23.03.2012, 15:10
Der Mensch muss lernen,
den Lichtstrahl aufzufangen und zu verfolgen,
der in seinem Inneren aufblitzt.
(Ralph Waldo Emerson)
Spät in der Nacht traf die kleine Gruppe bei der ersten Eisskulptur ein. Die Nacht war wolkig und entsprechend düster, wie es Nächte kurz nach Neumond an sich hatten. Die Straßen waren leer und still, dennoch trat eine der beiden Wachen zurück, achtete auf jede potentiellen neugierigen Augen, die der Prozedur beiwohnen konnten.
Yvaine führte den Stab mit sich, den Gaoth für sie anfertigen ließ, dessen kristallene Spitze die Seele Freyas in einem Kainskristall band.
Die Laterne der zweiten Tempelwache beleuchtete den Platz um die Skulptur herum. Der Mann stellte sich zusammen mit Iaskell hinter die gefrorene Frau, Blicke wurden getauscht, ein Nicken. Die Priesterin, die ein Außenstehender kaum als eine solche erkennen würde, zog die schwarze Kaputze tiefer ins Gesicht, bevor sie leise ausatmete und den samtenen Beutel von der Spitze des zweieinhalbfuß langen Ebenholzstabs zog und die kristallene rotglühende Spitze enthüllte. In der fast kompletten Dunkelheit war das Leuchten alles andere, als unauffällig. Doch es musste gehen. Niemand hatte ihr gesagt, wie sie vorgehen müsste, so verließ sie sich ganz auf ihr Gefühl, führte den Kristall ans kalte Eis, das die junge Frau vor sich gefangen hielt. Der Kristall malte die Umrisse des Körpers nach, umfuhr ihn, ohne dass etwas passierte.
Der Tempeldiener schenkte dem Priester neben sich einen beinahe mitleidigen Blick, der keiner anderen als der Priesterin galt. Jene wollte gerade enttäuscht den Stab senken, als ein leises Knacken die Stille brach - so leise, dass man es sich auch eingebildet haben konnte. Dann folgte ein zweites Knacken, deutlich lauter. Risse bildeten sich im Eis. War es im Moment die Faszination, die Yvaine davon abhielt, den Stab vom Eis zu lösen, so hätte sie es im nächsten Moment auch nicht mehr gekonnt, denn es war, als würde eine frostige Hand den Kristall an seiner Spitze packen und halten. Dann verfärbten sich die Risse in ein tiefes Rot - fast als würde Blut aus ihnen treten. Zutiefst erschrocken klammerte sich Yvaine ans kühle Ebenholz des Stabs. Ihre Gedanken rasten. Hatte sie die Frau im Eis verletzt? So viel Blut, es schnürte ihr die Kehle zu. Neben ihr zog Iaskell erschrocken Luft ein. "Hat... das so zu sein? Bist du sicher? Es war doch bei der Locke... nicht... auch so?" fasste er ihre Gedanken in Worte. Doch ein weitaus Schlimmerer beschlich Yvaine - dass dieses Mädchen unter dem Kainskristall starb.
Doch es war noch nicht vorbei. Das Rot... veränderte sich. Schien es eben noch flüssig, so verlor es jeden Aggregatzustand, schien nunmehr zu glimmen, wie ein erloschenes Feuer, in dessen noch heiße Asche ein Lufthauch fuhr. Obgleich sie nur dastand und den Kristallstab hielt, schwand wie durch magische Hand ein Teil der Kraft, die der Priesterin innewohnte. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, unfähig sich zu rühren oder zu sprechen. Dann brach der Bann. Das Glimmen der Sprünge, die sich durch das Eis zogen verschwand abrupt. Ebenso die Hand, die den Stab festzuhalten schien. Yvaine prallte zurück, schlug auf den Boden auf, als der Widerstand verschwand, die Hand los ließ. Zeitgleich brach ein lautes, finales Knacken die Stille und das Eis zersprang. Der Panzer löste sich vom darunterliegenden Körper und fiel zu Boden, ohne dass die Splitter auf dem harten Stein zerbrachen. Die Tempelwache packte hastig zu, um die befreite Frau zu fangen, ehe jene zu Boden stürzte.
