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Fußspuren im Sand der Zeit
#21
Der Wind ist die älteste Stimme der Welt.
(Donald Culross Paettie)

Obgleich seiner Größe und ihres Namens hatte die Windesmaid zu kämpfen. Die Segel blähten sich und die Besatzung hatte alle Hände voll zutun. Es war kein optimales Wetter zum Fischen, doch der Fang war ertragreich, die Arbeit der Männer Routine. Chrischa, der Maat, blickte zufrieden über das aufgebauschte Meer. Die Lichter der fremden Küste vor ihnen zeigte ihnen, dass es Zeit zum Wenden war - heim zum Hafen der sprechenden Insel. Im Morgengrauen würden sie ankommen. Die Händler wussten dies, würden warten und die Strapazen der Nacht reich entlohnen. Die letzten Netze wurden an Bord geholt, ehe sie die Segel wandten, den Wind hinein hauen ließen und das schwere Schiff drehte. "Auf geht's Männer! Wir haben Gegenwind!" Mühsam richteten sie die Segel in die richtige Position. Das Schiff schwenkte komplett herum, der Bug richtete sich gen Heimat. Gerade wollte sich Chrischa abwenden und in seine Kajüte zurückziehen, um sich bei einem Tee aufzuwärmen, als ihm im Schein der Schiffslaternen etwas auffiel. Ein Schatten. Schnell packte er einen vorbeieilenden Schiffjungen am Arm, riss ihn beinahe grob zurück. "Da! Siehst du das?" Der Junge zuckte mit den Schultern. "Da ist nichts." Chrischa deutete mit dem Finger in die Richtung. "Ja ja sicher! Da vorn!" Ein Schulterzucken. "Vielleicht ja ein Wal..." Der Maat machte eine Geste mit der Hand, als wolle er dem Jungen vor die Stirn schlagen. "Na sicher! Ein Wal vor der Küste Gludins! WENDEN MÄNNER! BACKBORD!" Die Befehle wurden übers Deck gebellt, so dass niemand ihren Inhalt in Frage stellte. Abermals schwenkte das Schiff herum und dieses Mal konnten mehr als nur zwei Augen das kleine Schiff auf einem der Wellenkämme sehen. Murin, der zweite Steuermann, trat zu Chrischa, verengte die Augen. "Da ist wer an Bord!" Hektik machte sich breit. "Wie müssen sie rauf holen!" "Wie stellst du dir das vor? Wenn wir zu dicht heran kommen, zerschellt das kleine Ding am Schiff wie..." Chrischa klatschte zur Verdeutlichung in die Hände, "..wie eine Erdnuss!" Und noch während er sprach nahm das kleine Boot den Windschatten des Schiffs wie ein Magnet an. Die Männer schrien entsetzt auf, als es den Bug nur um wenige Meter verpasste.
Zwei Burschen schleppten ein schweres Seil heran, verankerten es am Mast, während sich Maat und zweiter Steuermann die widersprüchlichsten Befehle zu brüllten. Nur die erfahrenen Hände des Kapitäns bewahrten das Boot bei der nächsten langen Welle vor einer Kollision. Chrischa packte das Seil mit beiden Händen, wuchtete es über Bord und kletterte wild entschlossen hinterher. Er seilte sich bis einen halben Meter an die Wasserkante heran ab, hielt nach dem Ruderboot Ausschau. "MEHR LICHT! HÖHER DIE LATERNE!" Da war es wieder und plötzlich war es beinahe zu nah. Knirschend krachte Holz an Holz und nur durch ein Wunder riss nur die oberste Kante vom Ruderboot ab. Chrischa sah die Frau um Boot, und obgleich alles sehr schnell ging, handelte er in zeitlupenartiger Ruhe, nahm eine Hand vom Seil und schlang den Arm um den schlanken Körper. Die Welle ging wieder, riss das kleine Boot mit sich.

Unter lauten Jubelrufen zogen die Männer Chrischa und die unbekannte Frau aufs Schiff, wo der Hüne schwer auf die hölzernen Dielen des Decks sank und schwer durchatmete ob der Anstrengung.
Die Bewusstlose wurde unter Deck gebracht, der nassen Kleider entledigt und in Decken gewickelt. Wäre Yvaine wach gewesen, so hätte sie durch eines der Bullaugen das Blinken des Leuchtturms sehen können - so weit gen Norden hatte der Wind das kleine Boot geweht. Dann wendete das Schiff, hielt Kurs gen der Sprechenden Insel, den eisernen Händen des Windes zum Trotz.

Ironie des Schicksals war es, dass das Ruderboot in den frühsten Morgenstunden ausgerechnet an dem Felsen zerschellte, der den Leuchtturm und das Elternhaus der Sionns trug. Doch vielleicht war es auch ein Zeichen?

