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Anamnesis - Eine Reise
#1
Ich schwebe. Ich schwebe? Nein. Ich stehe still. Stillstand... und doch scheine ich mich fortzubewegen. Oder die Welt bewegt sich um mich. So schnell, dass es den Anschein hat, ich würde fliegen. Doch alles ist dunkel. Es ist kalt und der Blick verschleiert. Alleine an den Wellen, die das Sternenlicht reflektieren, kann ich meine Lage halbwegs ausmachen. Doch die Sterne scheinen unterhalb der Wellen zu liegen, hinter tiefen Gewässern. Einzig der Mond leuchtete mir in den Rücken. Ich kann ihn nicht sehen, doch ich weiss er ist da.

Hilflosigkeit breitet sich in meinem Magen aus, als ich feststelle, dass ich kopfüber über den Wellen hinwegzugleiten scheine. Selbst wenn ich diese Lage verändern wollte, so könnte ich es nicht, denn etwas beklemmendes scheint meine Glieder erfroren zu haben. Das dunkle Schimmern der Wellen wandelt sich rasch in ein glühendes Orange, als wenn die Sterne durch diesen tiefen Ozean hindurch tauchen würden, geradewegs auf mich zu. Sie wandeln sich in glühende Kohlen. Grelles Licht verdampft das nahezu undurchsichtige Wasser. Dichter Rauch steigt auf. Er nimmt mir die Sicht, doch nicht den Atem, bis selbst der Rauch in sattes Orange gehüllt wird, dass zu pulsieren scheint und meine gefrorenen Glieder nach und nach auftaut.

Die Sterne kommen immer näher. Ich spüre es. Eine starke Druckwelle, die den Rauch verscheucht, kündigt ihre Ankunft an. Ich kann sie ganz genau sehen. Kugeln aus Feuer, die sich zu einem einzigen gleissendem Inferno vereinen, dessen Flammen bereits anfangen nach mir zu greifen. Wohlige Wärme hüllt mich ein und ich kann die Umrisse von Gestalten erkennen, die auf mich zu gleiten. Deutlich kann ich die starken humanoiden Konturen von Oroka erkennen. Schattenhaft sind sie, doch eine Gestalt in ihrer Mitte scheint hervor zu tretten. Von allen die dort sind scheint sie die einzige zu sein, die auf mich zu geht und schon bald kann ich erkennen, dass es sich dabei um eine Frau handelt. Eine Frau in meinem Alter.

Shia!?! Sie lächelt mich sanft an. Nein, das war nicht Shia. Sie trägt die Haare anders, ist anders gekleidet und ihre Ausstrahlung hat etwas... reifes. Doch sie ähnelte meiner Zwillingsschwester auf verblüffende Weise. Die Gestalt bleibt kurz vor mir stehen und ihre Augen, die in einem satten Grün leuchten, fixieren mich. Dann spricht sie in einer vertrauten Stimme. Klar und deutlich schlagen die Silben und Töne Wurzeln in meinem Bewusstsein und formen ein einzelnes Wort:
"Vertraue"


Ich schnappe nach Luft, als ich von diesem Traum erwache. Hastig richte ich mich auf und blicke mich um, um mich zu versichern, dass ich immer noch an dem Ort war an dem ich zu sein hatte. Die Geräusche des konstanten Prasseln der Regenfälle hallen in die Höhle hinein, die ich für diese Nacht als mein Unterschlupf auserkoren hatte. Die eisige Kälte des nordischen Winters macht sich schlagartig bemerkbar, als ich feststelle, dass mein wärmendes Lagerfeuer unlängst niedergebrannt ist und selbst die letzte Restglut dem Dasein gewichen ist.
Trist und dicht bewölkt ist es. So dicht, dass man nicht genau sagen kann wie spät es ist. Doch es ist hell genug, um feststellen zu können, dass die Mittagsstunde längst geläutet hat.

"Verdammt." Ich verkneife mir das weitere Fluchen und beginne stattdessen meine Sachen zu packen, um schnellstmöglich aufzubrechen. Ausgerechnet heute musste ich den halben Tag verschlafen und meine Reise weiter in die Länge ziehen als notwendig. Resignierend schüttel ich meinen Kopf, ohne groß über den Traum nachzudenken. Dann knurrt mein Magen und erinnert mich auf unmissverständliche Weise daran, dass selbst die eifrigste Schamanin irgendwann Essen fassen muss.

- - - - -

Ich setze meinen ersten Schritt in eine Pfütze aus Schnee und Regenwasser, als ich die Taverne betrete. Den Mantel um mich geschlungen, die Kaputze tief ins Gesicht gezogen und meine Reisetasche in der Linken haltend stehe ich nun so im Eingangsbereich und lasse meinen Blick schweifen. Ich scheine gerade zur richtigen Zeit gekommen zu sein, denn die Taverne scheint überfüllt. Minenarbeiter der Zwerge, deren Rang man an ihrer Bartlänge ablesen kann. Holzfäller der Menschen, die das feindliche Klima hier gezeichnet und abgehärtet hatte. Und Krieger der Oroka, die seit Jahren hier stationiert waren. Alle halten sich dicht an dicht in den schwülen aber wärmenden Räumlichkeiten auf und frönen der warmen Mahlzeit. Kaum einer sitzt am selben Tisch wie die Angehörigen der andren Rasse. Notfalls zwängte man sich an den Tisch der eigenen, selbst wenn dort eigentlich kein Platz war. Vor allem die Orks scheinen die Nähe ihrer eigenen zu suchen, doch nicht, um sich abzukapseln, sondern um ausgelassen zu feiern, als seien sie die Herren dieses Hauses. Als ich endlich den Wirt ausmache, begebe ich mich zu ihm. Ein stämmiger Mensch mit dunklem lockigem Haar und tiefschwarzen Augen schenkt aus einem Eintopf aus. Ich kann nicht sagen, dass der Eintopf wirklich duftet. Zu dieser Jahreszeit war es üblich, dass man kein Gemüse in den Suppen fand, aber diese hier schien wenigstens herzhaft gewürzt und genügend Fleisch zu enthalten, um die fehlenden Inkredenzien zu entschädigen.

Ich schlage meine meine Kapuze zurück, ehe ich nach Teller und Besteck greife und dem Wirt dankend zunicke. Jetzt schon spüre ich wie sich die neugierigen Blicke in meinen Nacken bohren. Als ich mich umdrehe verstummt das Gegröle, das aus der Ecke der Orks kam.