Yvaine hatte die Augen kurz geschlossen, um die Bewusstlosigkeit zu vertreiben, die der Schlag auf den Hinterkopf beim Sturze eingebracht hatte. Schwärze umhüllte sie, glitzernde silberne Punkte. Doch der Moment verging. Benommen blinzelte sie in Iaskells Augen, der neben ihr kniete. Sie hatte seine Stimme zwar gehört, doch nicht was er sagte. "Ist es... gelungen?" Zittrig ließ sie sich auf die Beine helfen und trat zur Tempelwache, die die junge Frau in den Armen hielt. Sehr blass war sie, die Lippen zitterten in bläulicher Färbung, unterkühlt und schwach. Dankbar blickte Yvaine zu, wie Iaskell die Erlöste mit der Wärme Einhasads bedachte, ein kleiner Notfallzauber, der das Leben zurück in die Venen des Mädchens brachte.
Die Tempelwache brachte die Frau in die Kirche, wo bereits notdürftige Krankenlager bereit standen, Decken und Tee zur Verfügung und zwei Tempeldienerinnen, die sich sogleich der Gebrachten annahmen.
Leisen Schrittes durchquerten die Anderen in der Zeit das Dorf, um zur nächsten Skulptur zu gelangen. Noch zwei lagen vor ihnen...
---
Der Morgen dämmerte, als die letzte Erlöste in den Tempel gebracht wurde. Yvaine konnte sich kaum auf den Beinen halten. Sie würde sich stärkende Tränke von Maria brauen lassen müssen, wenn sie in Schuttgart nicht einfach zusammenbrechen wollte. Es war nie einfach, sich mit fremden Göttern einzulassen.
den Lichtstrahl aufzufangen und zu verfolgen,
der in seinem Inneren aufblitzt.
(Ralph Waldo Emerson)
Spät in der Nacht traf die kleine Gruppe bei der ersten Eisskulptur ein. Die Nacht war wolkig und entsprechend düster, wie es Nächte kurz nach Neumond an sich hatten. Die Straßen waren leer und still, dennoch trat eine der beiden Wachen zurück, achtete auf jede potentiellen neugierigen Augen, die der Prozedur beiwohnen konnten.
Yvaine führte den Stab mit sich, den Gaoth für sie anfertigen ließ, dessen kristallene Spitze die Seele Freyas in einem Kainskristall band.
Die Laterne der zweiten Tempelwache beleuchtete den Platz um die Skulptur herum. Der Mann stellte sich zusammen mit Iaskell hinter die gefrorene Frau, Blicke wurden getauscht, ein Nicken. Die Priesterin, die ein Außenstehender kaum als eine solche erkennen würde, zog die schwarze Kaputze tiefer ins Gesicht, bevor sie leise ausatmete und den samtenen Beutel von der Spitze des zweieinhalbfuß langen Ebenholzstabs zog und die kristallene rotglühende Spitze enthüllte. In der fast kompletten Dunkelheit war das Leuchten alles andere, als unauffällig. Doch es musste gehen. Niemand hatte ihr gesagt, wie sie vorgehen müsste, so verließ sie sich ganz auf ihr Gefühl, führte den Kristall ans kalte Eis, das die junge Frau vor sich gefangen hielt. Der Kristall malte die Umrisse des Körpers nach, umfuhr ihn, ohne dass etwas passierte.
