Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Fußspuren im Sand der Zeit
#5
Ich glaube, daß wenn der Tod unsere Augen schließt,
wir in einem Lichte steh'n,

von welchem unser Sonnenlicht nur der Schatten ist.
(Arthur Schopenhauer)
Früh am nächsten Morgen kehrte die Priesterin nach Dion zurück. Endlich wurden Leute nach dem Ehemann Tristanas ausgesannt. Sie fühlte das zusammengefaltete Pergament in der Manteltasche und so schweiften ihre Gedanken fort von der allgegenwärtigen Kälte zu jenem Mann im Kerker des Schlosses. Es stand Yvaine vollkommen außer Frage, dass er der Mörder des Mädchens sein konnte. Sie hatte die Zeit, die man ihr mit ihm gelassen hatte genutzt, sich dessen zu vergewissern. Es hatte Ehrlichkeit in seinen Augen gestanden, als er ihr gar bei der Göttin seine Unschuld versichert hatte. Und Liebe, als er von dem Mädchen sprach. Iaskells Worte, dass sie wie eine Tochter für ihn geworden war, waren frei von Lüge. Yvaine hatte in sein Herz gesehen und dort das selbe Gefühl zu der Kleinen gefunden, dass in dem ihren vorherrschte. Iaskell Liavern war kein Feind in diesem Kampf - er war ein Verbündeter.

Sie betrat die Kirche und wandte ein paar stille Worte an ihre Göttin. Als eine der Tempelwachen eintraten, erhob sie sich wieder von den Knien und begrüßte den Mann.

"Ich möchte Euch darüber in Kenntnis setzen, dass ich die Beerdigung leiten werde. Ich werde mich bemühen, den hiesigen Priester bestmöglichst zu vertreten." Der Wachmann nickte. "Wann wird das Mädchen unter die Erde gebracht?" "Die Szeremonie muss leider noch etwas warten, aus Geheiß der Fürstin." Ein deutliches Schlucken ließ den Adamsapfel des Mannes einen Deut hüpfen. "Aber, Werteste.. Verzeiht doch was machen wir wegen... wegen der Verwesung?" Trotz allem blieb sie ruhig, der Blick mit dem sie den Tempelwächter bedachte gütig. "Es sollte bei der derzeitigen Witterung keine Schwierigkeiten machen, eine Leiche kühl zu lagern, meint Ihr nicht?" Der Mann wich ihrem Blicke aus, doch es wurde veranlaßt, den offenen Sarg mit der Toten in einen der ungeheizten Nebenräume zu verlegen.

Yvaine verließ die Kirche, kehrte in ihr Zimmer im "fetten Fasan" zurück, sich einen Moment allein mit ihren Gedanken zu gewähren. Die Bitte des Priesters, dass sie die Beerdigungsszeremonie abhalten sollte, lastete schwer auf den schmalen Schultern der Frau. Predigten und Szeremonien waren noch nie etwas gewesen, in dem sie gut war. Yvaine half den Menschen lieber durch unauffälligere Dinge, leistete Trauerarbeit, spendete Trost und brachte sie zurück auf den rechten Weg. Gerade die Beerdigung Tristanas machte ihr Angst. Angst zu versagen, gar die Distanz nicht wahren zu können. Sie wusste, dass sie stark sein musste. Es war immer ein Teil ihrer Berufung gewesen, das Leid der Menschen nicht zu sehr an sich heran zu lassen, um immernoch ihre Bestimmung ausführen zu können. Obgleich sie mehr als dreißig Lenzen zählte, war eine solche Situation völlig neu. Und sie zweifelte daran, bei jener Szeremonie Priesterin sein zu können - und nicht die Mutter, die sie in ihrem Herzen für die Kleine stehts war.

Schweren Herzens zog sie ein Pergament hervor und tauchte die Feder in die Tinte. Die ersten Worte der Predigt fielen leicht. Lehrbuchhaft malten sie sich aufs Papier. Doch waren sie kalt und ohne Leben. Standen nicht in Verbindung mit dem, was sie fühlte. Seufzend wanderte der Blick der klare, tiefblauen Augen gen Himmel. "Wenn das eine Prüfung ist, meine Göttin, so ist es eine der Schwersten", hauchte die Priesterin kraftlos. Einen Moment schloss sie die Augen, ehe sie die Feder wieder aufs Papier setzte und neu begann, während sich die Linke um das silberne Kruzifix schloss, fest und haltsuchend.
Es war fast wie das erste Mal, als Yvaine in ihrer Zeit des Studierens eine Predigt verfasst hatte. Jedes Wort wurde hinterfragt, nach seiner Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit - ehe es ihr letztlich gelang, Worte der Liebe aufs Papier zu bannen. Diese Worte des Abschieds waren die Richtigen. Und es störte kaum, als eine einzelne Träne die Lettern an einem Flecken des Blattes unleserlich machten - denn diese Worte standen im Herzen.

[Bild: feder.jpg]
[Bild: YvaBanner2.jpg]
------------------------Wiki ------------------------
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Fußspuren im Sand der Zeit - von flicka - 08.02.2012, 03:13
OOC-Anmerkung + Gliederung - von Yvaine - 08.02.2012, 03:28
1 - die Reise beginnt. - von Yvaine - 08.02.2012, 03:31
2 - die Reisende - von Yvaine - 08.02.2012, 03:45
3 - Oh, du steiniger Weg der Pflicht! - von Yvaine - 08.02.2012, 04:09
4 - Reise ins Eis - von Yvaine - 08.02.2012, 04:18
5 - Wenn Worte Steine sind. - von Yvaine - 08.02.2012, 22:53
6 - Kälte. - von Yvaine - 09.02.2012, 16:42
8 - Im Eis. / Teil 1 - von Yvaine - 21.02.2012, 13:28
8 - Im Eis. / Teil 2 - von Yvaine - 21.02.2012, 13:37
9 - Leise Stimmen. - von Yvaine - 05.03.2012, 18:29
10 - Hilfeschreie. - von Yvaine - 08.03.2012, 21:26
11 - Glaubenskrise. - von Yvaine - 13.03.2012, 13:55
12 - Zwischenspiel. - von Yvaine - 13.03.2012, 20:25
13 - Gebrochener Schwur. - von Yvaine - 19.03.2012, 03:32
14 - Eine Seele für Kain. - von Yvaine - 20.03.2012, 01:00
15 - Risse im Eis. - von Yvaine - 23.03.2012, 15:10
16 - Reisetagebuch. - von Yvaine - 26.03.2012, 15:18
17 - Am Ende des Weges. - von Yvaine - 02.04.2012, 03:33
18 - Wer Wind sät. - von Yvaine - 02.04.2012, 03:39
19 - Wird Sturm ernten. - von Yvaine - 23.04.2012, 01:21

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 2 Gast/Gäste