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Die Jagd nach dem Tod
#3
Er hatte sich bereits wieder erhoben und war der Spur etwas tiefer in das Unterholz gefolgt, das hier ineinander verschlungen, teils mit scharfen, giftigen Dornen bewehrt, das Voranschreiten nur in Umwegen möglich machte. Verzweifelt versuchte er nebenbei den gerade erst verlorenen Gedankenfetzen wiederaufzunehmen, an den er geraten war, als 'der Alte' ihm einen scheinbar versteckten weiteren Hinweis zu geben versucht hatte. Seine genauen Worte fielen ihm jedoch nicht wieder ein, um zu demselben Schluß wie schon zuvor zu kommen, der ihn allerdings in einer Ahnung der wahren zusätzlichen Bedeutung ebendieser Worte näherbringen sollte.
"Komm schon, denk' nach...", sich selbst zu drängen war weniger Ausdruck seiner so allmählich aufkommenden Nervosität als die Tatsache, daß er wieder leise, doch hörbar zu sich selbst zu sprechen begann, nun, da er wieder einmal Gefahr lief, die Konzentration zu verlieren. Und eine Jagd ohne Fokus war in etwa so sinnvoll wie ein sehnenloser Bogen.
'Den Spuren nicht blindlings folgen.'
"Ja, stets das Umfeld im Blick behalten, dies ist ein gefährlicher Ort.", warnte er sich selbst und schaute sich nochmals gewissenhaft um. Er hatte sie gehört, die Gerüchte um die alten Pflanzen, die ihre Opfer allmählich umwuchsen und sie schon vom Moment der ersten fatalen Verstrickung an zu verdauen begannen. So behäbig sie sich auch nur bewegen konnten, so unerbittlich war dafür doch ihr Zugriff, wenn er erst einmal gelang.
Der Einbruch der Nacht kündigte sich bereits an, obschon sich zunächst nur wenig an den diffusen Lichtverhältnissen hier änderte. Viele der in der noch schwülen Luft umherschwirrenden Sporen und Insekten sandten ein kaltes Licht aus, das sich nahezu gespenstisch in den überall gespannten giftig-feucht glitzernden Netzen brach und von schimmlig nassen Häuten oder Rinden zurückgeworfen wurde. Geisterhafte Laute kündeten vom fernen Wind, der hoch oben in den nicht mehr sichtbaren Wipfeln der Bäume tuschelte und hier unten nur mäßig für sowas wie Luftzufuhr sorgen konnte.
'Nicht allein von der Umgebung geht die Gefahr aus, denke an die Richtung der Spuren.'
Balosh stutzte kurz, Wieso fiel ihm genau jetzt die Äußerung mit der Richtung einer Spur ein? Schließlich war sie das offensichtlichste und ursprünglichste, wenn man sich auch nur irgendwie mit diesem Thema beschäftigen wollte. Stets war die Richtung fast schon der eigentliche Inhalt der Bestimmung, wenn man in solchen Hinterlassenschaften las: Man wollte wissen, woher etwas kam oder wohin es verschwunden war.
'Nun, 'der Alte' sagte aber, daß die Richtung mehr zur Folge hatte.'
"Ja,...", nickte er sich selber zu und flüsterte hauchend vor sich hin, beim weiteren Fortschreiten in seinen Worten nur durch stoßweisen Atem unterbrochen, als suchte er sich so selbst zu beruhigen, "die Richtung... zeigte vor allem auf,... wo sich die Beute... einst... befand... und wohin sie... verschwunden war...", er stutzte bei den letzten Worten wieder und verharrte diesmal in einer vorgebeugten Bewegung, in der er sich unter einer der gewaltigen Wurzeln hindurchzwängen wollte. "Aber ja... noch etwas hatte die Richtung einer Spur zur Folge...", plötzlich lief es im kalt den Rücken runter. Es war still geworden, wirklich still. Er sah an sich herunter, keinen Handbreit von seinem Fuß entfernt lag die Fährte deutlich sichtbar, geradezu zum Greifen nah. Und da stand er, direkt daneben. Eine Spur war zunächst nichts anderes, als ein Ort. Ein Ort der Vergangenheit, der Zeugnis ablegte. Dies aber nur jenem, der dieser Spur gefolgt war. Und so war es auch ein Ort der Zukunft, da die Richtung der Spur auch zeigte, welchen Weg ein Verfolger nehmen würde - er selbst...
