05.03.2012, 18:29
Folgte man aber dem Drängen, es zöge einen immer weiter in
die Ferne.
(Leo Tolstoi)
Es war schon später Morgen, als sie erwachte. Einen Moment verharrte sie, nur die Augen wanderten umher. Sie war im Tempel Dions in einem doch recht gemütlichen Bett und hatte keine Erinnerungen daran, wie sie hierher gekommen war. Yvaine schloss die Augen, versuchte sich zu erinnern. Der Kampf gegen Freya hatte getobt. Zu deutlich hörte sie noch immer das Klirren von Klingen und das fast noch lautere Klirren des Eises. Angreifer wurden auf der Stelle gefroren und zersprangen in Eiskristalle. Zu deutlich hörte die Freyas Todesschrei, der das Mark in den Knochen gefrieren ließ. Sie hatte die Hände auf die Ohren gepresst, Iaskells Arme um sich gespürt – und dann war es dunkel geworden. Dunkel und still. Jeder Geräusch war gebannt, verbannt gar, außer dem Blut in den Ohren und dem rasenden Herzschlag. Es war vorbei.
Der Schlaf hatte ihr gut getan, war er doch eher Mangel in den letzten Tagen der Kälte gewesen. Iaskell schlief noch und Yvaine verbrachte einige Minuten damit, ihn zu beobachten. Doch schließlich erhob sie sich, trat ans Fenster. Ein Windhauch ließ das ärmellose Baumwollnachthemd flattern und zauberte eine leichte Gänsehaut auf ihre Unterarme. Doch im Vergleich zu den letzten Monden genoss sie das Frösteln. Die ersten Anzeichen des Frühlings zeigten sich in den Sträuchern, zauberten grüne Flecken in den letzten Schnee.
Einzelne Frühlingsblumen steckten vorsichtig ihre Köpfe aus der Erde, die Vögel begrüßten den neuen Tag mit fröhlichen Liedern und die Sonne wärmte wieder.
Lange stand die Priesterin am Fenster und schaute voll Faszination nach draußen. Wehmütig bemerkte sie, dass auch die Stimmen wieder da waren, die während Freyas Winter geschwiegen hatten. Die Stimmen die sie stets dazu trieben, weiter zu ziehen. Es gab so viele Städte und Dörfer, so viele Menschen, denen sie helfen konnte. Musste. War es doch ihre Bestimmung
und das Versprechen, das sie gegeben hatte. Doch war es das, was sie wollte? Leise schlüpfte sie in die Priesterrobe, warf sich die Felltasche mit den nötigsten Dingen um die Schulter. Sie besaß nicht viel und so war alles schnell verstaut. Nichts desto trotz kostete es ein Ballen der Fäuste, wirklich zu gehen.
Doch auch angesichts der frischen Frühlingsluft vor dem Tempel und dem Weg vor ihr, machte sich die Leichtigkeit, die Freude, die ihre Schritte sonst doch immer beflügelt hatten, eher rar. Leise seufzend wollte sie sich abwenden, als sie Schritte hinter sich vernahm. „Priesterin Yvaine?“ Sie wandte sich um, schenkte dem jungen Mann der Tempelgarde ein freundliches Lächeln. „Einhasad mit Euch. Was kann ich für Euch tun?“ Er hielt ihr ein kleines Päckchen entgegen. „Das hier wurde für Euch abgegeben.“ Yvaine nahm es entgegen. Es schien fast nichts zu wiegen. Ein dankendes Lächeln gen des Mannes. Sie würde es später öffnen und Iaskell nach seiner Meinung dazu fragen. Iaskell… Sie schluckte und schüttelte traurig den Kopf und setzte ihren Weg fort.
