01.01.2008, 16:32
10.) Ein Splitter auf Reisen
Der Schnee war kühl.
Kühl nicht kalt.
Die Sonne die ihre Dienste für diesen Tag bereits abgeleistet hatte, ließ ihn in einem matten orange erstrahlen. Genauer gesagt war es fast schon ein wenig rot.
Auf der Lichtung, welche enorme Ausmaße besaß gab es nur einige Steinformationen die Schutz vor dem eisigen Wind boten, welcher der Elfe um die Ohren und ins anmutende Gesicht peitschte. Es war falten- und narbenlos, und spiegelte Perfekt die jugendliche Schönheit der Elfe wieder die da, an einen Stein angelehnt, Schutz vor der Kälte suchend kauerte.
Es war beinahe zu makellos für diese raue und harsche Welt.
Der Wind donnerte wütend mit aller Kraft gegen die diffus auf der Lichtung verteilten Felsen, was ein mystisches beinahe unheimliches Säuseln und Raunen erzeugte.
Vielleicht wurde der Platz deshalb von den Ortsansässigen Elfen so geachtet. Der Legende nach, hatten alle Träume, Visionen und Prophezeiungen des gesamten Landes hier ihren Ursprung.
Aber was kümmerten eine heimatlose schon Legenden. Naoi war ohnehin ein seltsames Land.
Doch gerade das war es, was die Heimatlose wie magisch anzog, sie konnte es selbst nicht anders erklären.
Die Bewohner des Landes erachteten diesen Ort als derart heilig, das Betreten war demnach nur den obersten Priestern und den Orakeln gestattet.
Die Heimatlose hatte sich nicht um das Verbot geschert, ja es mit ihrem Betreten der Lichtung sogar mit Füßen getreten.
Scytheria schreckte auf.
Es war ruhig um sie geworden, der Wind hatte klein beigegeben, hatte wohl gemerkt, dass er die Steine nicht umwerfen konnte.
Langsam, mit von der Kälte steifen Gliedmassen, erhob sie ihren schwärzlich grauen Körper der sich so von den weißen Schneemassen abhob und stapfte umher.
Nicht das geringste Geräusch, das Knirschen des Schnees unter ihren schmalen Lederschuhen ausgenommen, war auf der Lichtung. Es schien als hätte alles um sie herum einfach beschlossen, von nun an nicht mehr zu existieren.
„Dieser verdammte Schnee…überall Schnee soweit das Auge reicht“ murmelte Scytheria während sie ihre Hand über einen der Felsen gleiten ließ.
Er war unerwartet warm temperiert.
„Und die Sonne raubt mir eines Tages noch das Augenlicht“
Langsam streckte sie die Hand nach einem der tanzenden Lichtlein aus welche um sie herum tänzelten, offenbar eine erste Folge dessen was man heute als Schneeblindheit bezeichnen würde.
Das Licht sträubte sich ein wenig, versuchte offenbar seinem Schicksal zu entkommen, resignierte jedoch letztendlich. Erstaunt musste die Elfe feststellen, dass das Licht langsam begann durch ihre Haut in das Innere ihrer Hand zu wandern.
„Geh weg du…“ schrie sie ihre Hand an als das Licht langsam unter ihrer Haut den Arm hinauf wanderte, verstummte jedoch als sie sich sagte, dass sie nun wohl endgültig verrückt geworden sei.
Ein wenig verzweifelt, doch auch sichtlich belustigt betrachtete sie wie das Licht ihre Schulter erreichte und über ihre Brust in Richtung Herz wanderte.
„So weit ist es schon mit m…“ sagte sie sich doch weiter kam sie nicht.
Das Licht hatte das Herz erreicht, oder dort wo es sich bei einem Lebewesen zumindest befinden sollte und Scytheria spürte ein starkes Stechen das von einem Lichtimpuls, der aus ihr heraus zu kommen schien begleitet wurde und sie kurzerhand Rücklings gen Boden warf.
Wäre nun jemand auf der Lichtung gewesen und hätte sie aus nächster Nähe betrachtet so hätte er sehen können, dass ihre Augen wild flackerten, wie sie das bei einem Träumenden tun.
Um Scytheria herum wurde es schwammig, Gedanken sausten durch ihren Kopf die eindeutig nicht die ihren waren und der Schmerz in der Herzgegend steigerte sich zunehmend.