Direkt neben den Pfotenabdrücken in der Spiegelung einer kleinen Pfütze, wie sie sich hier überall bildeten und nichts von ihrer eigentlichen Tiefe preisgaben, konnte er es sehen. Das fahlen Gegenlicht zeichnete nur schwach dessen Konturen ab, die dennoch charakteristisch und damit unverkennbar waren. Es rührte sich nicht und sah auf ihn herab. 'Der Alte' hatte ihn drauf gestoßen, ihm alle Informationen gegeben, damit er zu dem unweigerlichen Schluß kommen konnte. Doch er war zu überzeugt gewesen, zu sehr von seinen Fähigkeiten geblendet, als daß er zu der einfachen Erkenntnis gekommen war. So oder so würde also einer der bevorstehenden Tage die Antworten bringen. Der beißende Zynismus dieser Worte ließ ihn fast auflachen.
Unmerklich langsam begann er damit, den Kopf anzuheben, um es direkt ansehen zu können und auch, um jeden unnötigen Laut zu vermeiden, da er sich jetzt vor allem auf sein Gehör zu verlassen hatte. Das Rauschen in seinen Ohren spielte ihm Streiche, doch unbeirrbar regte er sich nicht bis auf den Versuch der Kopfbewegung. Das leise Grollen über ihn kam leise und stoßweise, wie eine unverhohlene Drohung und schwoll langsam zu einem scharfen Knurren an. Da stand es also, hoch oben auf der riesenhaften Wurzel eines Baumes, der sie beide noch überdauern würde und dabei dennoch längst nicht zu den ältesten gehören würde. Der Anblick war majestätisch und erfüllte Balosh wie so oft in ähnlichen Situationen mit der tiefempfundenen Demut der alten Zeit gegenüber, der dieses Wesen wie er selbst entstammte. Wie gebannt blickte er in die Tiefen der gelbleuchtenden Augen, die ihn ausdruckslos fixiert hielten. Keine Bewegung der Pupillen, nur der starre Blick umsäumt vom schimmernden Blau seines dichten Fells. Dieses Exemplar überragte ihn bei weitem, nicht allein aufgrund seiner überlegenen Position. Blaue Wölfe waren zu einer Seltenheit geworden, zu gierig hatten sich die jungen Völker ihrer Häute und Felle bemächtigt und durch die zwergischen Kunstfertigkeiten sogar gesteigerte Befindlichkeiten verspürt, die sie in ihren zahl- und grundlosen Kämpfen gegeneinander abwetzten. Man sagt einigen Meisterstücken sogar nach, daß sie besondere Eigenschaften hatten, was schließlich an die Grenze zur Ausrottung der Blauen geführt hatte. Sie werden dieser Tage kaum noch gesichtet und bald schon würden sie wohl endgültig gegangen sein, als wenige Zeugen einer Zeit, als die Götter selbst noch wandelten. Er zweifelte in diesem Moment an seinen Motiven. Konnte er über ein Wesen richten, das schon lange vor den ersten Siedlern dieser Lande hier seine Jagdgründe hatte und jetzt an der wiederholten Ausweidung ganzer Herden schuldig sein sollte, die ihn nach und nach zu verdrängen suchten? Sicher hatten die ursprünglichen Beweggründe in diesem Moment keine Bedeutung mehr, ging es doch mittlerweile um sein eigenes Leben. Aber trotzdem kam er nicht umhin, sich selbst in Frage zu stellen.