[Bild: schiff-1.gif]
[Bild: YvaBanner2.jpg]
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#22
Man ist von Natur kein Engel,
vielmehr ein Welt- und Menschenkind,
und ringsumher ist ein Gedrängel
von solchen, die dasselbe sind.
(Wilhelm Busch)

Ein ferner Blitz erhellte den abenddämmernden Himmel. Yvaine zuckte zusammen. Der Donnerschlag ließ auf sich warten. Wetterleuchten nur, weit über dem Meer. Doch hielt es die erfahrenen Seeleute davon ab, die sicheren Ufer zu verlassen. Ein Seegelschiff näherte sich - ein starker Dreimaster. Obgleich der Himmel über der sprechenden Insel Lomeria klar war, nur die Nacht ihn verdunkelte, waren die riesigen weißen Segel nass, eines der kleineren eingerissen. Hoffnungsvoll wartete sie, bis die Männer das Schiff am Kai festgemacht hatten, trat zu ihnen. "Fährt dieses Schiff nach Gludin?"
Einer der Männer brach in leises Gelächter aus. "Frau... dieses Schiff würde direkt in die Hölle fahren, wenn es den Hafen verließe!" Er deutete gen des Meeres, über dem sich in der Ferne dunkle Wolkenberge türmten. Wieder blitzte es. "Ein Unwetter liegt dort draußen, lauert auf unerfahrene Kapitäne. Kein Schiff wird diesen Hafen heute Nacht verlassen, Weib."

Mit einem leisen Aufseufzen und knappen Worten des Dankes wandte sie sich ab, blickte in die Ferne. Es waren.. seltsame Gefühle, die in der Priesterin tobten. Und ausnahmsweise waren es nicht die Stimmen des Fernwehs, die nach ihr riefen. Es war Heimweh. Ein neues Gefühl, neue Stimmen, neues Drängen. Noch nie hatte Yvaine einen Ort ihr "Heim" genannt, ihr "zu Hause". Und so spielte sie den Gedanken herunter. Schlimmer als er war ohnehin die Sorge. Um den Mann, der dort in Gludin auf sie wartete. Dem sie versprochen hatte, am frühen Abend zurück zu sein. Der frühe Abend... vor zwei Tagen. Lange hatte sie unter Deck der Windesmaid geschlafen, sich ausgeruht von den Geschehenissen. Dass der Maat Chrischa ihr bei seiner Rettung mehrere Rippen gebrochen hatte, hatte den Schlaf ungleich tiefer gemacht, das Erwachen ungleich schwerer. Der Brustkorb schmerzte bei jeder Bewegung, das Atmen war nur in kleinen, schnappenden Zügen zu ertragen. Doch sie lebte.

Ein fernes Donnergrollen riss Yvaine aus ihren Gedanken, ließ sie zusammenzucken. Ein leises Seufzen ob der Aussichtslosigkeit, den fremden Hafen alsbald verlassen zu können. Es hatte zu regnen begonnen, doch Yvaine hielt am Kai aus, wartete auf das nächste Schiff. Wo sollte sie auch hin?
Abermals zuckte sie zusammen, als sie angesprochen wurde - hatte sie doch niemanden erwartet. Die rothaarige Frau mit der Augenklappe passte in diesen Hafen. Und in jeden Anderen, den Yvaine je gesehen hatte: Ungehobelt, schmutzig und ohne Benehmen. Dennoch... mit genügend Interesse, die Priesterin zu fragen, auf was sie wartete. Yvaine schöpfte Hoffnung, die sogleich wieder zerschlagen wurde. Es würde kein Schiff fahren, solange das Unwetter über dem Meer tobte. Heute nicht, morgen nicht - vielleicht die nächsten Tage nicht.

Die rothaarige, die sich Yvaine als Roxanne vorstellte, schien Mitleid mit der durchnässten, verletzten Frau zu haben. Sie brachte sie in ein kleines, heruntergekommenes Zimmer der Hafentaverne, gab ihr schweren Wein zu trinken. Yvaine gewöhnte sich an den Geschmack des Alkohols mittlerweile. Zwar war es ihr Vorsatz gewesen, nach der Zerstörung des Seelenfragments im Kains-Kristall den Sünden des Weines wieder abzuschwören - doch wärmte er die kalten Glieder, nahm die Schmerzen.
Die Frauen unterhielten sich und recht schnell wurde klar, was doch auf den ersten Blick schon ins Auge stach: Zwei Welten trafen auf einander. Yvaine verharrte eine Weile vor dem Loch in den Dielen, das einen Blick in die Taverne frei gab. Alkohol, Sex, Glücksspiel. Verschenkte und verkaufte Liebe, Zügellosigkeit. Und doch drang immerfort Lachen nach oben, gen der beobachtenden Augen. Sie war gleichermaßen abgestoßen wie fasziniert von dieser fremden, anderen Welt.

Das Donnergrollen wurde lauter. Yvaines Mut schwand. Sie konnte nicht einmal genau sagen warum sie so dringend zurück nach Gludin musste. Es war... Intuition, die so stark war, dass sie ihr beinahe die Luft zum Atmen nahm. Sie musste einfach zurück. Sonst würde etwas Schreckliches geschehen. Schließlich begriff dies auch Roxanne. Beide Frauen brachen auf, stahlen ein kleines Fischerboot und begannen ihre Reise. Heimwärts, so das Wetter sie ließ. Etwas... in Yvaines Kopf resignierte.

[Bild: gewitter.jpg]
[Bild: YvaBanner2.jpg]
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