Es ist immer das selbe. Ich habe mich bereits daran gewöhnt. Ein kurzer Blick in ihre Richtung bestätigt meine Erfahrungen. Die vielen leeren Flaschen auf der Runde zeugen von den Mengen Alkohol, die dort bereits konsumiert wurden. Lose Karten und Spielsteine schienen keinem wirklichen Besitzer zugeordnet, doch im Mittelpunkt des Geschehens war eine einzige Ork-Kriegerin unter etlichen männlichen Artgenossen, die es sich gerade auf dem Schoss eines der Krieger gemütlich gemacht hatte und es sichtlich Genoss die Aufmerksamkeit der andren zu haben. Bis vor kurzem zumindest.

Ich gehe in meine Routine über. Es fällt mir nicht schwer die gaffenden Blicke der Krieger zu ignorieren. Die unzüchtigen Rufe, die darauf folgen nehme ich nicht einmal wahr. Einige einladende Gesten folgen, doch nichts liegt mir ferner, als mich auf den Schoss einer dieser Krieger zu setzen, also gehe ich weiter, mein Desinteresse mit eiserner Miene bezeugend. Erleichterung breitet sich in mir aus, als ich einen Tisch finde, an dem nur eine einzige Person zu sitzen scheint. Ein Krieger wie die andren und doch ist er anders. Lustlos taucht er den hölzernen Löffel in seine Suppe und blickt mit müden Augen zu einem halben Dutzend Angebrochener Flaschen Gaarcht.

Ein Alkohliker. Ich seufze. Wenigstens war es bei dieser Sorte Verlorener wahrscheinlicher, dass sie nicht aufdringlich wurden und tatsächlich kann ich mich schweigend an seinen Tisch setzen ohne einen bissigen Kommentar zu ernten. Das einzige was sich aufdrängt ist der scharfe Geruch des Alkohols. Er blickt nicht einmal zu mir.

Die Rufe im Hintergrund lassen nicht nach. Einige enttäuschte Flüche erklingen und einer der feiernden Oroka erhebt sich sogar um zu mir herüber zu gehen. Auch das wird sich klären, in dieser Hinsicht bleibe ich zuversichtlich.

"'Jakar! So viel Schüchternheit steht einer Schönheit wie Dir nicht!", tönt der Krieger, als er an mich herangetreten ist.

Er konnte nicht erahnen. Ich ziehe schweigend meinen Mantel aus und in seinem Gesicht zuckt es, ehe seine Miene ernst wird. Deutlich kann er die Symbole auf meiner Robe erkennen. Reiche Verzierungen aus güldenen Fehden, die das Monsterauge bilden und kunstvoll übergehen in weitere Symbole, die von meinem Rang und meiner Rolle zeugen. Es spielt keine Rolle welches von den Zeichen am meisten Eindruck schindet. Irgendeines wird ihn schon dazu bewegen mich in Ruhe zu lassen.

Stille. Dann wendet sich der abgewiesene Charmeur um und trottet zu seinen Freunden herüber. Ich höre ihn noch grummeln "Eine Gandi...", ehe ich mein zufriedenes Lächeln nicht weiter verbergen kann und beginne den Eintopf zu kosten.

Der Mond... der weite Ozean... Sterne, so hell wie die Sonne...

Meine Gedanken beginnen um den Traum zu kreisen und die deutlich Symbole, die er mir lieferte. Den Geschmack der Suppe realisiere ich nicht wirklich. Ebenso wenig, bemerkte ich, dass sich eine weitere Person an den Tisch gesetzt hat.

"Es gehört sich nicht eine Frau so offensichtlich anzustarren."

Die Stimme gehört einem greisenhaften Oroka, mit schneeweissem Haar und freundlichen hellblauen Augen, die zu dem Verlorenem blicken. Ich folge dem Blick des Alten und kann gerade noch erkennen wie der Alkoholiker den seinen wieder senkt.

"Auf diese Weise wirst Du bei dem Fräulein keinen guten Eindruck hinterlassen."

"Wer sagt das ich das will?!", brummt es aus tiefer Kehle zurück. "Ausserdem ist sie Gandi. Ich habe kein Interesse!" Er deutet auf die Tätowierung an seinem linken Oberarm, die ihn als Stammesmitglied der Urutu auszeichnet.

Der Alte kichert. "Deine Augen sagen etwas andres!"

Der Verlorene funkelt den Alten wütend an. Ich schaue irritiert zwischen beiden hin und her ohne zu wissen, wie ich auf diese Situation reagieren soll. Immerhin unterhalten sie sich über mich, als sei ich gar nicht anwesend und doch vermag ich es weder Scham noch Wut über diese Tatsache zu empfinden. Jedoch Unbehagen. Unbehagen darüber auf solche Weise aus einem Gespräch ausgeschlossen zu sein. In mir steigt der Drang auf etwas zu sagen.

"Meine Mutter ist Urutu!"

Die beiden starren mich wortlos an. Habe ich etwas Falsches gesagt? Das Gefühl des Unbehagens vermehrt sich. Muss ich mich nun rechtfertigen?

"Mein Vater ist Gandi...", füge ich mit bestimmter Stimme hinzu.

Beide blicken weiterhin mit starrem Blick zu mir. Nahezu gleichzeitig senken wir den Blick und widmen uns wieder unsren Suppen. Von da an wird kein Wort mehr gesprochen.

- - - - -

Ich habe die Taverne weit hinter mir gelassen und beschlossen den direkten Weg durch die Wälder einzuschlagen. Ich hatte viele verschlafene Stunden einzuholen und ich denke einige davon habe ich nun wieder gut gemacht. Der Marsch durch den Wald war beschwerlich, doch nun bin ich nicht mehr unter einem derartigen Zeitdruck. Verschwitzt. Aber auch beruhigt.
Der Regen ist ein ständiger Begleiter. Gemeinsam mit dem stürmischen Wind scheint er sich einen Wettkampf zu leisten, wer von beiden lauter tönen kann. Ich vertrieb mir die Zeit damit den Regen und den Wind nach dem Kriterium zu bewerten. Einfach aus Spaß an der Sache oder um nicht weiter an den Traum denken zu müssen.
Regen und Wind sind etwa punktegleich, wenngleich ich dazu tendiere den Wind zum Sieger zu erklären. Die mächtigen Bäume knarzen bedrohlich unter seinem Einfluss und ein Ast am Boden bricht.