Ihr Blickfeld war eingeschränkt, trübte sich zunehmend und sie nahm alles nur noch verschwommen war.
Dann, als hätte jemand einen Schalter umgelegt war der Schmerz vorbei, doch verlor sie das Bewusstsein.
Es fühlte sich an wie sterben, zumindest glaubte sie, dass sich sterben so anfühlen müsste.
Obwohl sie ihren Zustand nicht definieren konnte, nahm sie dennoch Dinge wahr.
Ein Berg, sie kannte ihn.
Ein Turm, sie kannte ihn.
Er fiel zusammen wie ein Kartenhaus, das war ihr neu.
Drei Gestalten, die hatte sie noch nie gesehen.
Ein Wald.
Ein Fluss.
Ein Tor.
Die einzelnen Bilder erschienen immer schneller, verschwommen und schienen keinen Zusammenhang zu haben.
Zu guter letzt sah sie sich selbst, inmitten der Lichtung liegend, die Arme von sich gestreckt und mit einem erschreckend blassen Gesicht.
Sie konnte Stimmen hören, denn bis jetzt war es ein stummer Traum gewesen.
Die Stimmen, es waren sowohl männliche als auch weibliche, klangen auf irgendeine Art wütend.
Sie machten ihr trotzdem keine Angst.
Angst diesen Zustand hatte sie abgelegt.
„Du bist das Ende, Scytheria.“ Nur mühsam konnte sie das Raunen in dem Gewirr der wütenden Stimmen vernehmen. Immer leiser wurde es bis es schließlich verstummte.
Der Traum war zu Ende, doch ein Teil von ihm war zurückgeblieben, wie Scytheria bemerken musste, als sie perplex die Augen aufschlug.
Die Stimmen hatten sich personifiziert. Eine Unzahl wütender Augenpaare, sie schätzte sie auf mindestens ein Dutzend, blickten sie aus blassen Gesichtern heraus an, die dürren Körper in leichte gelbliche Robe gehüllt die kaum vor der Kälte schützen konnten.
„Wer bist du, das du es wagst unsere heiligste Stätte zu betreten und noch viel schlimmer, die Träume anderer zu stehlen und einzusehen?“ sprach einer der elfischen Priester und seine Worte schienen selbst noch kühler als die kalte Wintersluft zu sein.
Scytheria’s Hände schmiegten sich reflexartig an die beiden Schwerter, welche sie stets mit sich führte.
„Was kümmert es euch? Ihr solltet euch besser um eure eigenen Angelegenheiten kümmern, als euch in die anderer einzumischen!“ fauchte sie ihnen bissig entgegen.
Ihr bösartiger Tonfall hatte nichts mit einem besonderen Hass auf die Elfen zu tun, eher mit einem generellen Hass auf sämtliche Lebewesen die sich ihr in den Weg stellten oder sich gar in ihre Belangen einmischten.
„Schweig dunkle! Du hast eine heilige Stätte unseres Volkes entehrt und zeigst nicht die geringste Reue. Demnach sei dir, nach unserem Recht, die Höchststrafe zu erteilen.“
Sprach der Priester erneut.
Rund um Scytheria wurden prunkvolle Schwerter elfischer Machart gezogen.
Sie selbst zog lediglich eine Augenbraue hoch während sie die ihr seltsam anmutende Priesterschaft musterte und schließlich antwortete: „Ihr haltet euch wohl für etwas ganz besonderes, dass ihr es wagt, so leichtfertig über Leben und Tod zu urteilen, ohne euer Gegenüber auch nur annähernd zu kennen. Doch lasst euch gesagt sein, Hochmut war oft schon einer der letzten Gedanken vieler Krieger…“
Der oberste Priester machte einen Schritt auf sie zu, das Schwert nach wie vor erhoben.
„So?“ er blickte sie ernst aus seinen saphir-blauen Augen an, abschätzend, musternd.
Nun in diesem Moment hätte sie handeln sollen, ein kleiner, flink geführter Hieb mit einem der Schwerter und dieser arrogante Elf hätte wohl eine Klinge in seinem Hals vorgefunden ehe er noch reagieren hätte können.
Doch sie tat es nicht.