Ohne den Schnee, das Eis und die Kälte wanderte es sich wieder leichter. Der Weg nach Gludin war leicht gemacht. Am späten Abend kehrte sie in die Taverne ein, sich eine warme Mahlzeit zu gönnen, ehe sie im Elternhaus übernachten würde. Als sie an der Theke stand und gerade etwas bestellen wollte, ließ eine Stimme hinter ihr sie überrascht herumfahren. „Immer noch auf der Reise, schöne Yvaine?“ Sie wusste, der vor ihr stand, noch bevor sie sich ganz herum gedreht hatte. „Ian!“ Lächelnd schloss er die Schwester in die Arme. Nach der ersten Wiedersehensfreude schob sie ihn etwas von sich, betrachtete ihn und musste feststellen, dass Ian sich die letzten Jahre, die sie sich nicht gesehen hatten, nicht sehr verändert hatte. Das mittellange, honigblonde Haar fiel obgleich seines Alters noch immer üppig, nur die kleinen Fältchen an den Augenwinkeln waren etwas tiefer geworden. Nur die saphirblauen Augen zeugten von der Verwandschaft der Sionn-Kinder. War sie doch dunkelhaarig, er hell, sie klein und zerbrechlich, er groß und breitschultrig gewachsen. Während ihre Haut blass war, zeigte die Seine eine eher dunkle Farbe. Ian Sionn war seinem Vater noch ähnlicher geworden, dass es ihr einen Moment den Atem stockte. Dass er nicht die gewohnte Plattenrüstung trug, sondern normale bequeme Straßenklamotten zeigte ihr, dass er vermutlich ein Zimmer in der Taverne genommen hatte.
Sie plauderten eine Weile. Ian bestellte Wein. Als Yvaine ablehnte, musste er unweigerlich grinsen. „Du bist so streng zu dir, Kleines.“ „Du solltest wissen, dass Einhasad nicht schätzt, dass ihre engsten Diener sich die Sinne benebeln, Paladin Gludins.“ Er überging die Spitze mit einem Lächeln, das Yvaine so falsch vor kam, dass sie nach hakte: „Du dienst doch noch immer dem Licht, wie du es geschworen hast, als man dich zum Ritter Einhasads schlug?“ Ian nahm einen Schluck von seinem Wein. „Licht… ja, eine schöne Sache.“ Nachdenklich ließ er das Getränk im Glase drehen. Als er wieder zu Yvaine sah, bemerkte er, dass sie den Blick nicht von ihm genommen hatte. „Ohne Licht wüssten wir nicht, das Dunkel zu definieren. Und ohne Licht gäbe er keine Schatten. Doch ohne das Dunkel wäre das Licht nur halb so hell, denkst du nicht?“ Sie nickte langsam, obgleich es kein Nicken der Zustimmung war. Das, was sie in seinen Augen sah, machte ihr Angst. Wenngleich es ihr unmöglich war, diese Angst in Worte zu fassen.
Belanglose Themen brachen schließlich die unangenehme Stille. Es wurde spät und Zeit, sich zu verabschieden. Ian würde nicht mit ins Elternhaus kommen. Nach ihrem Tod hatte er es stets gemieden. Yvaine widerstrebte es, allein zu sein. Noch etwas, das ihr Angst machte. Sie war es doch gewohnt, ihre Reisen allein zu tätigen, mit nichts als den flüsternden Stimmen des Fernwehs im Kopf, Mut im Herzen und die Hand der Göttin über ihrem Haupt. Wer seine Göttin über sich weiß kann noch so allein sein - er ist nie einsam.
Ob der milden Temperaturen brauchte der große Ofen nicht lang, um das Wohnhaus, das an dem alten Leuchtturm angeschlossen war, in wohlige Wärme zu hüllen. Yvaine räumte gerade die Teetassen fort, die von ihrer letzten Heimkehr zusammen mit Iaskell stehen geblieben waren, als ihr das rätselhafte Päckchen wieder in den Sinn kam. Sie nahm es aus der Manteltasche heraus und betrachtete es gedankenverloren. Vielleicht war es nichts weiter, als eine gutgemeinte Gabe an den Tempel. Doch warum hatte man es ihr gegeben und nicht Iaskell? Yvaine nahm Mantel und Päckchen und trat in den Flur hinaus.