Moment mal... ein Ast der durch den Wind am Boden bricht?!

Mein Herzschlag beschleunigt sich und mein Puls dröhnt in Ohren und Schläfen. So schnell ich nur kann ziehe ich meinen Dolch und wirbel herum. Weitere Äste brechen, als würde etwas schweres zum Sprung ansetzen. Gerade noch rechtzeitig kann ich einer behaarten und Krallen besetzten Klaue ausweichen, doch noch bevor ich meinen Dolch drehen kann spüre ich einen dumpfen Schlag in die Magengegend. Den zweiten Hieb sah ich nicht kommen. Ich kann das fletschende Gebiss des Werwolfes gerade noch erkennen ehe eine Fontäne dunklen Blutes mir entgegen spritzt. Obwohl ich mir sicher bin, dass ich die Augen offen halte, beginnen sich schwarze Schleier vor ihnen zu bilden.

Das Pochen in meinem Ohr scheint sich zu verlangsamen. Die Geräuschkulisse beginnt sich zu dehnen, als versuche jemand mit Gewalt die Zeit zu verlangsamen. Mein Bewusstsein... schwindet.

To be continued
[Bild: siggi3.jpg]
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#2
Liest sich sehr sauber, schön geschrieben. Der Part in der Taverne gefällt mir am Besten *breit grinst*

Ich freue mich auf die Fortsetzung : )
[Bild: shealienng.jpg]
Liebe geht durch den Stahl
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#3
Vertraue. Ein steter Widerhall. Und ich falle durch Wolken aus Feuer.

Vertraue. Ich höre die Stimme nach wie vor durch mein Bewusstsein ziehen, obwohl die Quelle nun Meilen entfernt sein muss. Doch sie wird leiser.

...traue. Sie wird bruchstückhafter. Ein Fragment. Tausend Fragmente. Sie kreisen in meinem Bewusstsein und setzen sich neu zusammen.

...Trauer. Bin ich tot?!

Die Wolken aus Feuer lösen sich auf und wandeln sich in Rauch. Ich falle durch einen dichten Regen aus Asche. Die Schleier lichten sich. Ich stehe vor einem kleinen Tümpel, der den Schein des Vollmondes reflektiert.

Ich höre mich rufen.
"Was soll das alles? Was wollt Ihr mir sagen?"

Ich lausche. Keine Antwort. Nur das stete Tropfen, von einem nassen Felsen, welches sanfte Wellen in den Tümpel schlägt.

Ich gehe auf die nahezu spiegelglatte Oberfläche zu. Ich zögere. Ich war schon immer neugierig, doch was ich in diesem Augenblick empfinde ist stärker. Es zieht mich an. Ich empfinde keine Furcht. Großen Respekt, aber keine Furcht. Ich beuge mich über das Wasser, um auf den Grund zu schauen, doch sehe ich nur mein Spiegelbild. Gebannt schaut mich mein Spiegelbild an.

Ich zucke unwillkürlich zusammen, als Luftblasen aufsteigen. Das Wasser brodelt und eine mit Fangzähnen besetzte Fratze streckt sich mir entgegen.
Ich versuche ihr zu entfliehen, doch zu spät. Sie packt mich.


Ich wache auf. Hunderte Eindrücke meiner Umgebung drohen mich zu erschlagen und lösen eine penetrante Migräne aus. Mit dem nächsten Augenzwinkern realisiere ich den prasselnden Regen und einen unangenehmen muffigen Geruch. Ich werde getragen. Ein breitschultriger Oroka trägt mich auf seinem Rücken und er riecht nach Alkohol.

Es vergeht eine gedehnte Sekunde ehe ich wirklich realisiere. Wohin trägt er mich? Was erwartet er von mir? Bin ich ihm etwas schuldig? Panik überkommt mich und ich stemme mich gegen ihn, um mich abzustossen. Natürlich gelingt es.

"Au!"

Ich presse die Zähne aufeinander. Die Landung war unangenehm. Spitze, fingerknöchelgroße Steine drücken sich in meinen Hintern. Der hintere Teil meiner Robe saugt sich mit eiskaltem Wasser voll und der vordere Teil klebt durch getrocknetes Blut an meinem Körper. Ich keuche und der hünenhafte Verlorene dreht sich humpelnd zu mir um.

"Endlich wach?"

Sein rechtes Bein ist bandagiert. Ich gluckse amüsiert, als ich feststelle, dass es die Arbeit eines Laien war. Eine Schamanin hätte es richtig gemacht. Übelkeit steigt in mir auf. Ich habe das Gefühl ich müsste erbrechen. Mir wird schwindelig. Dann wird wieder alles schwarz.

- - - - -

Als ich wieder erwache regnet es nicht mehr und ich befinde mich wieder auf dem Rücken des Verlorenen. Sein Geruch ist nicht mehr so schlimm. Möglicherweise gewöhne ich mich daran. Ich blicke hoch und erkenne klaren Himmel. Von meiner Migräne keine Spur mehr. Dafür beglücken mich gehörige Rückenschmerzen.

Ich klopfe dem Hünen signalisierend auf die Schulter. Er versteht und setzt mich ab, ehe er sich zu mir umdreht. Ein spitzbübisches Schmunzeln liegt in seinem Bartstoppeln besetztem Gesicht.

"Heute mal auf die sanfte Weise absteigen, hmm?"

Sehr lustig. Doch es wäre nicht gerecht gewesen ihm mit vorwurfsvollem Ton zu entgegnen.

"Wie lang habe ich geschlafen?"

"Es war Abend, als Du das Bewusstsein verloren hast.", er deutet in den Himmel. Mittagsstunde. Ich fühle mich tatsächlich so, als hätte ich einen ganzen Tag nichts gegessen. Meine Hand gleitet über meinen Magen und ich schaue an mir herab.

"Ich jage uns etwas zu essen", meint er und wendet sich direkt ab.

Wieso ist er so zuvorkommend? Wieso nimmt er das alles auf sich?

Mein Magen knurrt.

"Ich bereite das Feuer vor..."

- - - - -

Es war nicht einfach brauchbares Feuerholz zu finden, doch nach etwa einer Stunde brannte das Feuer und das Wild schmorte bereits ordentlich. Der Verlorene und ich sprachen in der Zeit nicht miteinander. Jeder trug seinen Teil bei. Fast so als hätten wir das schon öfter gemeinsam gemacht. Endlich kehrt ein wenig Ruhe ein.