Zu diesem Zeitpunkt verstand sie selbst noch nicht wieso, es wäre nicht ihr erster Mord gewesen und da es sich lediglich um im Schwertkampf ungeübte Priester zu handeln schien die sie obendrein auch noch unterschätzten, vermutete sie, dass sie es wohl mit dem ein oder anderen mit Leichtigkeit aufnehmen hätte können.
Doch alles kam ganz anders als Scytheria es sich je ausgemalt hatte. Sie empfand Mitleid für die Elfen, ein völlig neues Gefühl das ihr zugegebener Maße sogar ein wenig Angst machte.
„Mitleid, für solch ein lumpiges, arrogantes, Blassgesicht.“ Keuchte sie leise, doch offenbar nicht leise genug.
„Elende Dunkle! Erfahre deine Strafe und möge Eva deiner Seele gnädig sein.“
Das Gesicht des obersten Priesters verzerrte sich wutentbrannt und er lies seine Klinge auf Scytheria hinab donnern.
Wie sie bereits erwartet hatte, schien der Priester seine Waffe in keinster Weise zu beherrschen und so fiel es ihr nicht schwer seinen hieb zu parieren.
Das Schwer flog in hohem Bogen, viele Schritte weit durch die Luft, ehe es mit der Klinge in der gefrorenen Erde stecken blieb.
Auf dem Gesicht des obersten Priesters breitete sich entsetzen aus.
Nun überschlugen sich die Ereignisse.
Zwei schlanke, leicht bläulich schimmernde, Klingen wirbelten anmutend durch die Luft das einige der Priester, lediglich wie gebannt dem Schauspiel zusahen als zur Tat zu schreiten.
Schon stand Scytheria wieder auf ihren Beinen.
Ein geschickter Seitenschritt und eine Klinge sauste ins leere.
Ein wimmern eines der Priester der im Schnee lag und seine blutige Hand an sich drückte wie ein neugeborenes Kind.
Scytheria war wie üblich erregt, ihre Hände zitterten vor Aufregung.
Leicht hätte sie dem einem oder anderem sein kümmerliches Leben nehmen können, doch sie hielt sich zurück.
Die Nase des Elfenpriesters brach mit einem lauten Knirschen und warmes Blut spritzte auf den Ellbogen der jungen Elfe.
Schnell zogen die Felsformationen seitlich an ihr vorbei, sie steigerte ihren Sprint zunehmend der lediglich von den knöchelhohen Schneemassen gebremst wurde.
Laufen, das konnte Scytheria gut.
Mehr als einmal hatte ihr diese Fähigkeit ihr Leben gerettet und das war, bei einer gut aussehenden, jungen, zierlich wirkenden Elfe wie ihr häufig in Gefahr.
Immer schon.
Schon bald hatte sie die heilige Stätte hinter sich gelassen. Über mögliche Verfolger machte sie sich keine Sorgen, der Sturm der nun wieder um sie herum herrschte, würde ihre Spuren innerhalb kürzester Zeit verwehen.
„Na da bist du wieder in etwas hinein geraten…“ sagte ihr ihre innere Stimme. Das war nichts Ungewöhnliches.
Scytheria hatte sich im Laufe der Jahre an diese Stimme gewöhnt, sie war, in gewisser Weise ihr ewiger Begleiter auf ihrer Reise.
So wie ein guter Freund, den sie niemals hatte.
Niemals.
Der Wald um sie herum wurde dichter, nur noch einzelne Lichtstrahlen drangen durch die dichte Baumkrone.
Mittlerweile hatte sie ihr Tempo gesenkt und war in einen monotonen Trablauf übergegangen.
Scytheria machte dann schließlich an einem, verkohlten Baumstamm Pause.
Der Winter zehrte an ihren Kräften und sie hatte schon seit zwei Tagen nichts Richtiges mehr gegessen.
Man hatte es eben nicht immer leicht als Einzelgängerin.
„Du solltest was essen.“ Sagte ihre innere Stimme ihr und klang ein wenig spöttisch.
„He! Wenn ich verhungere gibt’s dich auch nicht mehr!“ keifte Scytheria wütend während sie sich an den Baumstrunk lehnte.
„Willst du’s drauf anlegen? Ich würde nämlich sagen ohne mich gäbe es dich schon lange nicht mehr.“ kicherte die glockenhelle Stimme.
„Mhh…“ Scytheria musste klein beigeben.
„Wie auch immer.“
Dann war die Stimme vorerst verschwunden, offenbar zufrieden mit diesem verbalen Sieg.
Das karge Dickicht des Waldes bot lediglich mäßigen Schutz gegen die Kälte und den Wind.
Der Boden war übersäht mit Blättern.
Braune, gelbe, rote.
Als die Nacht herein brach und ein vorankommen in der völligen Dunkelheit unmöglich wurde, schaufelte sich Scytheria eine schmale Liegestätte aus den Blättern.
Sie war nicht sonderlich wählerisch was Schlafstätten betraf.
Nie gewesen.
Schlafen konnte sie diese Nacht nicht, das rascheln der Spinnen die durch die Blätter und das unterholz krochen hielt sie wach. Außerdem hatten einige im Dunklen damit begonnen ihre Beine mit ihren langen weißen Fäden einzuspinnen.
Nicht, dass sie etwas gegen diese lieben Tierchen hätte, ganz im Gegenteil, sie empfand sogar eine tiefe Sympathie für diese verhassten Geschöpfe, doch trauen konnte man ihnen dennoch nicht.
Das war schon immer so, wenn man alten elfischen Mythen glauben schenken konnte.
Die Spinnen ihrerseits schienen diese Zuneigung durchaus wahrzunehmen, denn mit einem Mal machte es sich eine kleine schwarze in Scytheria’s ausgestreckter Hand bequem und rollte sich wie eine Kugel zusammen indem sie ihre Beine einzog.
„Na kleine? Wir verstehen uns, habe ich recht?“ flüsterte sie der Spinne lächelnd zu.
Eine Antwort erhielt sie nicht mehr.
Am nächsten morgen, sofort als die Sonne aufgegangen war, hatte Scytheria ihren Trablauf bereits fortgesetzt.
„Wozu gehen wenn man auch laufen und Zeit sparen kann.“ Befürwortete die kecke Stimme aus ihrem Inneren ihren Lauf.
„Endlich sind wir uns einmal einig.“ Murmelte die Elfe, wenig erfreut darüber, dass die Stimme wieder zurück war. Sie hatte gehofft sie hätte ein wenig länger Ruhe.
Ihre langen schlanken Beine führten sie einen Trampelpfad einen kleinen felsigen Hügel hinauf. Es war der einzige Hügel in der gesamten Hochebene von Naoi.
Von dort aus schien sie alles überblicken zu können, ein erhabenes Gefühl von Sicherheit und Kontrolle, das sie nur selten, um nicht zu sagen, nie empfand.
Sie zog ihre beiden Schwerter, ebenfalls wie ihre innere Stimme, treu ergebene Begleiter und rammte sie in die Erde so, dass sie sich überkreuzten.
Langsam und vorsichtig trat sie an die Klippe heran, von wo aus sie den besten Ausblick vermutete.
Es war ein bewölkter Tag in Naoi.
Ein Lächeln breitete sich auf ihrem sonst so ausdruckslosen Gesicht aus, es war ein ehrliches.
So stand sie, am Rand der Felswand, die vor ihr in die Tiefe hinab fiel, die Arme ausgestreckt als wolle sie die unendlich weite Ebene vor sich umarmen wollen.
Es war schön hier.
Dennoch hatte sie vor das Land so schnell als möglich hinter sich zu lassen.
Mit zittrigen Fingern griff sie in ihren Ausschnitt und zog ein Lederband mit einem Kristallsplitter am Ende hervor.
Bei der Berührung begann er matt zu glühen.
Mit ihren, von der Kälte ganz blassen und abgefrorenen Händen hielt sie ihn in der Luft, möglichst weit weg von ihrem Körper.
„Wohin führst du mich diesmal?“ wisperte sie ehrfürchtig.
Für einen kurzen Augenblick geschah gar nichts und Scytheria fürchtete schon die Macht des Splitters sei erloschen, doch dann begannen sich die Wolken für einen Bruchteil eines Lidschlages zu lichten, jedoch nur in einer bestimmten Himmelsrichtung.
„Nach Osten also, so soll es sein“ sprach die Elfe erleichtert als sie den Splitter langsam wieder in ihrem Ausschnitt verschwinden lies und der Felswand den Rücken zuwandte.
Der Schnee war kühl.
Kühl nicht kalt.
Die Sonne die ihre Dienste für diesen Tag bereits abgeleistet hatte, ließ ihn in einem matten orange erstrahlen. Genauer gesagt war es fast schon ein wenig rot.
Auf der Lichtung, welche enorme Ausmaße besaß gab es nur einige Steinformationen die Schutz vor dem eisigen Wind boten, welcher der Elfe um die Ohren und ins anmutende Gesicht peitschte. Es war falten- und narbenlos, und spiegelte Perfekt die jugendliche Schönheit der Elfe wieder die da, an einen Stein angelehnt, Schutz vor der Kälte suchend kauerte.
Es war beinahe zu makellos für diese raue und harsche Welt.
Der Wind donnerte wütend mit aller Kraft gegen die diffus auf der Lichtung verteilten Felsen, was ein mystisches beinahe unheimliches Säuseln und Raunen erzeugte.
Vielleicht wurde der Platz deshalb von den Ortsansässigen Elfen so geachtet. Der Legende nach, hatten alle Träume, Visionen und Prophezeiungen des gesamten Landes hier ihren Ursprung.
Aber was kümmerten eine heimatlose schon Legenden. Naoi war ohnehin ein seltsames Land.
Doch gerade das war es, was die Heimatlose wie magisch anzog, sie konnte es selbst nicht anders erklären.
Die Bewohner des Landes erachteten diesen Ort als derart heilig, das Betreten war demnach nur den obersten Priestern und den Orakeln gestattet.
Die Heimatlose hatte sich nicht um das Verbot geschert, ja es mit ihrem Betreten der Lichtung sogar mit Füßen getreten.
Scytheria schreckte auf.
Es war ruhig um sie geworden, der Wind hatte klein beigegeben, hatte wohl gemerkt, dass er die Steine nicht umwerfen konnte.
Langsam, mit von der Kälte steifen Gliedmassen, erhob sie ihren schwärzlich grauen Körper der sich so von den weißen Schneemassen abhob und stapfte umher.
Nicht das geringste Geräusch, das Knirschen des Schnees unter ihren schmalen Lederschuhen ausgenommen, war auf der Lichtung. Es schien als hätte alles um sie herum einfach beschlossen, von nun an nicht mehr zu existieren.
„Dieser verdammte Schnee…überall Schnee soweit das Auge reicht“ murmelte Scytheria während sie ihre Hand über einen der Felsen gleiten ließ.
Er war unerwartet warm temperiert.
„Und die Sonne raubt mir eines Tages noch das Augenlicht“
Langsam streckte sie die Hand nach einem der tanzenden Lichtlein aus welche um sie herum tänzelten, offenbar eine erste Folge dessen was man heute als Schneeblindheit bezeichnen würde.
Das Licht sträubte sich ein wenig, versuchte offenbar seinem Schicksal zu entkommen, resignierte jedoch letztendlich. Erstaunt musste die Elfe feststellen, dass das Licht langsam begann durch ihre Haut in das Innere ihrer Hand zu wandern.
„Geh weg du…“ schrie sie ihre Hand an als das Licht langsam unter ihrer Haut den Arm hinauf wanderte, verstummte jedoch als sie sich sagte, dass sie nun wohl endgültig verrückt geworden sei.
Ein wenig verzweifelt, doch auch sichtlich belustigt betrachtete sie wie das Licht ihre Schulter erreichte und über ihre Brust in Richtung Herz wanderte.
„So weit ist es schon mit m…“ sagte sie sich doch weiter kam sie nicht.
Das Licht hatte das Herz erreicht, oder dort wo es sich bei einem Lebewesen zumindest befinden sollte und Scytheria spürte ein starkes Stechen das von einem Lichtimpuls, der aus ihr heraus zu kommen schien begleitet wurde und sie kurzerhand Rücklings gen Boden warf.
Wäre nun jemand auf der Lichtung gewesen und hätte sie aus nächster Nähe betrachtet so hätte er sehen können, dass ihre Augen wild flackerten, wie sie das bei einem Träumenden tun.
Um Scytheria herum wurde es schwammig, Gedanken sausten durch ihren Kopf die eindeutig nicht die ihren waren und der Schmerz in der Herzgegend steigerte sich zunehmend.
Ihr Blickfeld war eingeschränkt, trübte sich zunehmend und sie nahm alles nur noch verschwommen war.
Dann, als hätte jemand einen Schalter umgelegt war der Schmerz vorbei, doch verlor sie das Bewusstsein.
Es fühlte sich an wie sterben, zumindest glaubte sie, dass sich sterben so anfühlen müsste.
Obwohl sie ihren Zustand nicht definieren konnte, nahm sie dennoch Dinge wahr.
Ein Berg, sie kannte ihn.
Ein Turm, sie kannte ihn.
Er fiel zusammen wie ein Kartenhaus, das war ihr neu.
Drei Gestalten, die hatte sie noch nie gesehen.
Ein Wald.
Ein Fluss.
Ein Tor.
Die einzelnen Bilder erschienen immer schneller, verschwommen und schienen keinen Zusammenhang zu haben.
Zu guter letzt sah sie sich selbst, inmitten der Lichtung liegend, die Arme von sich gestreckt und mit einem erschreckend blassen Gesicht.
Sie konnte Stimmen hören, denn bis jetzt war es ein stummer Traum gewesen.
Die Stimmen, es waren sowohl männliche als auch weibliche, klangen auf irgendeine Art wütend.
Sie machten ihr trotzdem keine Angst.
Angst diesen Zustand hatte sie abgelegt.
„Du bist das Ende, Scytheria.“ Nur mühsam konnte sie das Raunen in dem Gewirr der wütenden Stimmen vernehmen. Immer leiser wurde es bis es schließlich verstummte.
Der Traum war zu Ende, doch ein Teil von ihm war zurückgeblieben, wie Scytheria bemerken musste, als sie perplex die Augen aufschlug.
Die Stimmen hatten sich personifiziert. Eine Unzahl wütender Augenpaare, sie schätzte sie auf mindestens ein Dutzend, blickten sie aus blassen Gesichtern heraus an, die dürren Körper in leichte gelbliche Robe gehüllt die kaum vor der Kälte schützen konnten.
„Wer bist du, das du es wagst unsere heiligste Stätte zu betreten und noch viel schlimmer, die Träume anderer zu stehlen und einzusehen?“ sprach einer der elfischen Priester und seine Worte schienen selbst noch kühler als die kalte Wintersluft zu sein.
Scytheria’s Hände schmiegten sich reflexartig an die beiden Schwerter, welche sie stets mit sich führte.
„Was kümmert es euch? Ihr solltet euch besser um eure eigenen Angelegenheiten kümmern, als euch in die anderer einzumischen!“ fauchte sie ihnen bissig entgegen.
Ihr bösartiger Tonfall hatte nichts mit einem besonderen Hass auf die Elfen zu tun, eher mit einem generellen Hass auf sämtliche Lebewesen die sich ihr in den Weg stellten oder sich gar in ihre Belangen einmischten.
„Schweig dunkle! Du hast eine heilige Stätte unseres Volkes entehrt und zeigst nicht die geringste Reue. Demnach sei dir, nach unserem Recht, die Höchststrafe zu erteilen.“
Sprach der Priester erneut.
Rund um Scytheria wurden prunkvolle Schwerter elfischer Machart gezogen.
Sie selbst zog lediglich eine Augenbraue hoch während sie die ihr seltsam anmutende Priesterschaft musterte und schließlich antwortete: „Ihr haltet euch wohl für etwas ganz besonderes, dass ihr es wagt, so leichtfertig über Leben und Tod zu urteilen, ohne euer Gegenüber auch nur annähernd zu kennen. Doch lasst euch gesagt sein, Hochmut war oft schon einer der letzten Gedanken vieler Krieger…“
Der oberste Priester machte einen Schritt auf sie zu, das Schwert nach wie vor erhoben.
„So?“ er blickte sie ernst aus seinen saphir-blauen Augen an, abschätzend, musternd.
Nun in diesem Moment hätte sie handeln sollen, ein kleiner, flink geführter Hieb mit einem der Schwerter und dieser arrogante Elf hätte wohl eine Klinge in seinem Hals vorgefunden ehe er noch reagieren hätte können.
Doch sie tat es nicht.
Zu diesem Zeitpunkt verstand sie selbst noch nicht wieso, es wäre nicht ihr erster Mord gewesen und da es sich lediglich um im Schwertkampf ungeübte Priester zu handeln schien die sie obendrein auch noch unterschätzten, vermutete sie, dass sie es wohl mit dem ein oder anderen mit Leichtigkeit aufnehmen hätte können.
Doch alles kam ganz anders als Scytheria es sich je ausgemalt hatte. Sie empfand Mitleid für die Elfen, ein völlig neues Gefühl das ihr zugegebener Maße sogar ein wenig Angst machte.
„Mitleid, für solch ein lumpiges, arrogantes, Blassgesicht.“ Keuchte sie leise, doch offenbar nicht leise genug.
„Elende Dunkle! Erfahre deine Strafe und möge Eva deiner Seele gnädig sein.“
Das Gesicht des obersten Priesters verzerrte sich wutentbrannt und er lies seine Klinge auf Scytheria hinab donnern.
Wie sie bereits erwartet hatte, schien der Priester seine Waffe in keinster Weise zu beherrschen und so fiel es ihr nicht schwer seinen hieb zu parieren.
Das Schwer flog in hohem Bogen, viele Schritte weit durch die Luft, ehe es mit der Klinge in der gefrorenen Erde stecken blieb.
Auf dem Gesicht des obersten Priesters breitete sich entsetzen aus.
Nun überschlugen sich die Ereignisse.
Zwei schlanke, leicht bläulich schimmernde, Klingen wirbelten anmutend durch die Luft das einige der Priester, lediglich wie gebannt dem Schauspiel zusahen als zur Tat zu schreiten.
Schon stand Scytheria wieder auf ihren Beinen.
Ein geschickter Seitenschritt und eine Klinge sauste ins leere.
Ein wimmern eines der Priester der im Schnee lag und seine blutige Hand an sich drückte wie ein neugeborenes Kind.
Scytheria war wie üblich erregt, ihre Hände zitterten vor Aufregung.
Leicht hätte sie dem einem oder anderem sein kümmerliches Leben nehmen können, doch sie hielt sich zurück.
Die Nase des Elfenpriesters brach mit einem lauten Knirschen und warmes Blut spritzte auf den Ellbogen der jungen Elfe.
Schnell zogen die Felsformationen seitlich an ihr vorbei, sie steigerte ihren Sprint zunehmend der lediglich von den knöchelhohen Schneemassen gebremst wurde.
Laufen, das konnte Scytheria gut.
Mehr als einmal hatte ihr diese Fähigkeit ihr Leben gerettet und das war, bei einer gut aussehenden, jungen, zierlich wirkenden Elfe wie ihr häufig in Gefahr.
Immer schon.
Schon bald hatte sie die heilige Stätte hinter sich gelassen. Über mögliche Verfolger machte sie sich keine Sorgen, der Sturm der nun wieder um sie herum herrschte, würde ihre Spuren innerhalb kürzester Zeit verwehen.
„Na da bist du wieder in etwas hinein geraten…“ sagte ihr ihre innere Stimme. Das war nichts Ungewöhnliches.
Scytheria hatte sich im Laufe der Jahre an diese Stimme gewöhnt, sie war, in gewisser Weise ihr ewiger Begleiter auf ihrer Reise.
So wie ein guter Freund, den sie niemals hatte.
Niemals.
Der Wald um sie herum wurde dichter, nur noch einzelne Lichtstrahlen drangen durch die dichte Baumkrone.
Mittlerweile hatte sie ihr Tempo gesenkt und war in einen monotonen Trablauf übergegangen.
Scytheria machte dann schließlich an einem, verkohlten Baumstamm Pause.
Der Winter zehrte an ihren Kräften und sie hatte schon seit zwei Tagen nichts Richtiges mehr gegessen.
Man hatte es eben nicht immer leicht als Einzelgängerin.
„Du solltest was essen.“ Sagte ihre innere Stimme ihr und klang ein wenig spöttisch.
„He! Wenn ich verhungere gibt’s dich auch nicht mehr!“ keifte Scytheria wütend während sie sich an den Baumstrunk lehnte.
„Willst du’s drauf anlegen? Ich würde nämlich sagen ohne mich gäbe es dich schon lange nicht mehr.“ kicherte die glockenhelle Stimme.