Der hier war in seiner Pracht zudem auch noch eine Ausnahme. Es wurde in der Vergangenheit schon so manches Mal von Wölfen berichtet, die ohne Rudel loszogen und auch sonst in Größe und Erscheinung nicht wirklich ihren Artgenossen entsprachen. Eine Zeit lang ging man von einer eigenen Art aus. Es jetzt seinem eigenen Glück anzurechnen, daß er es eben nicht mit einem ganzen Rudel zu tun zu haben, kam ihm allerdings recht fragwürdig vor. Zumal sich Blaue Wölfe auch nur in den ersten Lebensdekaden wirklich zusammenschlossen, was viele nicht einmal wußten. Nur wenige aber schafften es überhaupt, wirklich ausgewachsen zu sein.
Innerhalb von nur Sekundenbruchteilen schossen ihm all diese Gedanken durch den Kopf; es lag fast erst einen Atemzug zurück, da er die Gefahr erkannt hatte, in der er sich befand. Wie gehetzt überlegte sich Balosh, welche der mitgeführten Waffen für ihn am erreichbarsten waren und welche davon seinem Gegner überhaupt auch nur irgendwie gefährlich werden konnten. Das blau schimmernde Fell täuschte über die darunterliegende recht harte Haut weg und den sehr sehnigen Aufbau der Muskelstruktur, deren Verhärtungen kleinere Stichwaffen regelrecht zum Bersten bringen konnten, ohne überhaupt eine nennenswerte Verletzung zu verursachen. Einige besondere Stellen waren sogar haarlos und von kleineren Knochenplatten bedeckt, so daß Waffengewalt hier wenig Erfolg versprach. Nicht zu erwähnen, daß da noch die krallenbewehrten Pfoten und das äußerst gefährliche Gebiss waren.
'Die kleine handliche Lanze könnte es schaffen. Den Moment des Sprunges nutzen, um danach zu greifen. Etwas unterhalb des Halses ansetzen und die Vorwärtskraft des Angreifers wird sie tief in den Brustkorb treiben. Der kritische Punkt wird sein, die Spitze am Maul vorbei zu bekommen.
Die Schwierigkeit der Aufgabe bestand auch darin, sich rechtzeitig nach hinten fallen zu lassen und die kleine eigentlich eher zum Wurf konzipierte Kurzlanze auf einen diesernorts eher seltenen halbwegs festen Untergrund aufzusetzen, damit sie der Wucht des Aufpralls halbwegs standhielt und das Tier durch die Eigenkraft so würde ernsthaft verletzen können.
Er ertappte sich wieder einmal dabei, wie er sich vor dem zu fürchten begann, was unweigerlich danach kommen mußte.
'Das ist er also wieder... der Augenblick.', wieder einmal hatte er sich des Eindrucks nicht erwehren können, daß in genau solch stillen, fast anmutigen Momenten von irgendwo das Unaussprechliche zusah und nur danach geiferte, sein nächstes Opfer mit sich in das Nichts zu zerren. Unaufhörlich darauf drängend, daß es so jäh im Unklaren blieb, wer oder was von ihnen dieses nächste Opfer nun war. Längst war es ihm zu etwas Vertrautem geworden, denn zu lange schon begleitete ihn der Tod in all seinen grausamen Fratzen. Ja, er meinte ihn manchmal fast schon zu riechen. Und doch hatte es nie zu etwas selbstverständlichen werden können, denn nie wollte er sich daran gewöhnen, daß er selbst so oft nichts anderes als der Bote eben jenes Todes war, dessen sich nun mal jede Beute mit allen Mitteln zu widersetzen suchte.
Die rollenden Knurrlaute liefen nun scharf zischend in eine Art Fauchen aus, das immer schneller wurde und auch das Fell in Nacken hatte sich über die gesamte Länge den Rücken hinunter leicht aufgerichtet, selbst der stachelige Kamm auf Schulterhöhe war nun sichtbar aufgestellt. Der gewaltige Schädel zuckte herunter, die sich versenkenden Krallen zersplitterten die trockene Oberschicht der fast steinernen Borke und dann sprang der mächtige Wolf ab...
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Die Jagd nach dem Tod - von Balosh - 02.03.2012, 05:47
In Gedanken versunken... - von Balosh - 02.03.2012, 05:49
Erneuter Fokus - von Balosh - 02.03.2012, 05:50

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