"Du hast mich die ganze Zeit getragen?"

Er schüttelt den Kopf. "Thok, ich habe zwei Mal mit Dir gerastet." Er deutet auf sein Rechtes Bein. "Es wird schneller müde."

"Nord-Osten... Woher wusstest Du, dass ich in die Richtung wollte? Was ist mit dem Werwolf? Wieso hast Du mich so lange verfolgt? Und wieso tust Du das alles für mich?"

Es sprudelt nur so aus mir heraus. All die Fragen, in der Hoffnung alles ergebe Sinn, wenn die Antworten kämen. Erwartungsvoll schaue ich zu ihm und seine blauen Augen fixieren mich nachdenklich.

"Du bist die ganze Zeit den kürzesten Weg nach Nord-Osten. Es war eine logische Schlussfolgerung, dass Du weiter dorthin wolltest, wenngleich mir der Grund noch verschlossen bleibt." Er seufzt. "Der Werwolf ist fort."

Dann zuckt er mit den Schultern. Es ist offenkundig, dass er auf die restlichen Fragen entweder selber keine Antwort weiss oder nicht darüber sprechen will. Ich bin nicht in der Position eine Antwort zu erzwingen. Ich verdanke ihm einfach zu viel. Mein Leben. Den zeitigen Fortlauf meiner Reise... Und was kann ich ihm dafür bieten?

Mein Blick fällt auf die Bandagierung an seinem rechten Oberschenkel. Ohne Worte stehe ich auf und setze mich neben ihn, seinen verdutzten Gesichtsausdruck ignorierend.

"Was soll das werden?!"

"Halt still, ich werde Dich verbinden, wie es sich gehört!"

"D-das war richtig verbunden!", rechtfertigt er sich. "Es ist nur durch die lange Wanderung... äh... aufgelockert!"

"Richtig verbunden wäre es nicht aufgelockert!", gebe ich in tadelndem Tonfall zurück, während ich die blutgetränkten Bandagen entferne und eine tiefe Stichwunde freilege.

Ich schlucke und mein Atem stockt. Hatte er nicht gegen einen Werwolf gekämpft, um mir das Leben zu retten?! Wieso hatte ihn also die klinge eines Dolches verletzt?

Er scheint mein Zögern zu bemerken. "So schlimm sieht es nun auch wieder nicht aus...", murrt er.

Ich schüttel hastig meinen Kopf und die sich überschlagenden Gedanken aus meinem Sinn. Er hat mich gerettet. Es stand mir nicht zu das in Frage zu stellen. Oder konnte es wirklich sein, dass er...?

"Thok, es wird ein leichtes sein, das zu behandeln. Du wirst heute noch unbeschwert gehen können."

Er lächelt zufrieden. "Ich wusste, dass Du das sagst!"

Ich schaue ihn fragend an.

"Na!", brummt er in seinem tiefen Bariton. "Denkst Du ich hätte Dich so weit geschleppt, wenn ich nicht wüsste, dass Du die Verletzung heilen könntest?!"

Ich senke meinen Blick, um mein Schmunzeln zu verbergen. Er brummt noch einmal zufrieden. Den Rest des Tages verbringe ich mit der Versorgung seiner Wunde. Das und noch viel mehr bin ich ihm schuldig. Gesprochen wird nicht. Tagelang nicht.

Der Verlorene begleitet mich auf meiner Reise. Ich habe unlängst aufgehört es in Frage zu stellen. Die eigenartigen Träume, die ich hatte haben sich nicht wiederholt. Ich frage mich wieso. Ich habe versucht sie durch Meditationen zu erzwingen, doch ohne Erfolg. Wir sind schon weit gekommen, doch das Ziel meiner Reise ist noch weit entfernt.

To be continued

OOT: Danke, Shealien =)
[Bild: siggi3.jpg]
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#4
((Finde den Schreibstil sehr angenehm, gut zu lesen, aber das war sowieso klar Tongue

Mehr davon! Los, los Wink ))
Oghtaqa, Varasha-thaq, Urutu-ekk
urgh-na paash Paagrio-thaq

Thaarmakk, Oghtaqa-thaq, ?-ekk

Rorrth, Gorgh-thaq, Neruga-ekk
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#5
OOT: Danke Lelwani.

Ich hatte wirklich Bedenken und Mühen bei diesem Schreibstil. Aus der Ich-Perspektive im Präsens zu schreiben ist gänzliches Neuland für mich und dazu kommt, dass es teilweise wirklich nicht leicht zu lesen ist.

Gerade bei dem zweiten Teil kann ich mir gut vorstellen, dass es Mühe bereitet es zu lesen. Durch die Traumwelt und die Ohnmacht folgen viele Impressionen, die nahezu erschlagend wirken und nicht immer leicht zu deuten sind. Sowohl für die Protagonistin als auch für die Leser. Ich hoffe man kann sich dadurch gut in Lia's Lage versetzen und habe nicht all zu viele Leser vergrault. *gg*

Ich gelobige auch Besserung, für die folgenden Teile. Versprochen! Wenngleich die Ich-Perspektive natürlich erhalten bleibt. *Selber gespannt ist*
Für die Zukunft heisst es: Nicht ganz so viele Impressionen und eine größerere Menge tatsächliche Handlung =)

Heute hat die Zeit leider nicht gereicht einen weiteren Teil zu schreiben. Aber die Zeit die ich hatte, habe ich genutzt um ein kleines Bild zu überarbeiten, das ursprünglich als Signatur gedacht war (deswegen die Größe):

[Bild: liasig1.jpg]

"Sucherin der Wahrheit" hätte ich schöner gefunden, vor allem im Kontext mit dem Thema "Anamnesis". Allerdings fiel mir ein, dass es ja bereits einen gleichnamigen Clan gibt, was natürlich für Irritationen gesorgt hätte *gg*

Der Gamma-Wert darf nicht zu Groß sein, sonst wirkt es zu überbelichtet.

Hoffe es gefällt.


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Edit:Nachtrag:
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Der vierte Tag meiner Reise. Das Klima hatte sich weitestgehend geändert. Vom Schnee ist kaum eine Spur mehr zu sehen und die Bäume werden von Schritt zu Schritt belaubter. Der Verlorene ist nach wie vor an meiner Seite. Schweigsam wie gewohnt, doch das macht mir nichts aus. Es lässt Raum für eigene Gedanken. Meinem Urteilsvermögen nach sind wir meinem Zielort bereits sehr nahe gekommen.