Der Tempeldiener schenkte dem Priester neben sich einen beinahe mitleidigen Blick, der keiner anderen als der Priesterin galt. Jene wollte gerade enttäuscht den Stab senken, als ein leises Knacken die Stille brach - so leise, dass man es sich auch eingebildet haben konnte. Dann folgte ein zweites Knacken, deutlich lauter. Risse bildeten sich im Eis. War es im Moment die Faszination, die Yvaine davon abhielt, den Stab vom Eis zu lösen, so hätte sie es im nächsten Moment auch nicht mehr gekonnt, denn es war, als würde eine frostige Hand den Kristall an seiner Spitze packen und halten. Dann verfärbten sich die Risse in ein tiefes Rot - fast als würde Blut aus ihnen treten. Zutiefst erschrocken klammerte sich Yvaine ans kühle Ebenholz des Stabs. Ihre Gedanken rasten. Hatte sie die Frau im Eis verletzt? So viel Blut, es schnürte ihr die Kehle zu. Neben ihr zog Iaskell erschrocken Luft ein. "Hat... das so zu sein? Bist du sicher? Es war doch bei der Locke... nicht... auch so?" fasste er ihre Gedanken in Worte. Doch ein weitaus Schlimmerer beschlich Yvaine - dass dieses Mädchen unter dem Kainskristall starb.
Doch es war noch nicht vorbei. Das Rot... veränderte sich. Schien es eben noch flüssig, so verlor es jeden Aggregatzustand, schien nunmehr zu glimmen, wie ein erloschenes Feuer, in dessen noch heiße Asche ein Lufthauch fuhr. Obgleich sie nur dastand und den Kristallstab hielt, schwand wie durch magische Hand ein Teil der Kraft, die der Priesterin innewohnte. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, unfähig sich zu rühren oder zu sprechen. Dann brach der Bann. Das Glimmen der Sprünge, die sich durch das Eis zogen verschwand abrupt. Ebenso die Hand, die den Stab festzuhalten schien. Yvaine prallte zurück, schlug auf den Boden auf, als der Widerstand verschwand, die Hand los ließ. Zeitgleich brach ein lautes, finales Knacken die Stille und das Eis zersprang. Der Panzer löste sich vom darunterliegenden Körper und fiel zu Boden, ohne dass die Splitter auf dem harten Stein zerbrachen. Die Tempelwache packte hastig zu, um die befreite Frau zu fangen, ehe jene zu Boden stürzte.
Yvaine hatte die Augen kurz geschlossen, um die Bewusstlosigkeit zu vertreiben, die der Schlag auf den Hinterkopf beim Sturze eingebracht hatte. Schwärze umhüllte sie, glitzernde silberne Punkte. Doch der Moment verging. Benommen blinzelte sie in Iaskells Augen, der neben ihr kniete. Sie hatte seine Stimme zwar gehört, doch nicht was er sagte. "Ist es... gelungen?" Zittrig ließ sie sich auf die Beine helfen und trat zur Tempelwache, die die junge Frau in den Armen hielt. Sehr blass war sie, die Lippen zitterten in bläulicher Färbung, unterkühlt und schwach. Dankbar blickte Yvaine zu, wie Iaskell die Erlöste mit der Wärme Einhasads bedachte, ein kleiner Notfallzauber, der das Leben zurück in die Venen des Mädchens brachte.
Die Tempelwache brachte die Frau in die Kirche, wo bereits notdürftige Krankenlager bereit standen, Decken und Tee zur Verfügung und zwei Tempeldienerinnen, die sich sogleich der Gebrachten annahmen.
Leisen Schrittes durchquerten die Anderen in der Zeit das Dorf, um zur nächsten Skulptur zu gelangen. Noch zwei lagen vor ihnen...
---
Der Morgen dämmerte, als die letzte Erlöste in den Tempel gebracht wurde. Yvaine konnte sich kaum auf den Beinen halten. Sie würde sich stärkende Tränke von Maria brauen lassen müssen, wenn sie in Schuttgart nicht einfach zusammenbrechen wollte. Es war nie einfach, sich mit fremden Göttern einzulassen.
------------------------Wiki ------------------------