Die Tür zum Leuchtturm ließ sich schwer öffnen. Lange schien kein Schlüssel mehr im Schloss gewesen. Der kleinere Leuchtturm auf der anderen Landzunge war in dem schrecklichen Winter leichter zu erreichen gewesen. In der klaren Luft wanderte sein Signal weiter übers Meer hinaus, als das des alten Leuchtturms. Doch schließlich gelang es Yvaine, die schwere Tür zu öffnen. Die Schritte hallten in dem verlassenen Gebäude. Sie entzündete die Fackeln, die hier uns da an den Wänden für Licht sorgten. Dann pustete sie den Staub von eine der breiten steinernen Fensterbänke und schwang sich auf diese. Lange blickte sie den fernen Lichtern der Schiffe nach, ehe sie das Päckchen öffnete. Es enthielt einen kleinen, gläsernen Flakon, dessen Krorken mit einem filigranen Kruzifix geschmückt war. Yvaine hielt ihn am Hals und besah sich seinen Inhalt: eine blaue, leuchtende Substanz. Vorsichtig umfasste sie den Bauch des Flakons und hätte ihn beinahe fallen gelassen. Er war… kalt. Aber es war nicht die Kühle, die Glas normalerweise ausstrahlte. Yvaine schloss die Hand um das Gefäß. Wie kleine Nadeln stach die Kälte in ihre Haut und sie musste sich beherrschen, die Hand nicht zu öffnen. Doch ihre Körperwärme vermochte nicht, das Glas zu erwärmen. Schließlich öffnete sie die Hand. Kleine rote Flecke blieben in der Handinnenfläche zurück und verschwanden erst nach ein paar Minuten wieder ganz.
Der Morgen brach über das Land und die ersten Sonnenstrahlen ließen die feine Linie des Horizontes leuchten. Yvaine betrachtete das Glasgefäß noch immer, drehte es unschlüssig in der Hand. Mehr als nur einmal war sie versucht gewesen, den Korken aus der Öffnung zu ziehen. Doch der Inhalt wirkte so flüchtig, so lebendig, dass sie sich nicht getraut hatte. Was auch immer es war – es durfte auf keinen Fall verloren gehen. Doch was immer es war, es hatte die flüsternden Stimmen vorerst zum Schweigen gebracht. Während sich das blaue Leuchten und Flackern in den Augen der Priesterin spiegelte, überlegte sie, wie sie dieses Rätsel lösen würde. Etwas derartiges war ihr noch nicht zu Gesicht gekommen. Ein Alchemist könnte vielleicht helfen. Oder ein Exekutor. Sie seufzte leise als ihr bewusst wurde, wie erleichternd sie diesen Gedanken fast fand. Dann horchte sie in sich hinein. Die Stimmen schwiegen.
Behutsam legte Yvaine den Flakon zurück in das Päckchen. Sie schlang den Mantel um sich und fand schließlich in der späten Morgendämmerung Schlaf, die Schläfe an den Fensterrahmen gebettet, während vereinzelnde Schiffe am Horizont vorbei zogen.
die Ferne.
(Leo Tolstoi)
Es war schon später Morgen, als sie erwachte. Einen Moment verharrte sie, nur die Augen wanderten umher. Sie war im Tempel Dions in einem doch recht gemütlichen Bett und hatte keine Erinnerungen daran, wie sie hierher gekommen war. Yvaine schloss die Augen, versuchte sich zu erinnern. Der Kampf gegen Freya hatte getobt. Zu deutlich hörte sie noch immer das Klirren von Klingen und das fast noch lautere Klirren des Eises. Angreifer wurden auf der Stelle gefroren und zersprangen in Eiskristalle. Zu deutlich hörte die Freyas Todesschrei, der das Mark in den Knochen gefrieren ließ. Sie hatte die Hände auf die Ohren gepresst, Iaskells Arme um sich gespürt – und dann war es dunkel geworden. Dunkel und still. Jeder Geräusch war gebannt, verbannt gar, außer dem Blut in den Ohren und dem rasenden Herzschlag. Es war vorbei.
Der Schlaf hatte ihr gut getan, war er doch eher Mangel in den letzten Tagen der Kälte gewesen. Iaskell schlief noch und Yvaine verbrachte einige Minuten damit, ihn zu beobachten. Doch schließlich erhob sie sich, trat ans Fenster. Ein Windhauch ließ das ärmellose Baumwollnachthemd flattern und zauberte eine leichte Gänsehaut auf ihre Unterarme. Doch im Vergleich zu den letzten Monden genoss sie das Frösteln. Die ersten Anzeichen des Frühlings zeigten sich in den Sträuchern, zauberten grüne Flecken in den letzten Schnee.
Einzelne Frühlingsblumen steckten vorsichtig ihre Köpfe aus der Erde, die Vögel begrüßten den neuen Tag mit fröhlichen Liedern und die Sonne wärmte wieder.