"Wir werden beobachtet." Der Verlorene deutet mit einem kaum merklichen Kopfnicken in das entfernte Gestrüpp zu seiner Linken.

Gerade noch kann ich eine Gestalt erkennen, ehe sich der nächste Baumstamm in mein Sichtfeld drängt. Erleichterung überkommt mich.

"Das ist ein Grubentroll.", gebe ich erklärend zurück. "Derer soll es hier eine ganze Menge geben, doch sie sind harmlos. Lass Dich von ihrem beachtlichen Gebiss nicht abschrecken. Sie sind kleiner als es den Anschein hat und ernähren sich von Ratten und andrem Kleinvieh."

Er schaut mich fragend an. "Dafür, dass Du das erste Mal hier bist weisst Du erstaunlich gut bescheid."

"Ich habe es nachgelesen. In einem Tagebuch."

"Und in diesem Tagebuch steht auch, wohin die Reise geht?", mutmaßt er.

Ich nicke. "Ein sonnenbeschienenes idyllisches Menschendorf zwischen den Bergen."

Er schaut mich ungläubig an. "All die Mühe, für einen Besuch in einem Menschendorf?!"

Ich grinse in mich hinein. "So schaut es aus."

Ich ernte ein missbilligendes Grummeln auf diese Antwort, doch folgen keine weiteren Fragen. Das Tagebuch, das ich gefunden hatte war das eines einfachen Reisenden. Ein Mensch, mit einer übertriebenen Liebe für jedes Detail. Ich hätte das Buch nie gelesen, hätte das lederne Einband nicht meine Aufmerksamkeit gefangen. Ein altertümliches Orksymbol zierte die Deckseite. Es war das Monsterauge der Gandi, nur mit einem entscheidenden Unterschied: Die Pupille bildete ein Dreiecksmuster.

Der Mensch erwähnt in seinen Aufzeichnungen immerzu das Auge und beschreibt ebenso das Muster der Pupille. Er schien zwar keine Ahnung davon zu haben, worum es sich dabei handelte, dennoch konnte es sich also um kein Versehen handeln. Es muss so sein: Irgendwo hier war die Präsenz eines Zweiges der Gandi sehr ausgeprägt. Eines Zweiges der Gandi, der eigentlich nicht existieren dürfte.

Der Verlorene muss es nicht wissen. Zum einen habe ich noch keine eindeutigen Belege für meine These, zum anderen hat er so oder so seine Gründe mir zu folgen. Welche auch immer es waren...

- - - - -

Das erste Zeichen für zivilisiertes Leben: Ein Trampelpfad. Aus dem Trampelpfad wurde ein gut begehbarer Fussweg und der führte uns geradewegs zu einem kriegerisch anmutendem Fort.

Wir stehen vor tiefen ausgehobenen Gräben, die mit Pfählen gespickt sind. Dahinter hölzerne Palisaden, so hoch, dass selbst der Verlorene nicht darüber hinweg schauen kann. Vor uns eine hochgezogene Zugbrücke.

"Hallo?!", rufe ich die befestigte Anlage hinauf.

Pulsschläge vergehen, dann hört man einige Schritte, als würde jemand Holzstufen hinaufeilen. Ein dunkelhaariger Menschling mit gelocktem Bart schaut mit verdutzter Miene zu uns hinab.

"Was wollt Ihr hier!?", krächzt er in forderndem Tonfall.

Einen Moment lang weiss ich nicht, ob ich lachen oder losbrüllen soll. Mir bietet sich für einen Oroka absurdes Bild dar und die Miene des Verlorenen verrät mir, dass in ihm ähnliche Gedanken Einzug halten. Ich verkneife mir eine bissige Antwort. Letztlich will ich nur nach dem Weg fragen und keinen Kleinkrieg vom Zaun brechen.

"Ich... ich meine wir... suchen ein Dorf, dass zwischen den Gebirgen gelegen ist. Es dürfte nicht weit von hier entfernt sein."

"Das nächste Dorf ist einen Sechs-Tage-Marsch von hier entfernt.", entgegnet er mit seiner unangenehmen Stimme und zeigt in die Richtung, aus der wir gekommen sind.

Der Verlorene beugt sich zu mir herunter und flüstert mir zu: "Er meint sicherlich vier Tage."

Ich grinse. "Für einen Menschen sechs Tage.", dann wende ich mich wieder mit ernster Miene dem Torhüter zu. "Wir kommen von dort. Das Dorf das wir suchen muss hier sein."

Der Mann mit der unangenehmen Stimme schweigt. Offenkundig kann er mir nicht ganz folgen. Bei Paagrio, dieses Volk scheint wahrlich nicht das klügste zu sein! Ich verdrehe die Augen und krame entnervt in meiner Tasche, ehe ich das Tagebuch des Menschen zu greifen bekomme und es energisch hoch halte.

"Es steht in diesem Tagebuch, ganz genau beschrieben!Soll ich es laut vorlesen oder reicht es, wenn ich es Euch mit Euren eigenen Holzpfählen in Eure Spatzenhirne schlage!?"

Der Torwächter starrt mich aus weit aufgerissenen Augen an. Ist ist klar, dass er mit so einer barschen Antwort nicht gerechnet hat und im gleichen Moment bereue ich meine Ungeduld. Beleidigt steigt der Mann von den Stufen und verschwindet hinter der Palisade.

Ich seufze schwermütig und wende mich ab. "Lass uns gehen. Es ist zwecklos..."

Der verlorene hebt eine Hand. "Warte."

Und tatsächlich erklingt im nächsten Augenblick das Gerassel von schweren Ketten. Ich wende mich um und sehe wie die Zugbrücke heruntergelassen wird.

- - - - -

Die Palisaden zäunen ein weitläufiges Gebiet ein, in dem dutzende hölzerner, sehr stabil wirkender Bauten stehen. Sie sind alle fenster- und schmucklos und dienen scheinbar nur einem Zweck. Sie sollen Zuflucht bieten.

Man hat uns zur frühen Abendstunde in das größte der Gebäude zum gemeinsamen Essen eingeladen. Die Leute wirken alle sehr freundlich, bis auf den Griesgram mit der unangenehmen Stimme, der uns seit unsrer Ankunft oder besser gesagt seit meinem Wutausbruch nicht mehr aus den Augen lässt. Und trotz aller Freundlichkeit wirkt die allgemeine Stimmung doch eher beklemmend.

Nun sitzen wir an einer runden Tafel. Der Griesgram, ein alter grauhaariger Greis, ein stämmiger dunkelhäutiger Mensch mit kurzem Stoppelhaar und ein älterer Rothaariger, der mit dem Griesgram verwandt schien, blicken erwartungsvoll auf den Verlorenen, mich und das Tagebuch, welches auf der Tafelmitte lag. Eine junge Frau mit langem blondem Haar bewirtet uns und scheint vor allem Interesse an meinem Begleiter zu Haben. Dieser hat zu meiner Überraschung den Alkohol abgelehnt und stattdessen einen Krug Wasser erbeten.

Der Rothaarige, der das Sagen zu haben scheint ergreift das Wort, nachdem jeder aufgegessen hat und die Getränke nachgegossen wurden: "Ich kenne den Verfasser dieses Tagebuches. Ich traf ihn damals als Jugendlicher in diesem Dorf, dass darin genannt wird, ebenso wie die alle andren, die hier außer Euch an der Tafel versammelt sind."

Seine Miene wird nachdenklich, fast so, als schwelge er tief in Erinnerungen. "Dieses Dorf existiert bereits seit Jahren nicht mehr. Die Idylle, die in dem Buch beschrieben wird ist unlängst trister Fassade und dem bitteren Beigeschmack des Krieges gewichen..."

Ich schaue ihn ungläubig an. "Mit wem solltet Ihr im Krieg sein, wenn weit und breit kein andres Dorf steht?"

Der Greis, der der Älteste des Forts zu sein scheint, ergreift das Wort: "Mit den Bergen."

Zeitgleiches Nicken geht durch die Runde der Menschen. Der Verlorene zeigt keine Regung. Einzig und allein ich scheine diejenige zu sein, die von allen nicht zu verstehen scheint was gemeint ist.

"Im Krieg mit den Bergen...", wiederhole ich ungläubig.

Der Greis nickt bekräftigend. "Tagsüber vertreibt die Sonne alle Schatten aus diesem Tal, doch in der Nacht öffnen sich die Berge und lassen das Grauen frei. Das friedliche Leben hier nahm vor Jahren ein jähes Ende, als sich die Götter gegen uns wandten. Seither Leben wir hier in Terror."

"Wieso seid ihr dann nicht von hier weggezogen?", wirft der Verlorene ein.

Der dunkelhäutige mit den Stoppelhaaren, der vom Krieg und Kämpfen am meisten zu verstehen scheint antwortet: "Weil der nächste Ort Tage entfernt ist. Wir würden beim ersten Nachteinbruch hilflos sein."

"Also wir kamen ohne große Probleme durch..."

Verschwörerische Blicke gehen durch die Runde, doch dann ergreift der Greis wieder das Wort: "Der Fluch lastet auf uns und schickt in jeder Nacht Kreaturen der Hölle nach uns. Sie mögen nicht einmal einen Schritt groß sein, doch sie haben mächtige Kiefer, mit denen sie einen Bullen reissen können, und Pranken, mit denen sie Knochen brechen, wie Streichhölzer!"

"In etwa so?!", mein Begleiter hebt seinen Krug an, so dass alle ihn sehen können. Der massive hölzerne Trinkbehälter knarzt beschwerend unter dem Druck des Griffes und zersplittert kurz darauf, den flüssigen Inhalt auf der Tafel verteilend. Der Verlorene grinst schelmisch in die Runde. Es wird klar, dass er sich von den Erzählungen des Alten nicht sonderlich beeindruckt gibt. Ich selber halte von den theatralisch dargebotenen Schauergeschichten ähnlich wenig. Doch diese Menschen haben ihre Gründe. Und eines steht fest:

Heute Nacht werden wir Zeugen dessen, was diese Menschen so sehr fürchten.

To be continued
[Bild: siggi3.jpg]
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#6
*gespannt weiterverfolgt*
Pierotess
zweite Tochter des Hauses Elc
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#7
Boah 8o , das Du Dir den Präsenz antust, finde ich sehr sportlich. Bei mir wäre spätestens nach dem vierten Verb Schluss mit Gegenwartlustig.

Verrate ich zuviel, wenn ich spekuliere, dass der Verlorene und diese Werwolfskreatur irgendwelche „Gemeinsamkeiten“ haben? Wink
*schaut ungeduldig nach oben, wann die nacht hereinbricht*

Aso… noch n konstruktives Kritikpünktchen bzw. eine Bitte:
Ich würde auf die dunkelblaue Dialogschrift verzichten. Auf TFT-Panels liest sich das super, aber auf dem good old Röhri muss ich den Text markieren, um ihn invers lesen zu können. Smile
---------------------
Getötet im RP:
Aadieson - † 21.04.2007

Auf Eis:
Abgondrafn Syonisthil
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#8
Noch am gleichen Abend fand viel Bewegung im Fort statt. Hunderte Frauen, Kinder, Schwache und Landvieh wurden eingelassen und den fensterlosen Gebäuden zugewiesen. Mir wurde erklärt, dass es auf der uns abgewandten Ostseite doch noch etwas wie ein Dorf gibt, in dem das Alltagsleben am Tage stattfindet.

Diese Menschen gehen mit bemerkenswerter Fassung und Routine vor. Ich suche die Angst in ihren Augen, doch ich finde keine. Eigentlich sollte es mich nicht verwundern. Diese Menschen kämpfen schon seit Jahren. Für sie ist es genau so zum Alltag geworden wie das Melken der Kuh.

Mir wurde das Westtor zugewiesen. Der rothaarige Führer bat meinen Begleiter mit ihm zum Osttor zu kommen. Es war eine freundliche Bitte, doch in Wirklichkeit nur eine reine Sicherheitsmaßnahme. Sie wollten sicher gehen, dass Der Verlorene und ich nicht Seite an Seite waren, wenn die Hölle los brach. Ich kann es ihnen nicht verübeln. An ihrer Stelle hätte ich uns auch nicht getraut.

Die Männer haben sich mit Speeren und Schwertern ausgestattet und auf den Palisadenwällen verteilt. Es verwunderte mich zuerst keine Frauen unter den Kriegern zu sehen, doch dann fiel mir ein, dass Menschen eine eigenartige Form des Stolzes besaßen und eine noch eigenartigere Form der Geschlechtertrennung. Kein Wunder, dass ihre Kriegsaufgebote stets ineffizient waren. Sie brachten ihre Frauen und Kinder nie mit in den Krieg, weil sie von vorne rein damit rechneten verlieren zu können und so erhofften den Erhalt ihrer Rasse zu garantieren. Menschen unter sich mochten auf solche Formen Rücksicht nehmen. In den Augen eines Oroka war es nur naiv und dumm. Hier nahm es gar ein hohes Maß an Absurdität an. Der Feind waren Ungeheuer. Würde die Verteidigung fallen würden auch die andren sterben. Dieses Fort wäre eine eigens gewählte Todesfalle.

Ich blicke mich zu beiden Seiten um. Das Vertrauen der Menschen scheint wirklich gering. Zu meiner Rechten steht der Griesgram. Er blickt nach vorne, doch ich bin mir sicher, dass er öfter prüfend zu mir blickt, wenn ich gerade in Gedanken bin. Zu meiner Linken steht der dunkelhäutige Krieger mit den Stoppelhaaren und verteilt weitere Anweisungen.

Ich verschränke die Arme und blicke nach vorne auf die weite Ebene und die Wälder am Fusse der Berge. Von den Angreifern keine Spur.

"Hier." Der dunkelhäutige ist an mich heran getreten und hält mir einen der Speere entgegen. Ich mustere ihn abfällig mit fragendem Blick. "Wir sitzen im gleichen Boot. Auch Ihr solltet mit uns kämpfen.", erklärt er mit ernster Stimme.

"Dieser Kampf ist der Eure und nicht der meinige!", entgegne ich kühl.

"Also werdet Ihr nur zusehen?!", fragt er ungläubig.

Ich nicke.

Kopfschüttelnd wendet er sich ab und geht auf seine Position. Die Menschen stehen jeweils fünf Schritt voneinander entfernt auf den Palisaden. Vereinzelte Speerträger haben sich in den Gassen dahinter positioniert. Scheinbar rechnen sie damit, dass einige der Angreifer es bis über die Palisaden schaffen könnten.

Die Silhouetten der Berge sind unlängst in schwaches Sonnenlicht getaucht. Die letzten Strahlen brechen sich an ihren Umrissen und ein Teppich aus Schatten schiebt sich rasant über die grasbedeckte Ebene.

Die Nacht bricht an.

- - - - -

Der zunehmende Mond liegt irgendwo hinter dichten Wolken, die nur selten einen Lichtschein hindurch lassen. Die Ebene ist in gänzliches Schwarz getaucht. Man kann anhand des Windes nur erahnen, dass die Grashalme sich wie Wellen des Meeres zu einem lautlosen Takt wiegen. Ab und an sehe ich schattenhafte Gestalten über die Felder huschen. Nur Einbildung. Meine Anspannung spielt mir einen Streich.

Ein unterdrücktes hyänenhaftes Kichern erklingt.

"Sie sind da.", krächzt eine unangenehme Stimme zu meiner Rechten.

Wo? Ich sehe nichts. Ich lausche, doch höre ich nur das stete Blasen des Windes.

"Macht Euch bereit, es geht gleich los!"

Ich spähe angestrengt am Schein der brennenden Fackeln hinaus, um etwas zu erkennen. Neugierig erlaube ich mir an die Palisaden heran zu treten. Dann brechen die Wolken auseinander und tausende in unsre Richtung starrende Augenpaare reflektieren den weissen Mondschein. Es scheint fast so als sei die ganze Ebene voll von Haarigen Kreaturen, die ungeduldig um uns lauern.

Wenn es um das gesamte Fort so ausschaut, dann müssen es an die zwölftausend sein.

"Wieso habt ihr keine Bogenschützen?", ich blicke fragend zu meiner Linken.

"Wir haben es aufgegeben ihre Zahl klein halten zu wollen. Die Menge spielt keine Rolle, so lange es nicht einmal jeder Fünfte von Ihnen über die Palisaden schafft. Ausserdem können sie nicht alle auf einmal kommen. Die letzten Reihen der Ungeheuer kommen gar nicht zum Zug, bis die Sonne auf geht."

"Ist das so?", ich wende meinen Blick wieder nach vorne und im nächsten Augenblick bricht die Horde in hyänenhaftes Gegacker aus. Die felligen Kreaturen mit den großen Gebissen setzen sich in Bewegung.

"Haltet die Speere bereit!", der Ruf wird entlang der Befestigung weitergetragen.

Die Kreaturen scheinen unheimlich agil. Kampfeswut und eine unstillbare Gier blitzen in Ihren weit aufgerissenen Augen auf und die wagemutigsten springen bereits über die speerbesetzten Gruben, um sich mit ihren langen Krallen in die hölzernen Stämme der Palisaden zu graben. Ein wildes Gedrängel herrscht und einzelne Angreifer werden von nachdrängenden Artgenossen in die Gruben gestoßen. Schmerzensschreie erklingen. Das Chaos bricht aus, doch nimmt es dem Angriff nichts von seiner beeindruckenden Ausstrahlung.

Die Ungeheuer, die es schafften an die Palisaden heran zu hechten und nun schneller als erwartet herauf klettern, werden bereits von den spitzen Speeren der Verteidiger erwartet. Es war nicht einmal notwendig den kletternden Fellknäueln einen tödlichen Stoß zu verpassen. Es reichte vollkommen aus, dass sie verwundet herab fielen und bestenfalls noch einige ihrer Artgenossen im Fall mit sich nahmen.

Und obwohl alles für die Menschen so glatt verläuft vermisse ich die Zuversicht in ihren Blicken. Statt dessen sehe ich müde Augen. Ausgelaugte Mienen, die einer blutigen Routine folgen, die sie sich nicht ausgesucht haben. Augen in denen keine Hoffnung liegt, diesen ewigen Kampf je enden zu lassen.

Und tatsächlich Dauert der Kampf Stunden an. Verteidiger stoßen mit ihren Speeren herab, als wären sie Bauern, die die Erde umpflügen. Hieb um Hieb, eine halbe Ewigkeit lang, bis sie abgelöst werden, um sich weiter hinten zu postieren.

Blut spritzt. Todesschreie erklingen. Doch es bietet sich mir ein verzerrtes Bild des Krieges. Keine Leidenschaft brennt in denen, die mit jedem Hieb ein Leben nach dem anderen auslöschen. Kein Kerbholz kann diese Zahlen fassen und doch vermögen die Herzen dieser Menschen mit keinem Stolz gefüllt zu werden.

