. Und das Wasser? Selbst eine riesige Wellenwand würde er in alle Richtungen zerstreuen.

Kaum hörbar seufzte er leise auf und konzentrierte sich wieder auf seine Atmung. Doch die leicht berauschende Wirkung der vom Weihrauch süßlich und harzig duftenden Luft wollte sich nicht einstellen. Also waren die Ketten Sinnbilder für die Gefangenschaft Shilens, fragte er sich erneut. Leichter Ärger über sein eigenes Unvermögen keimte leise in ihm auf. Auch wenn es ihm immer besser gelang, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten und sie zu verbergen, schien er diese Art der Meditation noch nicht gemeistert zu haben. Die sie dann nach ihrem erfolgreichen Aufstieg zerbrechen wird, tauchte die nächste Frage auf. Leicht runzelte er die Stirn und brummte leise, doch deutlich vernehmbar auf. Oder haben die Priesterinnen sie angekettet, um ihr dann Einhalt gebieten zu können? Mit angehaltenem Atem schüttelt er kaum merklich seinen Kopf. Erschrocken ermahnte er sich selbst, dass sein Geist endlich Ruhe geben sollte, da der Gedanke zu ungeheuerlich war. Denn dann hätten die Priesterinnen Angst vor ihrer Göttin und würden meinen, sich oder ihr Volk vor ihr schützen zu müssen. Nein, das konnte nicht sein, durchfuhr es ihn. Zwar war Shilen eine launische Göttin, die ihre Schützlinge gerne in ihrem Glauben prüfte. Und ihrer Gunst konnte man sich nie sicher sein. Doch warum sollte sie ihre Kinder vernichten wollen, denen sie ihre zukünftige Wiederkehr zu verdanken hätte? Zumal sie auch nach ihrem Aufstieg auf ihr Volk angewiesen wäre, um sich ihrer Feinde und deren Anhänger erwehren zu können. Oder hatten nur die Tempeldienerinnen etwas getan, was Shilen erzürnen könnte? Etwa der Irrglaube der ewigen Gefangenschaft, in dem die Priesterinnen ihr Volk ließen?

Da durchzuckte es ihn wie ein Blitz und der Atem stockte ihm. Es war egal, was wie warum war. Denn das Ziel seines Seins stand hier vor ihm. Noch in Stein erstarrt. Der Rückkehr harrend. Shilen. Und er begriff. Nicht wie bisher nur vom Geist. Diesmal fühlte er die Erkenntnis. Das nur sein Streben nach der Befreiung und nach der Wiederkehr Shilens seinem Leben einen tiefen Sinn gab. Bei diesen Gedanken empfand er eine Ruhe in sich, wie er sie bis dahin noch nicht gekannt hatte. Warm spürte er im Bauch eine Kraft, noch glimmend und klein. Doch er ahnte, dass sie mit der Zeit wachsen würde, um ihn unaufhaltsam eines Tages ganz auszufüllen. Mein Leben gehört dir, betete er still. Und dankbar werde ich jede deiner Prüfungen auf dem Weg der Perfektion erdulden, um mich deiner als würdig zu erweisen. Ruhig und tief ging nun sein Atem, während sein Körper völlig entspannt war. Auf die Gunst seiner Göttin hoffend und vertrauend gab er sich der inneren bodenlosen Dunkelheit hin und versank in ihr.
Vel'uss zhaun alur taga lil Quarval-sharess?
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Der Weg zum Ritter der Herrin - von Dolorion - 18.09.2008, 11:07
[Kein Betreff] - von Schneewittchen - 24.09.2008, 10:09
[Kein Betreff] - von Xulpheia - 22.11.2008, 04:59
[Kein Betreff] - von Valerian - 18.07.2009, 14:13
[Kein Betreff] - von Finis - 18.07.2009, 14:18
Meditation und stilles Gebet - von Valerian - 18.07.2009, 14:21

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste