Die Lustige und die Traurige

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Allgemeins

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Die Lustige und die Traurige ist Caitlyns Beitrag zum Märchenevent welches zum Advent 2011 stattfand.

Das Märchen

Es war einmal im Land Imoriath, zu einer Zeit, in der die Städte noch Dörfer waren und die großen, ruhmreichen Ritter, von denen man sich heute erzählt, Kinder, so wie ihr, die mit Holzschwertern in den kleinen Händen von gefährlichen Kriegen gegen Drachen und untoten Monstern träumten. Es war eine friedliche Zeit. Die Waffen schwiegen und die Bewohner Imoriaths gingen den ganz alltäglichen Herausforderungen nach–trugen die Ernte ins Haus, pflegten ihre Gärten und sorgten sich um die Kinder.

So auch im kleinen Jägersdorf, das tief im Wald südlich der Dörfer Oren und der schon damals ruhmreichen kleinen Stadt Aden liegt. Hier lebte eine Witwe, die zwei kleine Töchter hatte. Zwillinge waren sie und nur die eigene Mutter konnte die beiden hübschen Mädchen auf den ersten Blick unterscheiden. Schön waren sie und feurig rot ihr Haar. Doch so ähnlich sie sich sahen, so unähnlich waren ihre Herzen. Das eine Mädchen lachte viel und spielte gerne Streiche – während ihre Schwester lieber allein im Garten saß, den Schmetterlingen zu sah und selten lachte. Ihre Mutter nannte die beiden „die Lustige“ und „die Traurige“.

Als sie die fragenden Gesichter der Kinder sah, unterbrach die Großmutter sich.
„Ich selbst weiß die Namen der Beiden nicht – doch lasst mich weitererzählen, meine Lieben.


Eines Tages bemerkte die Mutter, dass ihre kleinen Mädchen mittlerweile zu hübschen Frauen heranwuchsen. So begann sie, Pläne über die eheliche Zukunft der Zwillinge zu schmieden. In der stolzen Stadt Aden lebte das Königspaar mit seinem Sohn, dem Prinzen, der ebenso gütig wie reich war. Da die Mutter der Mädchen wusste, dass Beide heimlich für den schönen jungen Mann schwärmten, beschloss sie, dass dies eine feine Partie für ihre Töchter wäre. Doch nun stand die sorgsame Frau vor einem Problem: Gab es doch nur einen Prinzen – und zwei Mädchen.

Also überlegte sich die Witwe eine List. Sie rief die Beiden zu sich, verband ihnen die Augen und setzte sie in die alte Kutsche mit den beiden weißen Rösslein davor. Dann trabten sie los und fuhren tief in den düsteren Teil des Waldes hinein, den Wald der Spiegel, den die Mädchen nie betreten durften. Einen halben Tag fuhren sie herum, änderten immer wieder die Richtung, bis sie so tief im Wald waren, dass ein Herausfinden hoffnungslos schien.
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Die Mutter gebot den Pferden zu halten und half den Töchtern vom Wagen. Nun sprach sie: „Wie ihr wisst, möchte ich eine von euch mit dem Prinzen der Stadt Aden vermählen. Da er euch nicht beide heiraten kann, werde ich nun testen, wer von euch beiden die ist, die unsere Familie in solchen gehobenen Kreisen gut vertreten kann. Dafür braucht ihr Verantwortung, Mut auch vor euch Fremden Dingen und vor allem Güte und Mitgefühl. Ich werde gleich aufbrechen – die Pferde kennen den Weg heim. Sobald ihr Hufschlag verklungen ist, müsst ihr euch drei Mal im Kreis drehen. Dann lauft ihr los, getrennt von einander. Nach hundert Schritten dürft ihr die Augenbinden abnehmen. Getrennt von einander müsst ihr versuchen, den Weg nach Hause zu finden. Wer als Erstes ankommt, wird die Braut des Prinzen sein.“ Dann bestieg sie die Kutsche und brach auf.
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Kaum war der Hufschlag verklungen, taten die Mädchen, wie ihnen gesagt wurde. Sie drehten sich im Kreis. Die Lustige rannte sogleich los, riss sich schon nach wenigen Schritten die Augenbinde vom Gesicht und freute sich lachend: „Wie schön! Ein Abenteuer!
Ihre Schwester hingegen ließ sich auf einen Stein sinken, lauschte noch kurz den Vögeln und betrachtete die Blätter auf dem Waldboden, die im Herbstwind unter den Bäumen tanzten. Der Wald sah freundlich aus. Überall wuchsen Pilze und nur ein mildes Lüftchen wehte zwischen den Bäumen hindurch.

Die Fröhliche schlenderte singend und pfeifend durch den Wald. Sie hatte zwar nicht die geringste Ahnung, wo sie sich befand und wo lang sie gehen müsste, doch sie fand das Abenteuer lustig. Ihr fröhliches Lachen schallte zwischen Bäumen, Büschen und Sträuchern hindurch und sie dachte an den hübschen Prinzen, der ihr als Preis winkte.

Die Traurige hatte eine andere Richtung eingeschlagen. Sie ließ den Blick über die Pflanzen des Waldes schweifen, erfreute sich an den vielen Vögeln, deren Gesang von überall in ihr Ohr klang. Als sie auf ein Reh traf, blieb sie stehen und das neugierige Tier trat tatsächlich zögerlich an sie heran und berührte die ausgestreckte Hand mit seiner kalten Schnauze. Das Mädchen genoss den Ausflug immer mehr, denn es gab so viele schöne Dinge zu sehen. Längst hatte sie nicht mehr den Prinzen im Kopf und verdrängte den Gedanken fast, dass sie nach Hause finden musste.


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Die Lustige hingegen bemerkte schnell, dass ihr „Abenteuer“ nicht ganz so unbekümmert bleiben sollte, wie es angefangen hatte. Ein kalter Wind kam mit der Nacht und durch die dichten Bäume wurde es so nachtschwarz, wie sie es noch nie zuvor gesehen hatte. Dann begann es auch noch schrecklich zu regnen und so kam es, dass die Lustige bald gar nicht mehr fröhlich war. Mit verkniffenem Gesicht ging sie weiter durch den Wald, der immer nasser und ungemütlicher wurde und musste zugeben, dass sie sich hoffnungslos verirrt hatte. Das Unwetter wütete immer heftiger und das Mädchen setzte sich entkräftet und frierend auf einen Baumstumpf und kauerte sich in sich zusammen. Langsam aber sicher bekam sie es mit der Angst zu tun. Jeder entfernte Eulenschrei ließ sie erzittern – und die nasse Kälte umso mehr. Als es plötzlich hinter ihr im Gebüsch raschelte und eine dunkle Gestalt aus dem Unterholz trat, schrak sie schrecklich zusammen. Als sie dem Fremden ansah, war ihr nicht besonders wohler zu Mute. Heruntergekommen war der Mann gar, die Kleidung alt und zerlumpt und Gesicht und Hände waren dreckverschmiert. Der Fremde reichte dem Mädchen die Hand, doch angesichts der schmutzigen Fingernägel ergriff sie sie nicht. Angeekelt wich die Lustige einen Schritt zurück. Der Mann sprach mit einer tiefen, rauchig klingenden Stimme: „Keine Angst, schönes Kind. Ich möchte dir helfen. Du hast dich bestimmt verirrt. Komm mit mir, ich bringe dich nach Hause.“ Doch das Mädchen empfand tiefe Abscheu vor ihm. Mit so einer Gestalt mit gehen? Nein! Der Fremde stank sicher und würde kein gutes Licht auf sie und ihre Familie werfen, wenn sie mit ihm zusammen zu Hause ankam. Vielleicht würde er sie sogar versuchen zu küssen!
Scher dich weg, du Bettler!“ rief sie voller Hass. „Ich brauche deine Hilfe nicht!“ Und der Fremde verschwand ohne ein weiteres Wort in der Dunkelheit des Waldes.

Der Traurigen erging es währenddessen nicht besonders besser. Da sie sich nicht sehr weit entfernt von ihrer Schwester befand, hatte das Unwetter auch sie heim gesucht. Die alten Bäume bogen sich im Wind und gaben unheimliche Geräusche von sich. Das Mädchen gruselte sich schrecklich und fror gar jämmerlich. Auf einem großen Stein ließ sie sich nieder und vergrub das Gesicht in den Händen, um es vor dem schneidenden Wind zu schützen, der sogar den Schutz der großen Bäume durchdrang.

Sie erschrak, als es hinter ihr im Gebüsch raschelte und ein fremder Mann aus dem Unterholz trat. Die Traurige sprang ängstlich auf und wich zurück. Der Fremde streifte seine Kapuze ab und ein schönes Männergesicht kam zum Vorschein. Er war noch nicht sehr alt und hatte leuchtend blondes Haar zu tiefbraunen Augen, die die Traurige sofort an die Augen eines Hundes erinnerten. Der ganze Mann wirkte so makellos und perfekt, dass es sie schier zurück schreckte. „Habe keine Angst, schönes Kind. Ich will dir helfen,“ sprach er mit einer Stimme, so glockenklar und sanft, dass dem Mädchen ein unangenehmer Schauer über den Rücken lief. Sie wich weiter zurück. „Geh!“ stieß sie gepresst hervor, „Verschwinde, ich brauche deine Hilfe nicht!“ Und der Fremde verschwand, ohne ein Wort zu verlieren.

Die Lustige bereute schon bald, dass sie den vermeintlichen Bettler fortgeschickt hatte. Sie fühlte sich verlassen und hilflos im düsteren Wald. Sie war bis auf die Knochen durchnässt und zitterte wie Espenlaub. Nein, das war freilich kein lustiges Abenteuer! Wie sie so da saß und fror, hörte sie erneut ein Rascheln in den Büschen. War der Fremde etwa zurück gekommen? Hoffnungsvoll wandte sie den Kopf, doch hinter ihr stand nicht der Bettler, sondern ein Mann, der so schön war, dass er wie in güldenes Licht getaucht schien. Das blonde Haar leuchtete wie die Sonne über den erbarmungslos schwarzen Wolkenbergen am Nachthimmel. „Hilft du mir aus dem Wald hinaus?“ fragte das Mädchen hoffnungsvoll. Der Fremde nickt und nahm sie bei der Hand.

Während sie so durch den Wald gingen, fühlte die Lustige, wie alle Müdigkeit von ihr ab fiel. Fröhlich ging sie vor dem Blonden her. So ein schöner Mann! Natürlich war es richtig, sich von ihm helfen zu lassen. Wie die Leute im Dorf gucken würden, wenn sie ihn mit nach Hause brachte! Mutter würde stolz sein.
Nach einer Weile drehte sie sich um, um noch einmal in die schönen braunen Augen ihres Retters sehen zu können. Doch was sie da sah, ließ sie erstarren. Der Fremde hinter ihr trug ein großes Messer in der Hand, dessen Spitze geradewegs auf ihren Rücken zeigte. Der Lustigen wurde angst und bange. Sie schrie auf und stürzte durch den Wald davon, so schnell sie ihre Füße tragen konnten.

Auch die Traurige fühlte sich bald allein. Ihr war bitterkalt und sehr hilflos zu Mute. Warum hatte sie diesen Fremden fort geschickt? Er wollte doch nur helfen! Doch es half kein Grübeln. Der Fremde war fort und sie war allein im stockfinsteren Wald. Bittere Tränen rannen über ihre Wangen und sie dachte an zu Hause, an die Hängebrücken, von denen man so weit blicken konnte, an die Schmetterlinge und die Eichhörnchen, die sich im Garten der Mutter immer tummelten.

