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Fußspuren im Sand der Zeit
#17
Unternimm nie etwas,
wozu du nicht das Herz hast,
dir den Segen des Himmels zu erbitten.
(Georg Christoph Lichtenberg)

Interessiert, wenn auch sichtlich angespannt blickte sich Yvaine in dem Raum um, in den die Fürstin sie geleitet hatte, ehe sie sich auf dem gewiesenen Sessel bequem machte. Ein Diener brachte einen Krug Wein und einen Krug Wasser und verschwand wieder. Yvaines Blick blieb an dem Wasserkrug hängen. Sie hatte schon beinahe die Hand danach ausgestreckt, ehe sie es sich anders überlegte und es Gaoth gleich tat, den Weinkrug wählte. Sie hatte seid ihrem Entschluss, Priesterin zu werden, keinen Alkohol mehr angerührt. Warum sie es nun tat... ungewiss. Vielleicht, um sich selbst daran zu erinnern, warum sie hier war. Welchen Weg sie gewählt hatte.

"Nun, was kann ich für Euch tun?" Die Stimme der Fürstin riss Yvaine aus ihren Gedanken. "Nun, es fällt mir schwer, es in Worte zu fassen," begann sie, während sie den Wein ins Glas goss, "Ich habe eine recht... dreiste Bitte an Euch." Die Gegenüber schaute sie ruhig an, wertfrei. "Nun, ob sie dreist ist, kann ich erst beurteilen, wenn Ihr sie mir mitgeteilt habt."Yvaine nickt sacht, beschloss, ihr alles zu erzählen, was sie wusste. Einer Kains-Priesterin zu vertrauen, wenn es um Leben und Tod geht... war alles andere als einfach. Doch war es ihre einzige Hoffnung. Mit ruhiger, gefasster Stimme fasste Yvaine zusammen, was sie über die Eisskulpturen herausgefunden hatten. Tatsächlich schien Gaoth keine Sekunde daran zu zweifeln, dass die Menschen, die dort in magisches Eis gefasst waren, noch am Leben waren. Schließlich reichte sie ihr den Flakon mit dem Seelenfragment Freyas und erklärte, wie sie vor hatte, vorzugehen. Zuerst schien die Gegenüber skeptisch. "Was macht Euch glauben, dass dieses Fragment oder ich etwas mit den Statuen machen können? Wenn es in meiner Macht läge, hätte ich die Ärmsten schon aus ihrem Eispanzer befreit."
"Dies hier." Yvaine tastete nach der Phiole in der Manteltasche und reichte sie ihr. Die gefrorene Locke war darin und man sah deutlich die angetaute Stelle, das Eis, das verformt war - nur wenige Millimeter ohne den Inhalt wirklich preisgeben zu können."Ich habe die Strähne mit dem Flakon in Berührung gebracht. Ich bin mir sicher, wenn das Glas nicht wäre, wäre es gelungen, das Eis zu tauen. Ich hatte Angst, die Seele aus dem Flakon zu lassen. Wenn das, was ich gelesen habe wahr ist, würde sie verschwinden und gar ihre fehlenden Fragmente suchen." Gaoth bestätigte die Vorahnung Yvaines: "Nun, das ist gewiss. Eine freigelassene Seele wird entweder einen neuen Körper suchen, meist den Körper desjenigen, der ihr am Nächsten steht. Oder sie wird als Irrlicht die Welt durchstreifen. Nur wenigen gelingt der Übergang in Kains Reich. Da es sich um ein Fragment handelt, besteht Anlass zur Vermutung, dass dieses Fragment erst die anderen Fragmente suchen wird. Was wäre, wenn die vereinte Seele einen neuen Körper übernimmt?" Yvaine konnte nicht verhindern, dass es ihr eiskalt den Rücken herunter lief. Sie sah in ihrem geistigen Auge noch immer Iaskell vor sich, entschlossen, den Flakon auf dem Boden zu zertrümmern und die Seele so zu befreien. Was wäre geschehen, wenn sich das Fragment des Priesters Körpers bemächtigt hätte? Was auch immer es war, dass sie bewegt hatte, Iaskell an seinem Tun zu hindern... für den Moment war Yvaine unendlich dankbar für diese Intuition, Eingebung... oder was auch immer es gewesen war.

Sie räusperte sich leise, um ihre Worte wieder zu finden und das Bild aus ihrem Kopf zu verbannen. "Der Umgang mit Seelen... verzeiht... liegt Euch gewiss näher als mir. Darum ersuche ich Euch. Wenn es möglich wäre, das Seelenfragment durch einen Zauber zu bannen und es so zu benutzen... könnte es Hoffnung geben." Die Fürstin dachte einen Moment über die Worte der vermeintlichen Priesterin nach, nahm einen Schluck Wein. "Ihr, eine Priesterin Einhasads bittet eine Priesterin Kains eine Seele zu bannen? Fürchtet Ihr nicht um Eure eigene Seele? Würde Eure Göttin dies billigen?" Yvaine hatte diese Frage erwartet, so war die Antwort wohl überlegt und kam aus dem Herzen, obgleich sie alles andere als leicht war: "Nein. Ich, eine gewöhnliche Frau, deren Herzenswunsch es ist, die im Eis Gebannten zu erlösen, bitte um die Hilfe einer Priesterin Kains, die solcher dunklen Werke bewanderter ist, als ich selbst es je sein könnte. Unser Ziel in diesem Kampfe ist das Selbe."
Die behandschuhte Hand der Fürstin striff den Hut herunter, der ihr Gesicht seitdem Yvaine sie kannte stets in Schatten gehüllt hatte. Violette Augen mustern Yvaine kurz, ehe es rötlich in ihnen aufglimmt. "Ihr wisst, dass ich dafür, dass ich Kain diese Seele vorenthalte um Eure bitten könnte. Ich könnte Euch auch Eure Seele im Tausch nehmen, ohne darum zu bitten. Oder gar die Eures Bruders. Wärt Ihr wirklich bereit einen so hohen Preis zu zahlen?" Die Stimme der Anderen hatte einen dunklen, verlockend samtenen Klang angenommen. Ein Klang, der ein schwaches Herz verleiten würde, alles aufzugeben. Es kostete sie alle Konzentration auf das Ziel, um nicht zu verfallen, den Blick Gaoths ohne Furcht zu erwiedern. "Ich hatte vor Euch das Seelenfragment Freyas nach Vollendung seiner Aufgabe zu überlassen. So Euer Wunsch nach einer Weiteren sucht... so nehmt die Meine. Nicht die eines Unschuldigen." Das Glas in der schmalen Hand zitterte leicht. Doch sie widerstand. Der Moment verstrich.

Gaoth lehnte sich wieder zurück. "Nein, weder noch. Es war ein Test, Yvaine." Ihre Stimme klang wieder normal und ein Teil Yvaines entspannte sich zumindest einen Deut wieder. Sie blinzelte verwundert, als das Nachhallen der Stimme in ihrem Kopf verklungen war. "Was wolltet Ihr bezwecken?"
"Ich wollte wissen, wie sehr Ihr das Leben Anderer über Eures stellt. Eine starke Seele, welche recht wohlgesonnen im Reiche Kains aufgenommen würde." Das raubkatzenartige Lächeln der Fürstin ließ Yvaines Hand abermals zittern bei diesen Worten. Hastig senkte sie den Blick. "Dann werdet Ihr mir helfen, diese Menschen zu befreien?" "Ja, das werde ich. In der heutigen Nacht ist Neumond. Ich werde die Seele in einen Seelenkristall Kains transferieren. Mit diesem könnt Ihr das Fragment nutzen." Erleichtert nippte Yvaine an ihrem Wein.

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Als sie das Schloss verließ, fühlte sie sich leicht schwummrig. Obgleich sie nur zwei Gläser getrunken hatte, war der schmale Körper Alkohol doch nicht gewohnt. Das Gespräch hatte ihr Hoffnung gegeben. Xarona, die Kantoristin der freien Händler Dions, hatte ihr zugesagt, einige Wachen und Söldner zur Verfügung zu stellen, die mit ihr nach Schuttgart reisen und die vereist Beerdigten zu exhumieren, ohne dass die Eminezen Wind davon bekommen würden, bevor die Totgeglaubten wieder lebendig waren. Sie würde nichts weiter tun müssen, als auf Nachricht vom Schloss zu warten.
Der Weg zurück zum Tempel fiel ihr jedoch trotz aller Erleichterung schwer. Sie hatte Angst vor weiteren Streits mit Iaskell, hatte Angst wie er auf ihre Botschaft reagieren würde. Angst... zu verlieren.


[Bild: journey.jpg]
[Bild: YvaBanner2.jpg]
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