Lange stand die Priesterin am Fenster und schaute voll Faszination nach draußen. Wehmütig bemerkte sie, dass auch die Stimmen wieder da waren, die während Freyas Winter geschwiegen hatten. Die Stimmen die sie stets dazu trieben, weiter zu ziehen. Es gab so viele Städte und Dörfer, so viele Menschen, denen sie helfen konnte. Musste. War es doch ihre Bestimmung
und das Versprechen, das sie gegeben hatte. Doch war es das, was sie wollte? Leise schlüpfte sie in die Priesterrobe, warf sich die Felltasche mit den nötigsten Dingen um die Schulter. Sie besaß nicht viel und so war alles schnell verstaut. Nichts desto trotz kostete es ein Ballen der Fäuste, wirklich zu gehen.
Doch auch angesichts der frischen Frühlingsluft vor dem Tempel und dem Weg vor ihr, machte sich die Leichtigkeit, die Freude, die ihre Schritte sonst doch immer beflügelt hatten, eher rar. Leise seufzend wollte sie sich abwenden, als sie Schritte hinter sich vernahm. „Priesterin Yvaine?“ Sie wandte sich um, schenkte dem jungen Mann der Tempelgarde ein freundliches Lächeln. „Einhasad mit Euch. Was kann ich für Euch tun?“ Er hielt ihr ein kleines Päckchen entgegen. „Das hier wurde für Euch abgegeben.“ Yvaine nahm es entgegen. Es schien fast nichts zu wiegen. Ein dankendes Lächeln gen des Mannes. Sie würde es später öffnen und Iaskell nach seiner Meinung dazu fragen. Iaskell… Sie schluckte und schüttelte traurig den Kopf und setzte ihren Weg fort.
Ohne den Schnee, das Eis und die Kälte wanderte es sich wieder leichter. Der Weg nach Gludin war leicht gemacht. Am späten Abend kehrte sie in die Taverne ein, sich eine warme Mahlzeit zu gönnen, ehe sie im Elternhaus übernachten würde. Als sie an der Theke stand und gerade etwas bestellen wollte, ließ eine Stimme hinter ihr sie überrascht herumfahren. „Immer noch auf der Reise, schöne Yvaine?“ Sie wusste, der vor ihr stand, noch bevor sie sich ganz herum gedreht hatte. „Ian!“ Lächelnd schloss er die Schwester in die Arme. Nach der ersten Wiedersehensfreude schob sie ihn etwas von sich, betrachtete ihn und musste feststellen, dass Ian sich die letzten Jahre, die sie sich nicht gesehen hatten, nicht sehr verändert hatte. Das mittellange, honigblonde Haar fiel obgleich seines Alters noch immer üppig, nur die kleinen Fältchen an den Augenwinkeln waren etwas tiefer geworden. Nur die saphirblauen Augen zeugten von der Verwandschaft der Sionn-Kinder. War sie doch dunkelhaarig, er hell, sie klein und zerbrechlich, er groß und breitschultrig gewachsen. Während ihre Haut blass war, zeigte die Seine eine eher dunkle Farbe. Ian Sionn war seinem Vater noch ähnlicher geworden, dass es ihr einen Moment den Atem stockte. Dass er nicht die gewohnte Plattenrüstung trug, sondern normale bequeme Straßenklamotten zeigte ihr, dass er vermutlich ein Zimmer in der Taverne genommen hatte.
Sie plauderten eine Weile. Ian bestellte Wein. Als Yvaine ablehnte, musste er unweigerlich grinsen. „Du bist so streng zu dir, Kleines.“ „Du solltest wissen, dass Einhasad nicht schätzt, dass ihre engsten Diener sich die Sinne benebeln, Paladin Gludins.“ Er überging die Spitze mit einem Lächeln, das Yvaine so falsch vor kam, dass sie nach hakte: „Du dienst doch noch immer dem Licht, wie du es geschworen hast, als man dich zum Ritter Einhasads schlug?“ Ian nahm einen Schluck von seinem Wein. „Licht… ja, eine schöne Sache.“ Nachdenklich ließ er das Getränk im Glase drehen. Als er wieder zu Yvaine sah, bemerkte er, dass sie den Blick nicht von ihm genommen hatte. „Ohne Licht wüssten wir nicht, das Dunkel zu definieren. Und ohne Licht gäbe er keine Schatten. Doch ohne das Dunkel wäre das Licht nur halb so hell, denkst du nicht?“ Sie nickte langsam, obgleich es kein Nicken der Zustimmung war. Das, was sie in seinen Augen sah, machte ihr Angst. Wenngleich es ihr unmöglich war, diese Angst in Worte zu fassen.