Wie sie so da saß, weinte und fror, bemerkte sie abermals ein Rascheln. Hoffnungsvoll drehte sie sich um, doch der Mann, der dort stand, hatte nichts mit dem blonden Schönen gemein, den sie erwartet hatte. Heruntergekommen sah er aus, doch sie bemerkte die azurblauen Augen, die so vertrauenserweckend aus dem dreckigen Gesicht heraus leuchteten. Sie sah auch die markanten Wangenknochen und das sympathische Lächeln des Fremden. Also nahm sie sich ein Herz und fragte ihn: „Kannst du mich vielleicht aus diesem Wald heraus führen?“ Der Fremde nickte.

Die Mutter der beiden Zwillinge hatte die Nacht nicht besonders gut geschlafen. Der Wald war gefährlich und auch, wenn sie für die Sicherheit der Beiden gesorgt hatte und beide nie ganz allein gewesen sind, war sie dennoch in Sorge. Lange stand sie diesen frühen Morgen am Gartenzaun, ehe sie glockenhelles, fröhliches Lachen hörte. „Die Lustige ist die Erste!“ dachte sie, doch das Mädchen, das in Begleitung eines jungen Mannes in ihr Blickfeld kam, war nicht die Erwartete. Es war die Traurige – doch sie hatte mit diesem Namen nicht länger etwas gemeinsam. Das Mädchen strahlte übers ganze Gesicht und wirkte so unbeschwert und glücklich. Natürlich war sie durchnässt, aber dennoch strahle die jugendliche Schönheit heller denn je. „Du bist die Erste!“ rief die Mutter ihr freudig entgegen, doch die Traurige schüttelte den Kopf. „Ich will den Prinzen nicht! Ich habe den Mann gefunden, den ich heiraten will!“ Bei diesen Worten umklammerte sie die Hand des heruntergekommenen Fremden fest.
Nun kam auch die Lustige den Weg zum Haus empor. Ihre schönen Kleider waren von der Flucht vor dem vermeintlichen Räuber zerrissen und sie war nass und schmutzig. Der Blonde, welcher in Wahrheit ein Freund der Familie war, begleitete sie. Die Lustige hatte längst begriffen, dass sein Angriff nur ein Test ihrer Mutter war.

Ein halbes Jahr später fand in der stolzen Stadt Aden eine wahre Märchenhochzeit statt. Die Traurige heiratete den Prinzen Adens. Es war der letzte Tag, an dem dies ihr Rufname war, denn die Braut die an diesem Tag vor den Altar trat, strahle und lächelte und war so schön, dass Aden lange von jenem Tage sprach.
Die beiden regierten ihr Land lange und gut und galten als gutherzigstes Königspaar für eine lange, lange Zeit und waren glücklich, bis an ihr Lebensende.

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Die Großmutter klappte das schwere Lederbuch zu und lächelte sanft.
Das ist das Ende meiner Geschichte. Doch ich bin mir sicher, dass ihr noch die eine oder andere Frage habt.
Wollte die Traurige nicht den Bettler heiraten?“ stieß eines der Mädchen hervor.
Die Geschichtenerzählerin lächelt schelmisch.
Wisst ihr, man munkelt, dass der Prinz Adens die schönsten blauen Augen des Landes hatte. Die selbst dann noch hervorstechen, wenn die Gesichtszüge durch Schmutz und Dreck so sehr entfremdet sind, dass seine eigene Mutter ihn nicht erkennen würde.
Und was geschah mit der Lustigen?
Nun, dass wiederherum ist eine andere Geschichte. Doch ich will euch nicht enttäuschen. Soweit ich weiß, nahm auch sie sich einen Mann. Einen schönen blonden Buben aus der Nachbarschaft, der genauso arrogant und kaltherzig, wie hübsch war. Doch eines könnt ihr mir glauben, meine Kleinen. Ich bin mir sehr, sehr sicher, dass auch sie glücklich war, bis an ihr Lebensende.