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Fußspuren im Sand der Zeit
#22
Man ist von Natur kein Engel,
vielmehr ein Welt- und Menschenkind,
und ringsumher ist ein Gedrängel
von solchen, die dasselbe sind.
(Wilhelm Busch)

Ein ferner Blitz erhellte den abenddämmernden Himmel. Yvaine zuckte zusammen. Der Donnerschlag ließ auf sich warten. Wetterleuchten nur, weit über dem Meer. Doch hielt es die erfahrenen Seeleute davon ab, die sicheren Ufer zu verlassen. Ein Seegelschiff näherte sich - ein starker Dreimaster. Obgleich der Himmel über der sprechenden Insel Lomeria klar war, nur die Nacht ihn verdunkelte, waren die riesigen weißen Segel nass, eines der kleineren eingerissen. Hoffnungsvoll wartete sie, bis die Männer das Schiff am Kai festgemacht hatten, trat zu ihnen. "Fährt dieses Schiff nach Gludin?"
Einer der Männer brach in leises Gelächter aus. "Frau... dieses Schiff würde direkt in die Hölle fahren, wenn es den Hafen verließe!" Er deutete gen des Meeres, über dem sich in der Ferne dunkle Wolkenberge türmten. Wieder blitzte es. "Ein Unwetter liegt dort draußen, lauert auf unerfahrene Kapitäne. Kein Schiff wird diesen Hafen heute Nacht verlassen, Weib."

Mit einem leisen Aufseufzen und knappen Worten des Dankes wandte sie sich ab, blickte in die Ferne. Es waren.. seltsame Gefühle, die in der Priesterin tobten. Und ausnahmsweise waren es nicht die Stimmen des Fernwehs, die nach ihr riefen. Es war Heimweh. Ein neues Gefühl, neue Stimmen, neues Drängen. Noch nie hatte Yvaine einen Ort ihr "Heim" genannt, ihr "zu Hause". Und so spielte sie den Gedanken herunter. Schlimmer als er war ohnehin die Sorge. Um den Mann, der dort in Gludin auf sie wartete. Dem sie versprochen hatte, am frühen Abend zurück zu sein. Der frühe Abend... vor zwei Tagen. Lange hatte sie unter Deck der Windesmaid geschlafen, sich ausgeruht von den Geschehenissen. Dass der Maat Chrischa ihr bei seiner Rettung mehrere Rippen gebrochen hatte, hatte den Schlaf ungleich tiefer gemacht, das Erwachen ungleich schwerer. Der Brustkorb schmerzte bei jeder Bewegung, das Atmen war nur in kleinen, schnappenden Zügen zu ertragen. Doch sie lebte.

Ein fernes Donnergrollen riss Yvaine aus ihren Gedanken, ließ sie zusammenzucken. Ein leises Seufzen ob der Aussichtslosigkeit, den fremden Hafen alsbald verlassen zu können. Es hatte zu regnen begonnen, doch Yvaine hielt am Kai aus, wartete auf das nächste Schiff. Wo sollte sie auch hin?
Abermals zuckte sie zusammen, als sie angesprochen wurde - hatte sie doch niemanden erwartet. Die rothaarige Frau mit der Augenklappe passte in diesen Hafen. Und in jeden Anderen, den Yvaine je gesehen hatte: Ungehobelt, schmutzig und ohne Benehmen. Dennoch... mit genügend Interesse, die Priesterin zu fragen, auf was sie wartete. Yvaine schöpfte Hoffnung, die sogleich wieder zerschlagen wurde. Es würde kein Schiff fahren, solange das Unwetter über dem Meer tobte. Heute nicht, morgen nicht - vielleicht die nächsten Tage nicht.

Die rothaarige, die sich Yvaine als Roxanne vorstellte, schien Mitleid mit der durchnässten, verletzten Frau zu haben. Sie brachte sie in ein kleines, heruntergekommenes Zimmer der Hafentaverne, gab ihr schweren Wein zu trinken. Yvaine gewöhnte sich an den Geschmack des Alkohols mittlerweile. Zwar war es ihr Vorsatz gewesen, nach der Zerstörung des Seelenfragments im Kains-Kristall den Sünden des Weines wieder abzuschwören - doch wärmte er die kalten Glieder, nahm die Schmerzen.
Die Frauen unterhielten sich und recht schnell wurde klar, was doch auf den ersten Blick schon ins Auge stach: Zwei Welten trafen auf einander. Yvaine verharrte eine Weile vor dem Loch in den Dielen, das einen Blick in die Taverne frei gab. Alkohol, Sex, Glücksspiel. Verschenkte und verkaufte Liebe, Zügellosigkeit. Und doch drang immerfort Lachen nach oben, gen der beobachtenden Augen. Sie war gleichermaßen abgestoßen wie fasziniert von dieser fremden, anderen Welt.

Das Donnergrollen wurde lauter. Yvaines Mut schwand. Sie konnte nicht einmal genau sagen warum sie so dringend zurück nach Gludin musste. Es war... Intuition, die so stark war, dass sie ihr beinahe die Luft zum Atmen nahm. Sie musste einfach zurück. Sonst würde etwas Schreckliches geschehen. Schließlich begriff dies auch Roxanne. Beide Frauen brachen auf, stahlen ein kleines Fischerboot und begannen ihre Reise. Heimwärts, so das Wetter sie ließ. Etwas... in Yvaines Kopf resignierte.

[Bild: gewitter.jpg]
[Bild: YvaBanner2.jpg]
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Fußspuren im Sand der Zeit - von flicka - 08.02.2012, 03:13
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