Belanglose Themen brachen schließlich die unangenehme Stille. Es wurde spät und Zeit, sich zu verabschieden. Ian würde nicht mit ins Elternhaus kommen. Nach ihrem Tod hatte er es stets gemieden. Yvaine widerstrebte es, allein zu sein. Noch etwas, das ihr Angst machte. Sie war es doch gewohnt, ihre Reisen allein zu tätigen, mit nichts als den flüsternden Stimmen des Fernwehs im Kopf, Mut im Herzen und die Hand der Göttin über ihrem Haupt. Wer seine Göttin über sich weiß kann noch so allein sein - er ist nie einsam.
Ob der milden Temperaturen brauchte der große Ofen nicht lang, um das Wohnhaus, das an dem alten Leuchtturm angeschlossen war, in wohlige Wärme zu hüllen. Yvaine räumte gerade die Teetassen fort, die von ihrer letzten Heimkehr zusammen mit Iaskell stehen geblieben waren, als ihr das rätselhafte Päckchen wieder in den Sinn kam. Sie nahm es aus der Manteltasche heraus und betrachtete es gedankenverloren. Vielleicht war es nichts weiter, als eine gutgemeinte Gabe an den Tempel. Doch warum hatte man es ihr gegeben und nicht Iaskell? Yvaine nahm Mantel und Päckchen und trat in den Flur hinaus.
Die Tür zum Leuchtturm ließ sich schwer öffnen. Lange schien kein Schlüssel mehr im Schloss gewesen. Der kleinere Leuchtturm auf der anderen Landzunge war in dem schrecklichen Winter leichter zu erreichen gewesen. In der klaren Luft wanderte sein Signal weiter übers Meer hinaus, als das des alten Leuchtturms. Doch schließlich gelang es Yvaine, die schwere Tür zu öffnen. Die Schritte hallten in dem verlassenen Gebäude. Sie entzündete die Fackeln, die hier uns da an den Wänden für Licht sorgten. Dann pustete sie den Staub von eine der breiten steinernen Fensterbänke und schwang sich auf diese. Lange blickte sie den fernen Lichtern der Schiffe nach, ehe sie das Päckchen öffnete. Es enthielt einen kleinen, gläsernen Flakon, dessen Krorken mit einem filigranen Kruzifix geschmückt war. Yvaine hielt ihn am Hals und besah sich seinen Inhalt: eine blaue, leuchtende Substanz. Vorsichtig umfasste sie den Bauch des Flakons und hätte ihn beinahe fallen gelassen. Er war… kalt. Aber es war nicht die Kühle, die Glas normalerweise ausstrahlte. Yvaine schloss die Hand um das Gefäß. Wie kleine Nadeln stach die Kälte in ihre Haut und sie musste sich beherrschen, die Hand nicht zu öffnen. Doch ihre Körperwärme vermochte nicht, das Glas zu erwärmen. Schließlich öffnete sie die Hand. Kleine rote Flecke blieben in der Handinnenfläche zurück und verschwanden erst nach ein paar Minuten wieder ganz.
Der Morgen brach über das Land und die ersten Sonnenstrahlen ließen die feine Linie des Horizontes leuchten. Yvaine betrachtete das Glasgefäß noch immer, drehte es unschlüssig in der Hand. Mehr als nur einmal war sie versucht gewesen, den Korken aus der Öffnung zu ziehen. Doch der Inhalt wirkte so flüchtig, so lebendig, dass sie sich nicht getraut hatte. Was auch immer es war – es durfte auf keinen Fall verloren gehen. Doch was immer es war, es hatte die flüsternden Stimmen vorerst zum Schweigen gebracht. Während sich das blaue Leuchten und Flackern in den Augen der Priesterin spiegelte, überlegte sie, wie sie dieses Rätsel lösen würde. Etwas derartiges war ihr noch nicht zu Gesicht gekommen. Ein Alchemist könnte vielleicht helfen. Oder ein Exekutor. Sie seufzte leise als ihr bewusst wurde, wie erleichternd sie diesen Gedanken fast fand. Dann horchte sie in sich hinein. Die Stimmen schwiegen.
Behutsam legte Yvaine den Flakon zurück in das Päckchen. Sie schlang den Mantel um sich und fand schließlich in der späten Morgendämmerung Schlaf, die Schläfe an den Fensterrahmen gebettet, während vereinzelnde Schiffe am Horizont vorbei zogen.
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