Ich beobachte und denke. Stunden.

- - - - -

Vier Stunden müssen vergangen sein. Die Nächte zu dieser Jahreszeit hier im Norden sind kurz. Doch nicht für diese Menschen. Es erscheint mir wie eine Ewigkeit und kein Ende in Sicht. Der Sturm der Ungeheuer hält an, mit ungemindertem Nachdruck.

Ohne Reue oder Trauer um ihre Kameraden steigen sie über ihre Kadaver. Goldene Gier liegt in ihren Augen und doch haben sich die Kräfte verlagert.

Es liegt nicht daran, dass die Menschen müder geworden sind. Es ist die bloße Tatsache, dass keine ausgehobenen Gräben mehr existierten. Sie waren bis zum Anschlag und noch weiter mit Kadavern der Ungeheuer gefüllt. Sie bauten sich ihre eigene Rampe aus Leichen ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein.

Der Dunkelhäutige hatte sich geirrt. Die Anzahl spielt doch eine Rolle. Gleichzeitig bin ich mir aber sicher, dass er nicht damit gerechnet hatte. Verzweiflung liegt in seinem Blick, während er versucht die Angreifer mit dem Speer abzuwehren, die immer mehr Halt unter den Füssen haben. Einige klettern bereits über die angespitzten Pfähle.

Rechts von mir erklingt ein lauter Fluch. Griesgram hat sich den Speer aus den Händen reissen lassen und zieht hektisch sein Schwert. Zu beiden Seiten hieven sich die kleinen behaarten Ungeheuer hoch und ich bin nicht länger nur Zuschauerin.

Ich löse die Schnalle an meinem Waffengurt und mache meinen Dolch griffbereit. Ächzend und sabbernd drehen sich die ersten Kreaturen zu mir. Ihre Augen weiten sich und starren mich noch größer an als zuvor. Einer der Angreifer weicht gar in Furcht vor mir zurück und überschlägt sich rückwärts, ehe er die tote Rampe herunterpurzelt. Die andren erstarren.

Was hat das zu bedeuten? Wieso greifen sie mich nicht an?

Ich blicke angestrengt zu ihnen. Mache gar einen Schritt auf sie zu. Sie weichen zurück. Zwei weitere fallen rückwärts die Rampe herab und reissen einige ihrer Artgenossen mit sich.

Das kann nicht sein!

Ich blicke mich zu allen Seiten um, um mich zu vergewissern, dass dies keine Einbildung ist. Zu meiner Linken droht der Dunkelhäutige überwältigt zu werden. Mit Mühe erwehrt er sich den langen Krallen der Kreaturen. Hinter mir eilen die Speerträger der hinteren Reihen herbei, um ihre Kameraden zu unterstützen. Zu meiner Rechten wirbelt Griesgram mit dem Schwert um sich und schlitzt gleich zwei der Kreaturen auf, ehe er ungläubig zu mir starrt und das eigenartige Schauspiel wahr nimmt.

Ich muss etwas tun! Wie sieht es aus, wenn ich jetzt nichts tue? Sie werden denken ich sei mit diesen Kreaturen im Bunde!

Hastig ziehe ich meinen Dolch. Ein Kampfesschrei untermalt meine Wut, die schlagartig durch meine Adern schiesst. Ich lande einen tödlichen Hieb nach dem andren. Die Kreaturen wehren sich nicht einmal.
Ich ziele nach ihren Hälsen, ihrem Nacken, schlitze ihnen die Bäuche auf und zertrümmere ihre Schädel. Ich bade mich regelrecht in ihrem Blut und dennoch wehren sie sich weiter nicht.

Wehrt Euch verdammt!

Ich werde nur noch wütender. Rasend. Ein Werkzeug des Todes.

Die Speerträger hinter mir wagen es nicht näher zu treten. Es ist nicht einmal mehr notwendig. In meiner blinden Wut habe ich bereits die Gegner von Griesgram und Dunkelhaut eliminiert. Ich leiste die Arbeit von Dreien und vermag es nicht mich zu stoppen.

Ein Signalhorn erklingt. Ich nehme es nicht einmal wahr.

"Die Nordseite bricht ein!", ein letztes Mal blickt Dunkelhaut zu mir. Auch das merke ich nicht. Dann winkt er die Nachhut zu sich und hastet mit ihnen zum Nordwall.

Wehrt Euch! Panik paart sich mit meiner Wut.

Wehrt Euch! Meine Hiebe vermögen es nicht sie dazu zu bewegen.

Wehrt Euch! Ich verliere das Gefühl für die Zeit.

Irgendwann lassen die Wellen nach. Die Kreaturen fliehen. Es sind immer noch tausende, doch sie fürchten den Tag. Erschöpft sinke ich zu Boden.

"Wieso wehrt Ihr Euch nicht?", wispere ich verzweifelt.

Stille kehrt ein. Dann geht die Sonne auf.

To be continued

OOT: Danke Aadieson.

Werd die Farbe des Verlorenen ein wenig aufhellen. Hatte sowohl an meinem TFT, als auch an meinem Röhrie keine Probleme, deswegen dachte ich es wäre ok. Umso mehr danke ich für den Hinweis! Wink

Es ist gut Möglich, dass der Verlorene "Gemeinsamkeiten" mit der Wolfskreatur hat. Natürlich würde ich es an dieser Stelle nie verraten! *gg*

Aber es wird noch in dem gleichen Kapitel "Eine Reise" aufgedeckt werden.
Insgesamt sind Acht Teile geplant, bis das Kapitel sein Ende findet.

Freue mich, dass die Geschichte ein wenig Interesse weckt =)
[Bild: siggi3.jpg]
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#9
ein "wenig" interesse ist gut^^
sag mal machst du sowas beruflich? wenn nicht...könntest du aber
die geschichte ist irre spannend...und ich will wissen wies weitergeht *lechz*
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#10
8o 8o
*will hastig umblättern um weiterlesen zu können...doch dort finden sich nur leere Seiten* ;(

Grossartige Gerschichte und seeehr spannend! *deutet auf die leeren Seiten*
Füllen!!! Big Grin

Edit: Schliesse mich Uriel an. Du scheinst wirklich ein Talent fürs schreiben zu haben. Aber solche Talente gibt es in diesem Forum einige =)
Yathallar d' udossta ultrine Quar'valsharess Shilen
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