„Mhh…“ Scytheria musste klein beigeben.
„Wie auch immer.“
Dann war die Stimme vorerst verschwunden, offenbar zufrieden mit diesem verbalen Sieg.
Das karge Dickicht des Waldes bot lediglich mäßigen Schutz gegen die Kälte und den Wind.
Der Boden war übersäht mit Blättern.
Braune, gelbe, rote.
Als die Nacht herein brach und ein vorankommen in der völligen Dunkelheit unmöglich wurde, schaufelte sich Scytheria eine schmale Liegestätte aus den Blättern.
Sie war nicht sonderlich wählerisch was Schlafstätten betraf.
Nie gewesen.
Schlafen konnte sie diese Nacht nicht, das rascheln der Spinnen die durch die Blätter und das unterholz krochen hielt sie wach. Außerdem hatten einige im Dunklen damit begonnen ihre Beine mit ihren langen weißen Fäden einzuspinnen.
Nicht, dass sie etwas gegen diese lieben Tierchen hätte, ganz im Gegenteil, sie empfand sogar eine tiefe Sympathie für diese verhassten Geschöpfe, doch trauen konnte man ihnen dennoch nicht.
Das war schon immer so, wenn man alten elfischen Mythen glauben schenken konnte.
Die Spinnen ihrerseits schienen diese Zuneigung durchaus wahrzunehmen, denn mit einem Mal machte es sich eine kleine schwarze in Scytheria’s ausgestreckter Hand bequem und rollte sich wie eine Kugel zusammen indem sie ihre Beine einzog.
„Na kleine? Wir verstehen uns, habe ich recht?“ flüsterte sie der Spinne lächelnd zu.
Eine Antwort erhielt sie nicht mehr.
Am nächsten morgen, sofort als die Sonne aufgegangen war, hatte Scytheria ihren Trablauf bereits fortgesetzt.
„Wozu gehen wenn man auch laufen und Zeit sparen kann.“ Befürwortete die kecke Stimme aus ihrem Inneren ihren Lauf.
„Endlich sind wir uns einmal einig.“ Murmelte die Elfe, wenig erfreut darüber, dass die Stimme wieder zurück war. Sie hatte gehofft sie hätte ein wenig länger Ruhe.
Ihre langen schlanken Beine führten sie einen Trampelpfad einen kleinen felsigen Hügel hinauf. Es war der einzige Hügel in der gesamten Hochebene von Naoi.
Von dort aus schien sie alles überblicken zu können, ein erhabenes Gefühl von Sicherheit und Kontrolle, das sie nur selten, um nicht zu sagen, nie empfand.
Sie zog ihre beiden Schwerter, ebenfalls wie ihre innere Stimme, treu ergebene Begleiter und rammte sie in die Erde so, dass sie sich überkreuzten.
Langsam und vorsichtig trat sie an die Klippe heran, von wo aus sie den besten Ausblick vermutete.
Es war ein bewölkter Tag in Naoi.
Ein Lächeln breitete sich auf ihrem sonst so ausdruckslosen Gesicht aus, es war ein ehrliches.
So stand sie, am Rand der Felswand, die vor ihr in die Tiefe hinab fiel, die Arme ausgestreckt als wolle sie die unendlich weite Ebene vor sich umarmen wollen.
Es war schön hier.
Dennoch hatte sie vor das Land so schnell als möglich hinter sich zu lassen.
Mit zittrigen Fingern griff sie in ihren Ausschnitt und zog ein Lederband mit einem Kristallsplitter am Ende hervor.
Bei der Berührung begann er matt zu glühen.
Mit ihren, von der Kälte ganz blassen und abgefrorenen Händen hielt sie ihn in der Luft, möglichst weit weg von ihrem Körper.
„Wohin führst du mich diesmal?“ wisperte sie ehrfürchtig.
Für einen kurzen Augenblick geschah gar nichts und Scytheria fürchtete schon die Macht des Splitters sei erloschen, doch dann begannen sich die Wolken für einen Bruchteil eines Lidschlages zu lichten, jedoch nur in einer bestimmten Himmelsrichtung.
„Nach Osten also, so soll es sein“ sprach die Elfe erleichtert als sie den Splitter langsam wieder in ihrem Ausschnitt verschwinden lies und der Felswand den Rücken zuwandte.